Neue Normalität? Jeder fünfte Schüler hat psychische Probleme

Der Druck auf die Schüler wächst. Viele berichten über psychische Probleme, wie eine Umfrage zeigt. Doch nicht jeder findet Hilfe. Aus Sicht der Bundesschülerkonferenz gibt es eine Reihe an Maßnahmen, um die Kinder und Jugendlichen zu unterstützen.
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Vor allem in der Oberstufe ist der Stress groß. (Symbolbild)Foto: Ridofranz/iStock
Von 26. November 2024

Regentropfen prasseln gegen das Fenster, durch das Tom auf die Straße schaut. Wie gern wäre er jetzt zuhause und würde sich die Decke über den Kopf ziehen. Stattdessen muss er Mathe büffeln, ein Fach, das ihm schon lange auf den Magen schlägt. Was, wenn er den anstehenden Test vermasselt? Der Druck, der auf ihm lastet, ist immens. Doch darüber sprechen mag er mit niemandem.

Tom ist kein Einzelfall. Jeder fünfte Schüler berichtet von psychischen Problemen. Das geht aus dem Deutschen Schulbarometer 2024 hervor, einer im Frühjahr von der Robert Bosch Stiftung erhobenen repräsentativen Umfrage von Minderjährigen im Alter von acht bis 17 Jahren und deren Eltern. Bezogen auf die rund 11,2 Millionen Schüler in den allgemeinbildenden und beruflichen Schulen sowie an Schulen des Gesundheitswesens in Deutschland sind rein rechnerisch über 2,2 Millionen Schüler betroffen.

Fabian Schön, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, sieht in den Ergebnissen ein Alarmsignal. Wie er gegenüber dem Deutschen Schulportal der Robert Bosch Stiftung schilderte, betrachtete er gemeinsam mit anderen Personen die Umfrageergebnisse. Das Erschreckendste sei gewesen, dass niemand in der Runde die Zahlen als schockierend empfunden habe.

„Wir nehmen es offenbar als Normalzustand hin, dass so viele unserer Mitschülerinnen und Mitschüler von psychischen Problemen betroffen sind“, warnt er. Die Ergebnisse würden hingenommen, als sei nichts daran zu ändern. Denn auch in der Vergangenheit habe es keine Anstrengungen gegeben, die Zahl langfristig zu senken.

„Jeder Fünfte bedeutet, dass in einer Klasse mit 30 Schülerinnen und Schülern sechs Personen betroffen sind“, fügt er hinzu. Das Thema sei jedoch schambehaftet und finde kaum Beachtung.

Schlimmstenfalls merkt man es erst dann, wenn der Platz im Klassenraum irgendwann leer bleibt“, so Schön.

Aufwärtstrend hält an

Schon vor der Corona-Pandemie war laut Schön die Quote der jungen Menschen, die psychisch auffällig waren, hoch, aber mit 17,6 Prozent immer noch geringer als heute. Im Jahr 2016 lag ihr Anteil laut „Ärzteblatt“ bei nur etwa 10 Prozent. Demnach waren im Schuljahr 2014/2015 rund 1,1 Millionen schulpflichtige Kinder und Jugendliche behandlungsbedürftig psychisch erkrankt, darunter an Angststörungen, Depressionen sowie hyperkinetischen Störungen wie Aufmerksamkeitsdefizit. Jedoch nur ein Drittel der akut und chronisch psychisch erkrankten Minderjährigen war in ärztlicher Behandlung.

„Sicher spielt die aktuelle gesamtgesellschaftliche Lebenssituation eine große Rolle, und auch Corona hat bekanntlich Spuren hinterlassen und häufig zur Vereinsamung geführt“, schildert Schön. Aber das Problem lasse sich nicht allein auf die Corona-Pandemie zurückführen.

Die Sorge um Kriege in der Welt treibt die Kinder und Jugendlichen laut Umfrage am meisten (71 Prozent) um. 59 Prozent gaben Leistungsdruck in der Schule an, während 61 Prozent sich besorgt um Klima und Umwelt zeigten.

Mit den Problemen alleingelassen

Wie aus der Umfrage hervorgeht, glaubt ein Viertel der Erziehungsberechtigten (24 Prozent), dass ihr Kind in den vergangenen zwölf Monaten Hilfe aufgrund psychischer Probleme benötigte. Aber nur 72 Prozent der betroffenen Eltern wurden aktiv.

Sie wandten sich am häufigsten an die Klassenlehrer (70 Prozent), gefolgt von Schulsozialarbeitern (39 Prozent) und Schulpsychologen (31 Prozent). Allerdings kamen knapp ein Viertel der Eltern (23 Prozent), die sich Hilfe suchend an die Schule gewandt haben, dort nicht weiter.

Aus der Umfrage wird auch deutlich, dass mehr als ein Viertel der Schüler (27 Prozent) mit emotionalen Problemen daran zweifelt, dass ihnen jemand in der Schule helfen kann. Bei den Kindern und Jugendlichen mit psychischen Problemen lag ihr Anteil sogar bei 45 Prozent. Bei dem Versuch, über ihre Probleme zu sprechen, machten 26 Prozent der Schüler mit psychischen Auffälligkeiten schlechte Erfahrungen.

Nicht jeder Klassenlehrer fühle sich für die Probleme zuständig, sodass ein „Zuständigkeitsgeschiebe“ beginne, erklärt Schön. Wenn man dann zum dritten Mal weggeschickt werde, verliere man oft den Mut.

Aus seiner Sicht benötigt jede Schule eine Fachkraft, die nicht nur Ansprechpartner für Probleme ist, sondern auch wirklich weiterhelfen kann.

Außerschulische Hilfe fanden die Eltern am häufigsten bei Psychotherapeuten (50 Prozent) oder Allgemeinmedizinern (38 Prozent). Bevor ihr Kind jedoch eine Therapie beginnen konnte, musste es durchschnittlich 18 Wochen warten.

Viel Druck in der Oberstufe

Schön hält es für erforderlich, dass der Thematik viel mehr Aufmerksamkeit in der Gesellschaft gewidmet wird. Er geht davon aus, dass inzwischen jeder junge Mensch jemanden kennt, der psychisch belastet sei und Hilfe benötige.

„Es gibt gerade in der Oberstufe Schülerinnen und Schüler, die gehen fast jeden Tag mit einem unguten Gefühl in die Schule, weil sie Angst haben, in einem anstehenden Test nicht die nötige Leistung zu erbringen“, schilderte er.

Kein Wunder, denn vor allem in der Oberstufe stehen die Schüler unter Leistungsdruck, der sich auch auf die mentale Gesundheit auswirkt. Auch wenn der Leistungsdruck nicht der alleinige Grund für die psychische Belastung sei, könne ein anderes Schulklima laut Schön viel zum Wohlbefinden der Schüler beitragen.

Kleine Klassen und sichere Räume

Eine wesentliche Maßnahme, um das Schulklima zu verbessern, ist aus Sicht der Bundesschülerkonferenz die Verkleinerung der Klassen. Denn bei 30 Kindern in der Klasse sei kein individuelles Feedback seitens der Lehrer möglich. Verringert sich hingegen die Schüleranzahl, könnten Lehrer die Kinder besser motivieren, auf Schwierigkeiten reagieren und die Schüler individuell fördern.

Außerdem schlägt Schön sogenannte „Safe Places“ vor. Dabei handelt es sich um sichere Räume innerhalb der Schule, in denen Kinder über ihre emotionalen Probleme sprechen können. Von Vorteil wären auch Schulpsychologen mit festen Sprechzeiten sowie Sozialarbeiter, die fest in ein multiprofessionelles Team integriert sind. Davon gebe es noch viel zu wenige. Oft sei es so, dass eine Person mehrere Schulen parallel betreue, sodann eine Vor-Ort-Betreuung nicht abgesichert sei.

Klassenleiterstunden sinnvoll nutzen

Aus eigener Erfahrung weiß Schön zu berichten, dass es sinnvoll ist, im Unterricht über psychische Erkrankungen und deren Symptome sowie Hilfsangebote zu besprechen. „An meiner Schule zum Beispiel gibt es Psychologieunterricht. Der hat mir sehr viel gebracht“, schildert er.

Es gebe auch einige sehr engagierte Lehrer, die Klassenleitungsstunden dafür nutzen, um die in der Klasse vorherrschende Stimmung zum Gesprächsthema zu machen. Andere hingegen würden das Organisatorische abhaken und dann zum normalen Unterrichtsstoff übergehen.

Schön bedauert es, dass die Klassenleitungsstunden nicht überall die Priorität bekommen, die sie haben sollten. Er hält es für erforderlich, dass Schüler in dieser Zeit dazu nach Aspekten befragt werden, wie sie sich in der Schule wohler fühlen.

„Viele verbringen deutlich mehr Zeit als acht Stunden am Tag in der Schule und müssen dabei in vollen, maroden Räumen sitzen, ohne Entspannungs- oder Rückzugsmöglichkeiten“, schildert er.

Idealerweise sollten Schüler an der Gestaltung der Schule beteiligt werden. Dann würden sie sich auch wohler fühlen in den Räumen.



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