Staatsanwaltschaft fordert drei Jahre Jugendhaft gegen ehemaligen SS-Wachmann

Im Hamburger Prozess gegen einen 93-jährigen früheren SS-Wachmann des Konzentrationslagers Stutthof hat die Staatsanwaltschaft eine Jugendhaft von drei Jahren gefordert.
Titelbild
Dies soll eine der Gaskammern sein, die die deutschen Nationalsozialisten im Konzentrationslager Stutthof (bei Danzig) eingerichtet haben sollen.Foto: Bruce Adams-Pool/Getty Images
Epoch Times6. Juli 2020

In einem der voraussichtlich letzten Prozesse um die Massenverbrechen in den Konzentrationslagern der NS-Zeit hat die Anklage eine Jugendstrafe von drei Jahren für den Angeklagten gefordert. Der 93-Jährige habe sich als SS-Wache im Lager Stutthof der Beihilfe zum Mord in 5.230 Fällen schuldig gemacht, sagte Staatsanwalt Lars Mahnke am Montag vor dem Landgericht Hamburg. Es sei „abwegig“ zu glauben, er habe die Verbrechen nicht bemerkt.

Staatsanwalt: „Er wusste ohne jeden Zweifel, worum es ging“

„Er wusste ohne jeden Zweifel, worum es ging“, sagte Mahnke in seinem leidenschaftlichen Plädoyer. Der Angeklagte habe an einem „kaum beschreibbaren Verbrechen teilgenommen“, das jeden „auf ewig voller Schrecken und Scham zurücklässt“. Dabei habe er die Möglichkeit gehabt, sich dem Dienst in dem Lager zu entziehen, dies jedoch nicht getan. Er habe damit „vorsätzlich gehandelt“.

Der Staatsanwalt betonte, es gehe juristisch nicht um die Ahndung fehlenden Widerstands gegen das NS-Regime. Aber konfrontiert mit einem „staatlich organisierten Massenmord“ wie im Lager Stutthof „reicht es nicht mehr aus, wegzuschauen und auf das Ende zu warten“. Jeder dürfe dann erwarten, dass ein Soldat „vom Turm steigt, sein Gewehr abgibt und erklärt, dass er nicht mehr kann“.

Beschuldigter soll mehrere Monate als SS-Wachmann in einem NS-Lager eingesetzt gewesen sein

Der Beschuldigte soll gegen Ende des Zweiten Weltkriegs im Alter von 17 bis 18 Jahren mehrere Monate als SS-Wachmann in dem Lager bei Danzig verbracht haben, wo die SS mehr als 100.000 Juden und andere Gefangene bewusst unter völlig unzureichenden Bedingungen festhielt, um sie zu töten. Es diente auch als Vernichtungslager. Dort waren eine Gaskammer und eine Genickschussanlage im Einsatz.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, die systematischen Tötungen im Rahmen des von den NS-Herrschern organisierten Holocaust durch seine Wachtätigkeit unterstützt und ermöglicht zu haben. Direkte Beteiligungen an Morden stehen nicht im Raum. Wegen des Alters des Angeklagten zur Tatzeit wird gegen ihn in einem Jugendprozess verhandelt. Er räumte ein, als Wache in Stutthof gewesen zu sein.

Dieses am 2. September 2016 aufgenommene Bild zeigt das ehemalige deutsche Konzentrationslager Stutthof im nordpolnischen Sztutowo. Foto: MATEUSZ OCHOCKI/KFP/AFP über Getty Images

Beschuldigtet erklärte, er habe auf Befehl gehandelt

Zugleich machte er geltend, zu dem Dienst durch Befehle gezwungen worden zu sein und zu den Massenmorden nicht aktiv beigetragen zu haben. Ab Dienstag beginnen die Vertreter der Nebenklage, in der sich Holocaustüberlebende zusammengeschlossen haben, mit ihren Plädoyers. Danach folgt die Verteidigung. Mit einem Urteil wird nach derzeitigen Stand in etwa zwei Wochen gerechnet.

In seinem Plädoyer wies Mahnke die Argumentation des Angeklagten zu einer durch Befehle hervorgerufenen Zwangslage zurück. Diese habe es nicht gegeben. Vielmehr habe der Angeklagte in anderen Zusammenhängen eine „taktische Einstellung zum Befehl und zum Gehorsam“ gezeigt. Dieser könne im Leben auf vieles stolz sein, sagte der Vertreter der Staatsanwaltschaft. „Darauf, dass er im entscheidenden Moment weggeguckt hat, kann er nicht stolz sein.“

Der 93-jährige ehemalige SS-Wachmann Bruno D. bedeckt sein Gesicht, als er am 17. Oktober 2019 im Gerichtssaal in Hamburg eintrifft. Foto: DANIEL BOCKWOLDT/POOL/AFP über Getty Images

Staatsanwalt: „In einer solchen Situation muss Schluss sein mit der Loyalität“

Auch der Zweck von Stutthof sei für jeden offensichtlich gewesen, ergänzte Mahnke. Das System der NS-Lager sei darauf ausgerichtet gewesen, alle Gefangenen auf die eine oder andere Weise zu töten. Bei der Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe gehe es auch um „deutliches, warnendes Signal“. In einer solchen Situation müsse „Schluss sein mit der Loyalität gegenüber Verbrechern“. (afp)



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