Arbeitsgericht Bonn: Ulrike Guérot verliert in erster Instanz

Das Arbeitsgericht Bonn sieht die Blitzentlassung der Politikwissenschaftlerin wegen Plagiatsvorwürfen als rechtens an. Guérots Anwalt geht von einer „sicher falschen Argumentation“ aus und erklärt, die Politikwissenschaftlerin werde in Berufung gehen.
Titelbild
Die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Ulrike Guérot wird in Berufung gehen.Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times
Von 24. April 2024

In dem kleinen Saal des Arbeitsgerichts Bonn ist Platz für 40 Menschen. Nicht ausreichend an diesem Morgen. Deutlich mehr Zuschauer hätten die Verhandlung gerne verfolgt, als vom Gericht in den Raum gelassen wurden. Zahlreiche Sympathisanten von Ulrike Guérot mussten vor der Tür ausharren.

Dort, im Saal 7 wurde heute ab 10:30 Uhr das Verfahren in erster Instanz verhandelt, das Ulrike Guérot gegen die Universität Bonn angestrebt hat. Die Lehranstalt hatte der Politikwissenschaftlerin und Publizistin wegen Plagiatsvorwürfen Anfang letzten Jahres gekündigt.

Das Gericht hat die Klage abgewiesen. Es erachtet die Vorwürfe als begründet.

Andrang vor dem Arbeitsgericht Bonn. Doch Saal 7 fasst nur 40 Plätze. Etwa ein Dutzend Zuschauer wurden hineingelassen. Foto: Oliver Signus

Was bisher geschah

Ein Blick zurück: Ulrike Guérot war bis 2020 im politischen Diskurs, in Medien und akademischen Kreisen eine gefragte Person. Sie war die „glühende Europäerin“.

Wenn ein EU-Gipfel stattfand, rief meistens morgens irgendein ARD-Radio-Studio an und saß ich abends bei Maybritt Illner.“

Das berichtete die Politikwissenschaftlerin im Gespräch mit EMMA. Doch dann kam Corona, Guérot verstand die Welt und viele ihrer links-bürgerlichen Bekanntschaften nicht mehr.

Sie veröffentlichte „Wer schweigt, stimmt zu – Über den Zustand unserer Zeit. Und darüber, wie wir leben wollen“. Seitdem galt sie im Mainstream als querdenkerische Maßnahmenkritikerin.

Wendepunkt bei Markus Lanz

In die ZDF-Talkshow Markus Lanz wurde sie im Sommer 2022 dennoch eingeladen. Es ging um den Krieg in der Ukraine. Diesbezüglich plädiert Guérot für eine detaillierte historische Analyse des Konfliktes, eine Einbettung der verschiedenen Interessenlagen in den geopolitischen Kontext, für einen Waffenstillstand und diplomatische Verhandlungen. Ihre Sicht hat Guérot im Buch „Endspiel Europa“ (2022) dargelegt.

In der Sendung wurde sie nicht nur von FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und dem Journalisten Frederic Pleitgen verbal scharf angegangen, auch Moderator Markus Lanz ergriff Partei gegen Guérot.

Ein Zuschauer kommentierte die Sendung mit folgenden Worten:

„Sie plärrten unisono gegen die geladene Bonner Politikwissenschaftlerin, die gar nicht dazu kam, einen sachlichen Beitrag zu formulieren, geschweige denn einmal die Historie des Konflikts, die verflochtenen Kriege und einen möglichen Ausweg aufzuzeigen. Der Moderator fragte sie zwar, sie setzte auch zur Antwort an und schon fuhr er ihr wieder über die Lippen, mit Vorwürfen und Unterstellungen.“

„Gestörtes Verhältnis zur Wahrheit“

Genau einen Tag nach der Talkrunde erschien in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ eine Anklage des Politikwissenschaftlers Markus Linden. Er erklärte, mehrere Plagiate in Guérots Büchern gefunden zu haben, die „ihr gestörtes Verhältnis zur Wahrheit“ dokumentieren würden.

Daraufhin folgten unzählige Artikel in fast allen überregionalen Zeitungen Deutschlands. Der Tenor war einheitlich. Eine simple Google-Recherche am 08.10.2023 ergab 2.850 Ergebnisse zum Schlagwort „Ulrike Guérot umstritten“, wie Autor Jan David Zimmermann im Buch „Umstritten – ein journalistisches Gütesiegel“ von Herausgeber Marcus Klöckner zeigt.

Am 14. Februar 2023 kündigt die Universität Bonn der Politologin und Europaexpertin, obwohl sie Guérot erst im Jahr zuvor eingestellt hatte.

Grund für die Entlassung waren nach Angaben der Universitätsleitung Plagiate in mehreren Sachbüchern. Guérot selbst ging davon aus, dass ihre „umstrittenen Positionen zu Brexit, Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg“ die wahre Ursache sei. Nach Angaben des „Spiegel“ hatte Guérot den Ukraine-Krieg in ihrem Text „Endspiel Europa“ unter anderem als „lang vorbereitete[n] amerikanische[n] Stellvertreterkrieg“ beschrieben.

„Eher originell als sorgfältig“

Guérot hatte eingeräumt, wahrscheinlich nicht sorgfältig genug beim Schreiben von zwei Büchern gewesen zu sein. Es geht um die Werke „Warum Europa eine Republik werden muss! Eine politische Utopie“ (2016) und „Wer schweigt, stimmt zu“ (2022), in dem Guérot die Corona-Maßnahmen der Regierung kritisiert hat.

Ich bin tatsächlich – und habe kein Problem damit, das zuzugeben – eher originell oder ‚geistreich‘ als sorgfältig (kann man beides sein?)“

Dies sagte Guérot im für sie heißen Sommer 2022 in einem Porträt des „ZEIT“-Journalisten Ijoma Mangold. Bei den beanstandeten Texten handele es sich aber nicht um „wissenschaftliche Veröffentlichungen“.

Die Bonner Uni beeindruckte dieses Argument allerdings nicht: Guérots Europa-Bestseller habe schließlich auch bei ihrer Berufung an die Hochschule im Jahr 2021 eine Rolle gespielt. Der „Plagiatsjäger“ Dr. Stefan Weber fand unterdessen etliche Beispiele für unsaubere Arbeit in Guérots Texten.

Gerichtstermin mehrfach verschoben

Die Wissenschaftlerin wehrte sich gegen den Rauswurf und zog vor das Arbeitsgericht Bonn. Ein Gütetermin am 28. April 2023 brachte keine Lösung, wie Guérot in einem YouTube-Video vom 1. Juli 2023 im Gespräch mit dem Historiker Daniele Ganser bestätigte. Ihr Streit mit der Uni Bonn sollt ursprünglich bereits am 25. Oktober 2023 in erster Instanz verhandelt werden, doch der Termin wurde mehrfach verschoben.

Ein Jahr zuvor hatte sich die Universität von Guérot in einer Stellungnahme distanziert: „Ein Mitglied der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn ist wiederholt mit öffentlichen Äußerungen zu unterschiedlichen Themen in die Kritik geraten.“

Nach der Einleitung erklärt die Universität ihre Haltung im Ukraine-Krieg. Sie verurteile aufs Schärfste den Angriffskrieg Russlands, bekenne sich solidarisch mit den Menschen in der Ukraine und beteilige sich an vereinbarten Sanktionen.

Dann folgt ein Bekenntnis zur Freiheit der Wissenschaft:

Die Äußerungen einzelner Wissenschaftler*innen stellen grundsätzlich keine Positionen der Universität Bonn dar. Wissenschaftler*innen genießen neben der grundrechtlich verbrieften Meinungsfreiheit auch Wissenschaftsfreiheit.“

Im letzten Teil der Stellungnahme geht es um die Vorwürfe gegen Guérot: „Die Freiheit von Forschung und Lehre ist ein Privileg, das jedoch auch mit großer Verantwortung einhergeht, dem Ansehen und dem Vertrauen gerecht zu werden, die der Wissenschaft entgegengebracht werden. Dazu gehört es, allgemeine Standards guter wissenschaftlicher Praxis zu wahren und namentlich spekulative, nicht wissenschaftlich belegbare Behauptungen zu unterlassen. Verdachtsfälle auf Fehlverhalten werden im Einzelfall von den zuständigen Stellen geprüft und gegebenenfalls sanktioniert.“

Guérots Anwalt: Schranken der Meinungsfreiheit

Im Schriftsatz von Guérots Anwalt Tobias Gall, der Epoch Times vorliegt, erklärt dieser, die Universität habe mit der Erklärung „nicht nur ihre eigentümlichen Einschätzungen zu vermeintlichen Schranken der Meinungsfreiheit von Wissenschaftlern zumindest an der Universität Bonn“ offenbart. Außerdem kündigte sie auch ihre weitere Vorgehensweise gegenüber der Klägerin an, „nämlich deren etwas differenziertere und komplexere Einschätzungen zum Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine zu ,sanktionieren‘, das heißt (im strafrechtlichen Sinne) zu bestrafen, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen“.

Demonstranten, Musiker und Zuschauer haben sich am Morgen des Prozesstages vor dem Arbeitsgericht Bonn versammelt. Foto: Oliver Signus

Den Entscheidungsträgern sei später bewusst geworden, „dass ein derartiges Vorgehen einen gezielten Grundrechtseingriff ohne jede mögliche Rechtfertigung“ und auch einen vorsätzlichen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht der Universität bedeute. Gall sprach von einer „kündigungsschutzrechtlichen Schussfahrt in die Unwirksamkeit“, sodass man sich an der Uni dazu entschlossen habe, „die Behauptungen Dritter zu angeblichen Plagiaten in einzelnen Werken der Klägerin für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses fruchtbar zu machen“. Doch auch nach 207 Seiten von Begründungsversuchen sei dies dennoch nicht gelungen: „Die Kündigung vom 14. Februar 2023 war und ist unwirksam und rechtlich nicht geeignet, das Arbeitsverhältnis der Klägerin zu beendigen“, betonte der Anwalt. Es hätten keine Gründe für eine Kündigung vorgelegen. Daher sei sie „eine vollkommen unverhältnismäßige Sanktionierung diverser Grundrechtsausübungen“.

„Nur kleinere Unkorrektheiten bei der Zitation“

Die Uni werfe Guérot wissenschaftliches Fehlverhalten und somit Vertragspflichtverletzungen vor, weil drei ihrer Bücher „Zitationsfehler“ enthielten. Verletzungen des Vertrages beschreibe die Uni jedoch gar nicht. Sie möchte „lediglich den (wissenschaftlichen bzw. publizistischen) Ruf der Klägerin beschädigen, um sie als untragbar für ein Arbeitsverhältnis mit ihr zu diskreditieren“, führte Gall weiter aus. Da die Fehler nur 1,5 Prozent der Seiten der drei Werke betreffe, seien dies nur „marginal“ zu nennende „kleinere Unkorrektheiten bei der Zitation“. Durch ihre drei Werke konnte Guérot ihre vertraglichen Pflichten nicht verletzt haben.

Guérot sei beim Verfassen der drei Bücher ihrem Arbeitgeber in keiner Weise verpflichtet gewesen. Fehler seien daher keine Vertragspflichtverletzungen. Von vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Fehlverhalten könne daher keine Rede sein. Eine Entlassung – sogar ohne vorherige Abmahnung – sei nicht rechtens. „Die Klägerin hat ihre arbeitsvertraglichen Pflichten nie verletzt“, etwas anderes ergebe sich nicht aus den 207 Seiten der „Begründungsversuche“ der Universität, so Anwalt Gall.

Standpunkt des Gerichts: „Pflichtverletzung der Klägerin durch Täuschung“

Das Gericht stimmte hingegen der Begründung der Universität zu und erklärte, es handele sich um eine „Pflichtverletzung der Klägerin durch Täuschung“. Der ausschlaggebende Beweis für das Gericht war Guérots Buch „Warum Europa eine Republik werden muss!“. In diesem Werk habe die Wissenschaftlerin mehrere Stellen nicht korrekt zitiert und sich das Werk anderer Autoren zu eigen gemacht. Dies sei wissenschaftliches Fehlverhalten und wurde vom Gericht als Plagiat gewertet. Eine Täuschung liege vor, da sich Guérot unter anderem mit diesem Buch um die Professur in Bonn beworben habe. Die Politikwissenschaftlerin bewege sich auf höchstem akademischen Niveau. Dies wurde vom Gericht als besonders schwerwiegend betrachtet und rechtfertige eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung.

Guérots Anwalt argumentierte hingegen, die Behauptung, die Wissenschaftlerin habe das Werk „ausdrücklich als eine einer Habilitation gleichwertige Leistung selbst in das Bewerbungsverfahren eingeführt“, sei falsch. In einer Anlage habe Guérot nur darauf hingewiesen, dass das Buch von der „Donau-Universität Krems als einer Habilitation gleichwertige Leistung anerkannt“ worden sei. Die Anerkennung habe die Bonner Uni „jedoch selbst durchgeführt“.

Zuversichtlich in die zweite Instanz

Laut einem tweet des Rechtsanwalts Alexander Christ sieht Anwalt Gall die mündliche Urteilsbegründung auf einer „sicher falschen Argumentation“ aufbauend. Dies stimme seine Mandantin sehr zuversichtlich für die Berufungsinstanz.

Ulrike Guérot stand direkt nach der Verhandlung für Interviews nicht zur Verfügung.

(Mit Material der dpa)



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