Kultusminister setzen auf KI im Unterricht und ignorieren Einschätzung der eigenen Kommission

Nachdem zunächst die digitalisierte Bildung in Deutschland vorangetrieben wurde, prägt nun auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) die Schulen immer mehr. Die neuen Empfehlungen der Kultusministerkonferenz ignorieren das Urteil der eigens eingesetzten wissenschaftlichen Kommission. Der Philologenverband warnt, man könne sich auf einen „Holzweg“ begeben.
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Interaktives Lernen.Foto: gorodenkoff/iStock
Von 16. Oktober 2024

Die Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) ist im Klassenzimmer kaum noch wegzudenken, heißt es in einem neuen Papier der Kultusministerkonferenz (KMK).

Die KMK hat am 10. Oktober die „Handlungsempfehlung für die Bildungsverwaltung zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz in schulischen Bildungsprozessen“ herausgegeben. Potenziale der Technologien sollen für das Lernen und Lehren bestmöglich genutzt und den Schülern einen konstruktiv-kritischen Umgang mit KI ermöglichen.

Durch den Einsatz von KI sollen Lehrer entlastet werden. Schüler könnten demnach KI im schulischen und außerschulischen Bereich als „persönlicher Lerntutor, als Intelligentes Tutorielles System oder adaptive Lernumgebung“ einsetzen. Um eine „Abschwächung des gemeinsamen Lernens“ zu verhindern, soll die schulische Bildung jedoch immer im sozialen Raum und in zwischenmenschlicher Interaktion stattfinden.

Der Unterricht soll sich durch die Nutzung von KI mehr an den Bedürfnissen der Schüler orientieren können, um all ihre individuellen Fähigkeiten zu fördern, etwa durch Vorlesefunktion, automatisierte Übersetzung sowie Text-zu-Sprache- oder Sprache-zu-Text-Anwendungen.

KMK trotzt wissenschaftlicher Empfehlung

Die Kultusminister argumentieren, dass KI-gestützte Lernmaterialien einen positiven Effekt ausüben können, wenn es um den Erwerb von Basiskompetenzen geht. Damit stellen sie sich gegen die Empfehlungen ihrer eigenen Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK).

Die Kommission hatte am 17. Januar ein Papier veröffentlicht, indem sie sich für einen Fokus auf den systematischen Aufbau von Lese- und Schreibkompetenzen als Basis ausgesprochen hatte. In dem Dokument wurde davor gewarnt, dass ein frühzeitiger Einsatz von KI-gestützten Sprachmodellen diese Kompetenzentwicklung behindert und im ungünstigsten Fall unterbindet. In der Grundschule und in den ersten Jahren der Sekundarstufe I sollte nach Meinung der Kommission darauf verzichtet werden.

Das SWK-Impulspapier sei „erörterungsbedürftig“, urteilt die KMK.

Gleichzeitig heißt es im Dokument der Kultusminister:

Die hier vorgelegte Handlungsempfehlung der KMK nimmt die Impulse der SWK auf und schreibt sie mit Blick auf konkrete Handlungsmaßnahmen der Länder weiter.“

Prüfungsordnungen an KI anpassen

Die Bildungsminister sehen es zudem als angebracht, Länderverordnungen hinsichtlich Abschlussprüfungen und Leistungsnachweisen entsprechend anzupassen. Prüfungsformate sollen zusätzliche KI-bezogene Kompetenzen berücksichtigen.

„Auch hinsichtlich der Korrektur von Leistungsnachweisen mithilfe von KI-Anwendungen müssen die Potenziale und Grenzen betrachtet werden“, heißt es in dem Papier.

Leistungsbewertung ist und bleibt eine pädagogische und hoheitliche Aufgabe, die als Verwaltungsakt im schulischen Kontext ausschließlich von Lehrkräften erfüllt werden kann.“

Allerdings sehen die Minister Potenzial in der KI-Anwendung in Bezug auf Korrektur- und Bewertungsprozesse, beispielsweise durch personalisierte Rückmeldungen. Auch die Qualität von schriftlichen Prüfungsaufgaben könnte durch „erhöhte Sprachsensibilität“ mittels KI verbessert werden.

KI auch für Hausaufgaben

Das KMK-Papier geht auch auf den Alltag von Kindern und Jugendlichen ein:

„Die Länder sind sich darin einig, dass ein allgemeines Verbot von KI zur Bearbeitung von in häuslicher Arbeit anzufertigenden Produkten – unter Berücksichtigung der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler – weder zielführend, wünschenswert noch durchhaltbar ist.“

Eine weitere Empfehlung lautet:

Prüfungsformate, die juristisch nicht einwandfrei der in der Aufgabe geforderten eigenständigen Leistung einer Schülerin bzw. eines Schülers zugerechnet werden können, werden abgeschafft oder grundlegend weiterentwickelt.“

Bei der Entwicklung neuer Prüfungsformate seien zusätzlich sowohl hilfsmittelunterstützte, längerfristig vorbereitete, kollaborative und dialogische Leistungen als auch solche aufzunehmen, die im Rahmen einer Präsentation erbracht werden.

Trotz umfangreicher Förderung von KI verweist die KMK auch auf die damit verbundenen Herausforderungen wie Datenschutz, Datensicherheit, fehlende Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsfindung.

Die Präsidentin der KMK 2024 und saarländische Ministerin für Bildung und Kultur, Christine Streichert-Clivot (SPD), betonte nach Veröffentlichung der Handlungsempfehlung:

Wir bereiten junge Menschen heute in [der] Schule auf eine Welt vor, die zunehmend von KI gesteuert sein wird. Dieser Prozess ist nicht mehr aufzuhalten. Wir können ihn aber prägen.“

KI werde insoweit weiterhin eine wichtige Rolle in der Lehrkräftebildung und in den Fortbildungsinstituten der Länder spielen.

Philologenverband zeigt sich skeptisch

Der Deutsche Philologenverband wart indes vor übertriebenen Erwartungen und sprach sich für einen kritisch-konstruktiven Umgang mit KI aus.

„Bei aller Euphorie um die spannenden Möglichkeiten, die KI heute schon bietet und in Zukunft bieten wird – wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass dadurch über Nacht die Probleme des Lehrkräftemangels gelöst werden“, sagte Bundesvorsitzende Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing. „Im Gegenteil: Wer davon träumt, dank KI zeitnah weniger professionelle Lehrkräfte als bisher einsetzen oder sie gar durch KI ersetzen zu können, ist auf dem Holzweg.“

Lernen und Verstehen von Inhalten brauche Zeit, weil Schüler diese noch einmal durchdenken müssen. „Das kann ihnen keine KI abnehmen. Erst recht nicht, weil die kritische Prüfung der durch KI präsentierten Inhalte zunehmend bedeutsam und schwierig werden wird“, betont die Professorin.

Fraglich sei zudem, wie „die ohnehin schon stark beanspruchten Lehrkräfte“ neben anderen hochpriorisierten Themen wie Demokratiebildung auch noch KI gewinnbringend in ihren Unterricht einbinden können.

Sie fordert von den Kultusministern solide rechtliche Rahmenbedingungen, sodass sowohl die Persönlichkeitsrechte der Schüler als auch der Lehrer gewahrt werden.



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