Streit um unangekündigte Tests in Schulen: Söder spricht Machtwort

In Bayern ist ein Streit um unangekündigte Leistungsbewertungen entfacht – und im Keim erstickt. Dafür sorgte Ministerpräsident Markus Söder.
Titelbild
Unangekündigte Tests sind für viele Schüler eine Belastung, auch emotional.Foto: Ridofranz/iStock
Von 22. September 2024

Lernen ohne Angst und Druck. Dafür setzen sich derzeit mehrere Organisationen und Befürworter in Bayern ein. Vor drei Monaten hat eine Münchner Schülerin eine Petition auf der Plattform Campact gestartet. Sie fordert die Abschaffung von unangekündigten Tests und Stegreifaufgaben (auch Exen genannt). Hoffnung keimte auf, als Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) einen ergebnisoffenen Dialog über die Zukunft von Prüfungen ankündigte. Doch nun hat Ministerpräsident Markus Söder ein Machtwort gesprochen – und sorgt damit für Empörung.

„Lernen unter Angst und Druck ist niemals effektiv. Im Gegenteil: Abfragen und Exen fördern nur oberflächliches Auswendiglernen statt langfristiges Verstehen und Behalten von Lerninhalten“, heißt es in der Petition, die bislang knapp 18.700 Unterschriften (Stand 22. September) erreicht hat.

„Schule darf nicht länger als Ort der Angst wahrgenommen werden“, so die Schülerin, die sich für eine neue bayernweite Regelung gegen unangekündigte Leistungsnachweise einsetzt.

Unter den Unterstützern befinden sich auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissen in Bayern, die Montessori Fachoberschule München und der Verband für Schulen des gemeinsamen Lernens.

Stolz schiebt Debatte an – und rudert zurück

Zu Beginn des neuen Schuljahres hatte die bayerische Kultusministerin Anna Stolz diesbezüglich eine Debatte angeschoben.

„Wir werden die Zahl der Leistungsnachweise unter die Lupe nehmen und die Frage diskutieren, inwiefern Leistungsnachweise angekündigt sein sollen“, äußerte sie. Doch so weit kam es nicht.

Am 18. September stellte der Ministerpräsident bei einer CSU-Fraktionsklausur im Kloster Banz klar: „Exen und Abfragen werden natürlich bleiben.“ Er befürchtete, dass sich die „Leistungsdichte verschlechtern“ könnte.

Stolz ruderte daraufhin zurück. Sie stehe mit Söder in ständigem Austausch, auch zum Thema Leistungsnachweise. „Wir sind beide der Überzeugung, dass wir unsere Kinder und Jugendlichen dazu befähigen müssen, auch spontan und adäquat auf herausfordernde Situationen zu reagieren. Dazu gehören auch unangekündigte Leistungsnachweise“, äußerte sie.

Lehrerverband kritisiert veraltetes Leistungsverständnis

Mit seiner Ablehnung löste Söder eine Welle der Empörung aus. „Söder betreibt auf der CSU-Klausur mal wieder Bildungspolitik per Machtwort vorbei an erziehungswissenschaftlichen Fakten und Praxiserfahrungen“, kritisiert Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes.

Vor allem kritisierte sie mit Blick auf die Petition, dass Söder basisdemokratische Bemühungen von Schülern „schon im Ansatz mit einem Machtwort auszuhebeln versucht“.

Dann können wir uns auch die ganze Demokratiebildung an unseren Schulen sparen“, so Fleischmann weiter.

Weiter wirft sie dem Ministerpräsidenten vor, die Bildungspolitik in Bayern „mit Machtworten und Schnellschüssen und auf Basis eines veralteten radierten Bildungs- und Leistungsverständnisses“ zu machen, entgegen wissenschaftlichen Erkenntnissen.

So ergab eine im August 2022 veröffentlichte Studie, dass sich unangekündigte Leistungstests negativ auf Leistungen und Emotionen der Schüler auswirken, während angekündigte den Lernerfolg erhöhen. Die Forscher sahen diese Studie als Aufruf, sich stärker auf die emotionalen Aspekte der Leistungsbewertungen zu konzentrieren, „die in der Literatur bisher weitgehend vernachlässigt wurden“.

Erziehungswissenschaftler: „Fiese Fallenstellergesinnung“

Nach Aussage des Berliner Erziehungswissenschaftlers Jörg Ramseger sollten Bayerns Schüler natürlich zu optimaler Leistung ermutigt werden – und zwar auch diejenigen, denen das Lernen schwerfalle.

„Die fiese Fallenstellergesinnung hinter den unangekündigten Leistungsproben widerspricht allen Erkenntnissen der Motivationspsychologie der letzten 50 Jahre“, erklärte er. Leistungsmotivation erwerbe man nicht durch Prüfungsdruck.

Laut der Landesvorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Martina Borgendale, mischt sich Söder nicht nur in den Zuständigkeitsbereich von Ministerin Stolz ein, sondern „greift auch noch einer Entscheidung des Landtags über die laufende Petition vor“. Borgendale betont: „Vielleicht täte dem Herrn Ministerpräsidenten eine Verfassungsviertelstunde gut.“

Kritik kam auch vom GEW-Vizevorsitzenden Florian Kohl: „Man lernt bereits in der Schule, dass es nur dann sinnvoll ist, sich in Diskussionen einzumischen, wenn man auch weiß, wovon man spricht. Herr Söder tut das offensichtlich nicht.“ Er forderte Söder auf, sich mit dem Thema zeitgemäßer Prüfungskultur wissenschaftlich auseinanderzusetzen und „ansonsten das Kultusministerium und uns unseren Job machen zu lassen“.

Ähnlich sieht es auch Nicole Bäumler, SPD-Bildungsexpertin im Landtag. Söder liege „fachlich völlig daneben“. Aus Studien und ihrer Erfahrung als Lehrerin wisse sie, dass Schüler weniger gestresst sind und mehr Spaß am Unterricht haben, wenn Tests angekündigt werden. Statt die Kompetenz von Bildungsexperten zu ignorieren, sollte Söder lieber die Aufgabe seiner Ministerin überlassen.

Philologenverband verweist auf Schulordnung

Lob hingegen für Söders Durchgreifen kam vom Bayerischen Philologenverband, nach dessen Auffassung unangekündigte Leistungsnachweise „auch heute noch pädagogisch sinnvoll“ seien. Es gehe dem Verband nicht um ein Festhalten an überholten Leistungsvorstellungen, sondern darum, „den Schulen die pädagogischen Freiräume zum sinnvollen Einsatz von unangekündigten Leistungsnachweisen zu lassen, wie sie die Schulordnungen vorsehen“, so Verbandsvorsitzender Michael Schwägerl.

 



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion