Am fünften Tage wird geruht. Die 4-Tage-Woche im Handwerk: Realistisch oder undenkbar?
Es klingt wie ein wahrgewordener Traum: Eine kurze Arbeitswoche und ein verlängertes Wochenende. Und das für immer. Das Modell der 4-Tage-Arbeitswoche erscheint überaus attraktiv. Woher die Idee dazu stammt, lässt sich nicht genau bestimmen.
Fakt ist, dass das neue Zeitmodell kein kurzzeitiger Trend in der Geschäftswelt zu sein scheint, denn viele Unternehmen weltweit haben es schon ausführlich getestet, wie zum Beispiel Microsoft in Japan. Island hat seit 2015 in einem großen Experiment die Auswirkungen der verkürzten Wochenarbeitszeit genauer untersucht und zahlreiche positive Erkenntnisse abgeleitet.
Auch hierzulande wünschen sich viele Arbeitnehmer insgeheim eine kürzere Arbeitswoche und mehr Freizeit. Ist die 4-Tage-Woche in der Handwerksbranche umsetzbar? Vielen Meistern, Gesellen und Azubis brennt doch vor lauter Arbeit der Hut, sollte man meinen. Denn auch in diesem Sektor sind oft Überstunden angesagt, um der großen Nachfrage der Kunden gerecht zu werden. Kann bei solch einem „Fulltime-Job“ das Modell einer 4-Tage-Woche überhaupt greifen? Und gibt es auch Nachteile?
Ein genauer Blick lohnt sich. Einige Handwerksbetriebe in Deutschland haben bereits auf das neue Zeitmodell umgestellt. Wie funktioniert das in der Praxis? Wir haben mit zwei Fachleuten gesprochen.
„Wirtschaftlich attraktiv für alle“
Laut Christian Keller sei die 4-Tage-Woche im Handwerk einer der größten Vorteile schlechthin. Keller ist Gründer und Geschäftsführer von „Kellerdigital“. Mit seiner Onlinemarketing-Agentur in Frankfurt unterstützt er Handwerksunternehmen dabei, Mitarbeiter zu gewinnen.
Drei Varianten des neuen 4-Tage-Modells gebe es, die seine Kunden schon erfolgreich in ihren Unternehmen etabliert hätten, so Keller. Variante eins sei das „fairste Modell für den Arbeitgeber“. Es werde an vier anstatt an fünf Tagen gearbeitet, aber auch nur 80 Prozent vom Lohn ausbezahlt. Der Arbeitnehmer gewinne dadurch mehr Flexibilität.
Variante zwei falle zugunsten des Arbeitnehmers aus: Hier zahle der Arbeitgeber trotz einer 4-Tage-Woche à acht Stunden Arbeitszeit den vollen Lohn oder 95 bis 98 Prozent des Lohns aus. Diese Version könne, sagt Keller, der Arbeitgeber aber meist schwer anbieten.
Die dritte Variante bezeichnet der Experte als „die wirtschaftlich attraktivste für alle“. Die 40 beziehungsweise 38,5 Arbeitsstunden werden verdichtet und auf eine 4-Tage-Woche umverteilt. Konkret lasse sich so beispielsweise ein Spätservice ab 18 Uhr anbieten, zur Freude der Kunden.
„Der Oberknaller“: Vier Tage am Stück frei
Generell funktioniere die 4-Tage-Woche am effektivsten, wenn zwei Teams von Mitarbeitern gebildet würden, die man rotieren lässt, so Keller. „Eines, das von Montag bis Donnerstag arbeitet und eines von Dienstag bis Freitag. Dann wird gewechselt.“
Daraus ergebe sich der allergrößte Benefit: Eine Woche arbeite man Montag bis Donnerstag und habe Freitag, Samstag, Sonntag und Montag frei. In der Folgewoche beginne man Dienstag und habe ein normales Wochenende frei. Ergo habe man alle 14 Tage ein verlängertes 4-Tage-Wochenende. „Das ist der Oberknaller jeder Kampagne“, verrät der Agenturchef.
50 Stunden die Woche im Einsatz!
Einer, der es genau weiß und schon ausprobiert hat, ist Geschäftsführer Peer Hildmann. Seine Mitarbeiter kommen auf 25 lange Wochenenden im Jahr, sprich, sie genießen 25 Mal im Jahr 4-Tage-Wochenenden.
Durch die geschickte Aufteilung und zwei rotierende Teams von Mitarbeitern, die jeweils an vier Tagen die Woche ihre 40 Stunden arbeiten, schlägt Hildmann auch mehr Service für seine Kunden heraus: „Wir sind jetzt schon um die 50 Stunden die Woche im Einsatz und nicht mehr 40 Stunden“, sagt der Geschäftsführer und Inhaber zweier Sanitärunternehmen.
Im Jahr 2020 habe er die 4-Tage-Woche in seinem Familienbetrieb „Hildmann Bad & Heizung“ in Kronberg, das aktuell 20 Mitarbeiter beschäftigt, integriert, wobei nur 50 Prozent aller Mitarbeiter dieses neue Arbeitsmodell anwenden würden. Die andere Hälfte arbeite weiterhin ganz normal an fünf Tagen die Woche. „Die 4-Tage-Woche ist keine Pflichtveranstaltung, sondern nur für interessierte Mitarbeiter“, gibt Hildmann Auskunft.
Auch in seinem zweiten Unternehmen „Karl Lotz“ in Frankfurt mit etwa 30 Mitarbeitern habe er 2021 das neue Zeitmodell implementiert. Da seien es aber „doch sehr, sehr wenige, die die 4-Tage-Woche machen, weil wir sehr alte Strukturen haben.“ Die Mitarbeiter seien bereits seit mehreren Jahrzehnten im Unternehmen und dadurch nicht sehr offen für Veränderungen, erklärt Hildmann. „Lediglich die neuen Mitarbeiter und die, die sich bewerben, möchten die 4-Tage-Woche machen.“
Generell sei die 4-Tage-Woche eher für jüngere Leute attraktiv, bestätigt Agenturchef Christian Keller. „Alles, was mit Arbeitsflexibilität zu tun hat, flexiblere Arbeitszeiten und mehr Freizeit“, richte sich an Mitarbeiter unter dreißig.
Angestellte zunächst skeptisch
Hildmann habe die 4-Tage-Woche eingeführt, weil er seinen Mitarbeitern einen Mehrwert bieten wollte. „Irgendwann ist Geld natürlich endlich. Man kann nicht immer mehr zahlen. Zumal dann auch dieser Effekt von mehr Geld zahlen schon im zweiten Monat wieder verpufft ist, weil die Mitarbeiter das gar nicht mehr sehen und wertschätzen“, so der Geschäftsführer.
Die 4-Tage-Woche wollte er in seinem Betrieb in einer Weise umsetzen, „sodass die Mitarbeiter einen Vorteil haben, die Kunden einen Vorteil haben und ich als Unternehmer auch einen Vorteil habe“. Als er 2019 seinen Mitarbeitern erstmalig seine Idee vorstellt, erntet er von ihnen „einen riesen Shitstorm“. Er stand zunächst vor einer Mauer aus „Argumenten und Vorwänden“.
Angst vor Veränderungen, Angst vor Mehrarbeit oder dass die Fehlerquote steigen würde, weil man sich nicht mehr so gut konzentrieren könne, waren nur einige der Begründungen seiner Mitarbeiter. „Alles Quatsch. Diese Sachen habe ich alle gemessen. Sie trafen nicht zu“, sagt Hildmann und erklärt weiter:
„Im Handwerk ist der Freitag immer ein halber Tag. Man arbeitet also ohnehin schon acht Stunden von Montag bis Donnerstag. Auf diese anderthalb Stunden mehr kommt es nicht an. Früher haben die Mitarbeiter das sowieso immer in Form von Mehrarbeit, sprich Überstunden leisten müssen. Der Vorteil ist jetzt, dass diese Überstunden nicht mehr passieren.“
Hildmann ließ sich jedenfalls alle Einwände und Befürchtungen seiner Mitarbeiter durch den Kopf gehen und fand für jedes Argument eine Lösung. Sein überarbeitetes Konzept stellte er einige Zeit später seinen Angestellten nochmals vor. Diesmal gingen alle Hände hoch, als er die Frage stellte, wer denn jetzt an der 4-Tage-Woche interessiert sei.
Glücklichere = produktivere Mitarbeiter?
„Wenn gewährleistet ist, dass die Beschäftigten sich auch bei einer Verdichtung der Arbeitszeit tatsächlich erholen können, ist die 4-Tage-Woche eine gute Sache“, sagt Sebastian Jakobi, Arbeitspsychologe in Potsdam. Man habe einen Tag mehr in der Woche, um etwas Schönes zu unternehmen, Zeit mit der Familie zu verbringen und könne durchaus mehr Lebensfreude gewinnen, so der Experte. Insgesamt tue es der Psyche gut.
„Vier Tage Arbeit bis zum Umfallen und dann drei Tage aufbrauchen, um sich von dem Zustand wieder zu erholen, wäre allerdings sehr schlecht“, fügt er kritisch hinzu.
Die Gesundheit seiner Mitarbeiter ist für den Geschäftsführer Hildmann ein Anliegen. „Der Gedanke ist: Mehr Erholung ist gleich ein fitterer Körper und auch freierer Geist. Das trägt zur Arbeitsmoral und zur Arbeitsaktivität bei.“
Den Gesundheitseffekt auf seine Mitarbeiter konnte Hildmann bislang allerdings noch nicht statistisch auswerten – „Corona kam dazwischen.“ Ob die Angestellten durch die Arbeit erschöpft und krank wurden, ließ sich daher nicht eindeutig erfassen. „Die meisten sind schon an Corona erkrankt“, merkt er an.
CEO: „Ich habe eine 3-Tage-Woche“
Gilt die 4-Tage-Woche nur für seine Mitarbeiter oder auch für den Geschäftsführer Hildmann selber?
„Das, was ich tue, ist meine Berufung. Und weil ich es gerne tue, arbeite ich auch sehr gerne. Deswegen kam es für mich eigentlich nie infrage, die 4-Tage-Woche für mich einzuführen. Allerdings habe ich letztes Jahr tatsächlich damit angefangen“, gibt er zu.
Und das, obwohl er Geschäftsführer nicht nur zweier, sondern dreier Unternehmen ist. Denn neben den beiden Sanitärunternehmen leitet Hildmann zusätzlich eine Coachingfirma, die genau die 4-Tage-Woche vermarktet.
„Tatsächlich ist es so, dass ich dienstags in der einen, mittwochs in der anderen und donnerstags in der dritten Firma arbeite. Montags und freitags überlege ich, wo ich arbeite und ob ich arbeiten möchte. Eigentlich habe ich eine 3-Tage-Woche“, so Hildmann. „Mein Vorteil ist: Ich arbeite nicht im Unternehmen, ich arbeite am Unternehmen.“
Vertrauen an die Mitarbeiter abgeben
Neues in Angriff zu nehmen und eine 4-Tage-Woche in ein Unternehmen zu implementieren, setzt auch gewisse Eigenschaften und Fähigkeiten einer Führungskraft voraus. Hildmann bezeichnet sich selbst als grundlegenden Optimisten. Es gehe ihm dabei aber nicht um Mut oder Risikobereitschaft. Vielmehr sei das 4-Tage-Modell „einfach zeitgemäß“.
„Ich denke immer voraus und bin vielleicht ein kleiner Visionär. Ich habe auch viele andere Dinge in meinem Betrieb umgesetzt, die andere Firmen vielleicht anders machen: Ich übertrage Verantwortung auf meine Mitarbeiter, das heißt, ich delegiere nicht“, so der Geschäftsmann.
Das Vertrauen in seine Angestellten und die Verantwortung, die er an sie überträgt, würden diese auch ernst nehmen und wertschätzen. „Weil sie nicht mehr der Befehlsempfänger sind, sondern sie haben eine Aufgabe.“ Durch diese Unternehmensstruktur könne sich Hildmann jederzeit auf seine Mitarbeiter verlassen.
Das Gehalt der Mitarbeiter bleibe bei der umverteilten 40-Stunden-Woche gleich, sagt Hildmann. „Wobei ich schon übertariflich bezahle.“ Aktuell feilt er aber schon an einem neuen Konzept, in dem er die wöchentliche Arbeitszeit auf neun Stunden pro Tag reduzieren wolle. „Das wären praktisch vier Stunden weniger, sprich 10 Prozent weniger Arbeit bei gleichem Lohn. Das ist aber noch in der Konzeptphase.“
Nicht überall anwendbar
Das neue Modell sei aber nicht für jede Branche und jeden Arbeitsbereich umsetzbar, sagt Agenturchef Christian Keller: „Man kann es sehr schwer auf den ganzen Betrieb anwenden. Die kaufmännische Abteilung, das Backoffice, muss ja trotzdem Freitag funktionieren“, spricht der Experte aus eigener Erfahrung.
In seiner eigenen Agentur, die zwölf Mitarbeiter beschäftigt, gebe es die 4-Tage-Woche nicht. Hier wird noch klassisch an fünf Tagen gearbeitet. Ausprobieren möchte er das neue Zeitmodell auch nicht:
„Weil ich nicht den Vorteil anwenden kann, den meine Kunden haben. Wir können zu ganz normalen Werkzeiten mit unseren Kunden zusammenarbeiten. Wir arbeiten nicht nach Stundenlohn, können also auch nicht zu späteren Zeiten mehr fakturieren. Als Onlinemarketing-Agentur haben wir überhaupt kein Problem, Mitarbeiter zu finden. Es ist eine Branche, in die die Leute hineinwollen.“ Bei Handwerksberufen sehe das aber anders aus. „Ins Handwerk wollen die Leute eher schwer.“
Initiativbewerbungen trudeln ein
Das 4-Tage-Modell nutze die Agentur hauptsächlich als Vehikel, „um nach Außen hin zu zeigen, warum dieser Betrieb attraktiv ist. Wenn ich in Frankfurt die Wahl habe, von drei Heizungsunternehmen eines zu wählen, welches eine 4-Tage-Woche anbietet, dann würde ich Brief und Siegel dafür geben, dass das der Betrieb ist, wo sich der Kandidat bewirbt.“
Bestätigen kann dies auch Peer Hildmann. Ein „schöner Nebeneffekt“ seien die vielen Initiativbewerbungen, die er erhält, seitdem er die 4-Tage-Woche in seinem Betrieb anbietet. „Ich muss gar nicht mehr für neue Arbeitsstellen werben – die Leute kommen aktiv auf mich zu,“ sagt er erfreut.
Ob das Modell Zukunftspotenzial hat, betrachtet Agenturchef Christian Keller positiv, aber durchaus kritisch. So mache das Modell als Vehikel in bestimmten Branchen und Mangelberufsgruppen Sinn, um für neue Arbeitnehmer wieder attraktiver zu werden, erklärt er.
„Vor allem in Zeiten von Fachkräftemangel wie in der Pflege, im Handwerk, vielleicht sogar in der IT ist es attraktiv.“ Das Modell ergebe aber nicht überall Sinn. „Im Gegenteil. Ich würde sagen, wenn alle Betriebe in Deutschland eine 4-Tage-Woche haben würden, würden wir noch schneller den Anschluss verlieren, als wir es sowieso schon tun.“
Peer Hildmann hat eine andere Vision: „Das gesamte deutsche Handwerk im Heiz- und Sanitärbereich wird ab 2030 nur vier Tage am Stück arbeiten.“
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