ARD-Sprecher: „Selbstkritische Aufarbeitung der Pandemie ist Teil alltäglicher Arbeitsprozesse“
Eine Aufarbeitung der Corona-Krise würde den Blick nicht nur auf die verantwortlichen Politiker richten, sondern auch auf die Leitmedien. Schließlich hatten diese zwischen Frühjahr 2020 und Ende 2022 so gut wie keine zweifelnden Stimmen aus Expertenkreisen abgebildet, die den Regierungskurs mit seinen Lockdowns, Kontaktbeschränkungen, Schul- und Kitaschließungen, Maskenpflichten und den angeblich „nahezu nebenwirkungsfreien“ Impfungen kritisierten.
Damit wurde nach Meinung vieler Kritiker der journalistische Grundsatz „Audiatur et altera pars“ verletzt, nach dem stets auch die „andere Seite“ zu Wort kommen soll.
Das scheint beispielsweise auch der ehemaligen Ethikratsvorsitzenden Prof. Alena Buyx schon seit Monaten bewusst zu sein: Im November 2023 erklärte sie gegenüber Medienvertretern, dass diese „da ja nicht außen vor“ wären, wenn im Zuge einer Corona-Aufarbeitung „Zweifel […] an diesen demokratischen Institutionen, an der Politik insgesamt“ gesät würden. Buyx bekräftigte ihre Warnung mit ausgestrecktem Zeigefinger in die Reporterrunde: „Das wissen Sie ganz genau!“ (Video auf X).
Die Epoch Times hatte anlässlich der Veröffentlichung der RKI-Files schon vor gut einer Woche einen umfangreichen Fragenkatalog an den ARD-Vorsitzenden und SWR-Intendanten Prof. Dr. Kai Gniffke geschickt. Nachdem Gniffke im März 2023 noch persönlich auf ähnliche Fragen zum Thema Corona-Berichterstattung geantwortet hatte, hieß es dieses Mal vonseiten eines ARD-Sprechers, dass man dies „leider nicht anbieten“ könne. Man sei allerdings bereit, die Fragen „in Form eines Statements“ von einem Sprecher beantworten zu lassen. Diese Stellungnahme liegt nun vor.
Unbeantwortete Fragen
Wie Gniffke nannte auch der Sprecher keine Begründung, warum sich die ARD seit vier Jahren dem Ruf nach einer Live-Gesprächsrunde im Ersten verweigert, bei der auch Corona-Maßnahmenkritiker zu Wort kommen sollten. Zu mehr als einer internen Videokonferenz mit einer Handvoll Andersdenkenden im November 2020 konnte sich WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn bislang jedenfalls nicht durchringen. Und selbst dazu hatte es zwei Petitionen mit insgesamt 110.000 Unterschriften bedurft.
Auch Antworten auf Fragen nach dem despektierlichen Tonfall, den manche ARD-Kräfte gegenüber Regierungskritikern oder Impfskeptikern an den Tag gelegt hatten, blieben ebenso aus wie eine Bitte um Verzeihung gegenüber jenen Menschen, die infolge einer COVID-19-Impfung Gesundheitsschäden erlitten oder den Tod Angehöriger zu beklagen hatten.
Lediglich auf das ARD-Leitbild einer wissenschaftlichen Berichterstattung und auf das erst kürzlich unterzeichnete „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“ ging der Sprecher jeweils ausführlich ein.
„Wir berichten über den Stand der Wissenschaft“ – abweichende „Einzelmeinungen“ irrelevant
Dass nach den Erfahrungen der Corona-Zeit auch den Stimmen abweichender Experten künftig mehr Raum und Respekt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) zugestanden werden soll, lässt sich aus der Stellungnahme des ARD-Sprechers nicht ableiten. Denn als Maßstab für die Auswahl früherer und künftiger Quellen nannte er noch immer das, „was als wissenschaftlicher Konsens gilt“. So habe man es bei „wenig gesicherter Information“ ARD-weit auch in der „Ausnahmesituation“ Corona gehandhabt:
Bei Experten wurde in der Regel die wissenschaftlich fundierte Mehrheitsmeinung abgebildet und nicht anderslautende Einzelmeinungen. Wir berichten über den Stand der Wissenschaft. Was in der Wissenschaft als gut erforscht, belegt oder noch fraglich gilt, das wird nach Kriterien der Wissenschaft bestimmt.“
Und weiter: „Zur Beurteilung dessen, was als Stand der Wissenschaft betrachtet wird, können auch Einordnungen notwendig sein, welche Sichtweisen derzeit als Mindermeinung oder gar Fehleinschätzung beurteilt werden.“ Wer diese „Einordnungen“ künftig vornehmen und welche Quellen die ARD-Journalisten besser persönlich in Augenschein nehmen sollten, ließ der Sprecher offen. Auch der Blick auf mögliche Beziehungen von Experten zu staatlichen Stellen kam nicht zur Sprache. Dafür stellte er klar:
Es ist dabei nicht die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, sämtliche wissenschaftliche Meinungen gleichberechtigt abzubilden, sondern einen Überblick darüber zu geben, was in der Wissenschaft als derzeitig allgemein gültiger Forschungsstand betrachtet wird.“
Falls aber eine neue Studienlage den wissenschaftlichen Konsens verändern würde, dann würde die ARD „auch darüber berichten“, kündigte der Sprecher an. Wie viele Forscher dagegen sprechen müssten, um einen Konsens zu revidieren, bleibt unklar.
Als der MDR im Dezember 2023 einen kritischen Beitrag über DNA-Verunreinigungen in Pfizer-Impfdosen gesendet hatte, wurde dieser kurze Zeit später aus der Mediathek gelöscht. Der Film habe die „publizistischen Sorgfaltskriterien nicht eingehalten“, hieß es nach Angaben des Bloggers Norbert Häring schlicht. Heute ist das Video nur noch auf der Plattform X zu sehen. Bei weniger impfkritischen Beiträgen hatte es der MDR laut Häring nicht so genau mit der Sorgfaltspflicht genommen.
„Selbstkritische Aufarbeitung“ heute Alltag?
Immerhin, so der ARD-Sprecher weiter, sei „auch in den Redaktionen“ inzwischen die „selbstkritische Aufarbeitung der Corona-Pandemie […] Teil alltäglicher Arbeitsprozesse geworden“. Und „die Erfahrungen der Pandemie“ hätten „sicher die Wahrnehmung in den Redaktionen geschärft, wie fordernd es ist, unterschiedliche Perspektiven angemessen abzubilden“.
Es handele sich um einen „stetige[n] Prozess, der nicht zuletzt auf der vorhandenen Streit- und Diskussionskultur in den Redaktionen“ aufsetze.
Vor wenigen Wochen hatten mehr als 130 Mitarbeiter von ARD, ZDF und „Deutschlandradio“, unabhängige Künstler, Mediziner und Wissenschaftler ein kritisches „Manifest“ veröffentlicht, das aus ihren Erfahrungen mit der Corona-Berichterstattung erwachsen war (online bei „Meinungsvielfalt.jetzt“).
Meinungsfreiheit in den Medienhäusern
Der Text bildet laut ARD-Sprecher „in Teilen eine Diskussion ab, die in den ARD Medienhäusern kontinuierlich geführt“ werde, „und dies nicht erst seit Corona“. „Dass ein Dokument wie das sogenannte ‚Manifest‘“ überhaupt erschienen sei, sei „Ausdruck der Tatsache, dass in den ARD-Medienhäusern Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit“ herrschten:
Entgegen der Darstellung im sogenannten ‚Manifest‘ gibt es hier aus Sicht vieler im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Beschäftigten eine lebhafte Streitkultur.“
Das belege auch die Stellungnahme zum Manifest vonseiten der „Redakteursausschüsse“, die ja „von aktiven Redakteurinnen und Redakteuren gewählt“ würden. Als Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse (AGRA) hatten Hubert Krech (ZDF), Gabi Probst (RBB) und Alexandra Dietz (SWR) am 4. April 2024 auf die Kritik ihrer häufig anonymen Kollegen unter anderem mit den folgenden Worten reagiert:
Der Eindruck, dass in den Sendern nur vorgegebene Meinungen diskutiert und verbreitet würden und nur ‚Mainstream‘-Themen und -Berichterstattung stattfinden könnten, ist falsch.“
Die Manifest-Autoren wiesen diese Kernaussage umgehend zurück: „An keiner Stelle im Manifest steht, dass ‚nur vorgegebene Meinungen diskutiert und verbreitet würden‘. Ebenso steht dort nicht, dass ‚nur Mainstream-Themen und -Berichterstattung stattfinden könnten‘. Warum suggerieren Sie es?“ Insgesamt entspreche die AGRA-Stellungnahme „dem Stil in unseren Häusern, den wir mit unserer Vision eines neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks hinter uns lassen möchten.“
Studien zur Meinungsvielfalt im ÖRR
Der ARD-Sprecher wiederum verwies auf eine „Studie der Universität Mainz“ (PDF). Diese sei zu dem Schluss gekommen, dass die „Nachrichtenformate des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, was die Meinungsbildung anbelange, „ebenso vielfältig […] wie andere Vergleichsangebote aus der deutschen Medienbranche“ seien.
Doch dieselbe Untersuchung hatte der Medienexperte Sebastian Köhler in einem Gastbeitrag für die „Berliner Zeitung“ (Bezahlschranke) anders kommentiert: Dass die Medien des ÖRR laut Studie „etwas vielfältiger“ berichteten als andere Mitbewerber, genügt nach Köhlers Einschätzung nicht den Ansprüchen: „Denn gemäß vieler gesetzlicher Vorgaben (Medienstaatsvertrag etc.) sollen gerade diese Medien (also die Angebote von ARD, ZDF und Deutschlandradio) möglichst GAR NICHT ,einseitig‘ sein, sondern strikt einem ,Binnenpluralismus‘ verpflichtet“, so Köhler laut „Meinungsvielfalt.jetzt“.
Eine Untersuchung der Universität Passau (Preprint) hatte schon im Sommer 2020 ergeben, dass die Sondersendungen „ARD Extra“ und „ZDF spezial“ zwischen März und Juni 2020 „ein permanentes Krisen- und Bedrohungsszenario vermittelt“ hätten, wie der „Deutschlandfunk“ (DLF) berichtete. Im März 2023 zog der Publizist Timo Rieg in seiner Fallsammlung „Qualitätsdefizite im Corona-Journalismus“ ein ernüchterndes Fazit: „Der deutsche Journalismus hat ein massives Problem mit der Meinungsvielfalt. Unabhängig vom konkreten Thema ist in der Branche völlig unklar, wozu es Meinungsvielfalt braucht und wie sie aussehen sollte.“ Im November 2023 beklagte auch der Meinungsforscher Prof. Jürgen Falter einen überwiegend linken Haltungsjournalismus bei ARD und ZDF.
Erst im März 2024 hatten sich vier Landtagspräsidenten ostdeutscher Bundesländer für eine umfassende ÖRR-Reform ausgesprochen – auch, um „eine ausgewogene Berichterstattung im Sinne einer Vielfalt der Meinungen und Sichtweisen“ zu erreichen, „wie sie auch in der ganzen Breite der Bevölkerung vorhanden“ seien.
Persönliche Erlebnishorizonte
Im „Club der klaren Worte“ hatte eine anonyme leitende ÖRR-Redakteurin bereits im März 2021 einen Blick hinter die Kulissen der Corona-Begleitung gewährt. Das womöglich prominenteste Beispiel für den Diskursraum bei der ARD lieferte im Herbst 2021 allerdings Ole Skambraks. Der SWR-Mitarbeiter war entlassen worden, nachdem er seine Bedenken über die aus seiner Sicht einseitige Berichterstattung seines Arbeitgebers ebenfalls in einem offenen Brief („Ich kann nicht mehr“) zum Ausdruck gebracht hatte.
Skambraks hatte unter anderem sein Unverständnis darüber erklärt, dass „Wissenschaftlerinnen und Experten, die in der Zeit vor Corona respektiert und angesehen waren, denen Raum im öffentlichen Diskurs gegeben wurde“, im ÖRR „plötzlich Spinner, Aluhutträger oder Covidioten“ genannt und aus dem Kreis der potenziellen Gesprächspartner ausgeklammert worden waren.
Nach seinem Vorstoß erhielt Skambraks viel Zustimmung von Kollegen. Bald schlossen sich einige Dutzend Mitarbeiter des ÖRR zusammen, die ähnliche Beobachtungen wie Skambraks gemacht hatten. In ihren mittlerweile über 50 Berichten auf der Website „Meinungsvielfalt.jetzt“ ist viel von einem „politischen Filter“, dem allgegenwärtigen „Haltungsjournalismus“ und einem „Klima der Angst“ zu lesen. Noch heute bleiben viele der Autoren lieber anonym – aus Angst, eine Ähnliche Erfahrung wie Skambraks zu machen, heißt es auf der Webseite.
Der ARD-Sprecher aber schrieb, dass es beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk „selbstverständlich“ sei, dass „die Beschäftigten intern kritische Diskussionen führen“ könnten. Nur „wenn ein Beschäftigter nachweislich falsche Behauptungen verbreitet, die den Arbeitgeber diskreditieren und den Betriebsfrieden empfindlich stören“, könne dies „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ nach sich ziehen.
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