90 Jahre „Vater und Sohn“: Es begann mit einem „schlechten Hausaufsatz“
Das hier ist die tragische Geschichte vom erfolgreichsten Comic in Nazi-Deutschland und ihrem Erfinder – einem Nazi-Gegner. Es ist eine anarchische, lustige und herzliche Welt, die vor 90 Jahren – am 13. Dezember 1934 – mit dem deutschen Comic-Strip „Der schlechte Hausaufsatz“ ihren Anfang genommen hat: „Vater und Sohn“.
Jedes Mal stehen der rundliche schnauzbärtige Vater und sein kleiner Sohn im Mittelpunkt, machen zusammen Faxen und müssen oft auch dafür ein bisschen einstecken. Die Reihe „Vater und Sohn“ hat mit ihrem zeitlosen Humor sofort Millionen Leser bezaubert, das gelingt ihr noch heute.
Bedeutung mit „Max und Moritz“ vergleichbar
Geschaffen hat die Figuren der Zeichner Erich Ohser (1903-1944), der unter dem Pseudonym e.o.plauen arbeitete.
„Vater und Sohn“ sei in der Geschichte des deutschsprachigen Comics gleich nach Wilhelm Buschs „Max und Moritz“ einzureihen, erläutert Museologin Sarah Kühnel, Interimsleiterin der Erich Ohser – e.o.plauen Stiftung in der sächsischen Heimatstadt des Zeichners, Plauen. Dort ist in der Galerie e.o.plauen bis Ende März eine Jubiläumsschau zu sehen.
„Der besondere Zauber liegt zum einen in der humorvoll-berührenden Darstellung der Beziehung zwischen Vater und Sohn“, sagt die Expertin.
Jeder Mensch könne sich in die eine oder andere Situation hineinversetzen – „sei es aus der Perspektive des Vaters als Erziehenden oder des Sohnes als Kind“. Ohser habe selbst eigene Erfahrungen und Erinnerungen eingeflochten. Zudem hätten seine Bilder nur ganz selten Text – seien für Groß und Klein verständlich.
Die deutsche Antwort auf Micky Maus
Und so geht es im ersten Strip los: Verzweifelt hockt der kleine Sohn über seiner Hausaufgabe. Sein Vater will helfen und schreibt den Aufsatz für den Knirps mal eben zu Ende. Doch am nächsten Tag kommt das Ergebnis beim Lehrer gar nicht gut an. Am Ende legt der Pauker den Autor des Gemurkses schließlich übers Knie: den Vater.
Zeichner Ohser trifft mit „Vater und Sohn“ auf eine Marktlücke. Die „Berliner Illustrirte Zeitung“ – größte Zeitschrift des Deutschen Reiches – blickt neidisch auf die US-Comics von Micky Maus und hätte auch gern so ein Unterhaltungsformat.
Als Ohser dort 1934 seine Figuren vorschlägt, steht er – selbst junger Vater eines Kleinkinds – gerade vor dem Nichts. Zu oft hat er in den Jahren zuvor für SPD-nahe Blätter Hitler und Goebbels karikiert.
Vom Berufsverbot zum Massenerfolg
Das rächt sich nach 1933. Ohser beobachtet den Aufstieg der Nazis mit großer Sorge. Viele seiner eigenen politischen Zeichnungen vernichtet der Freund des Schriftstellers Erich Kästner selbst – aus Angst vor deren Entdeckung.
Sein Antrag auf Mitgliedschaft in die Reichspressekammer wird abgelehnt – was im NS-Regime „einem Berufsverbot gleichkam“, so Kühnel. Erst als Ohser sich das Pseudonym e.o.plauen zulegt, darf er wieder arbeiten.
Dieses Doppelleben wird er Jahre später in einer Zeichnung verschlüsselt aufgreifen, als der „Vater“ im Comic seinen mächtigen Schnauzbart abnimmt, als Haarschopf auf die Glatze setzt – und ein Selbstporträt von Ohser entsteht.
Auch das Schaffen von Ohser wird in diesen Jahren ambivalente Züge entwickeln. Für die Wochenzeitung „Das Reich“, die im Vergleich zu anderen NS-Medien am ehesten als journalistisch ernstzunehmen galt, schafft er Karikaturen des Kriegsgegners Russland von starker propagandistischer Kraft. Ohser mag die Nazis nicht, doch die Sowjets sind ihm auch zuwider. Und die Aufträge bringen gutes Geld.
Maskottchen für Olympia 1936
„Vater und Sohn“ erreicht in den 1930er Jahren eine Popularität, die man sich kaum ausmalen kann. Die Sammelbände erzielen Schätzungen zufolge eine Gesamtauflage von 170.000 Exemplaren. Die Werbebranche macht die zwei Helden schnell zu Testimonials, nicht nur für Konsumprodukte. Sie sind Maskottchen für Olympia in Berlin, für das NS-Winterhilfswerk und die Reichstagswahl 1936. Piloten der Wehrmacht pinseln das friedfertige Duo sogar auf Kampfflugzeuge.
Waren diese zwei Leserlieblinge im echten Leben Erich Ohser und sein Sohn? Dazu Museologin Kühnel: „In den ‚Vater und Sohn‘-Comicstrips vermischen sich zum Teil autobiografisch angeregte Situationen mit erfundenen. Dabei ist die Figur des Vaters sowohl durch Erich Ohsers eigenen Vater Paul Ohser als auch durch Ohsers eigene Rolle als Vater inspiriert.“
Ähnlich verhält es sich mit dem Sohn. „In ihm spiegeln sich sowohl Erinnerungen aus der Kindheit des Künstlers als auch Aspekte seines eigenen Sohnes Christian wider.“ Erich Ohser selbst habe es so gesagt: „Die „Vater und Sohn“-Zeichnungen sind Erinnerungen an meine Kindheit, ausgelöst durch die Freude am eigenen Sohn.“
Tod in der Zelle
Abfällige Äußerungen über das NS-Regime werden Ohser schließlich zum Verhängnis. Ein Hauptmann und dessen Ehefrau denunzieren ihn und einen Schriftsteller-Kollegen. Kühnel: „Daraufhin wurden beide am 28. März 1944 als „Wehrkraftzersetzer“ von der Gestapo verhaftet.“
Die Nazi-Justiz macht dem populärsten Zeichner des Landes mit Bedacht in aller Stille den Prozess. Noch vor dem Urteil nimmt sich Ohser im April 1944 in der Zelle das Leben.
Seine Witwe Marigard Bantzer (1905 – 1999) zog mit ihrem Sohn nach Karlsruhe und baute sich dort eine neue Existenz auf, wie Kühnel erläutert. Ohsers Sohn Christian wanderte in die USA aus. „Heute ruhen sowohl Erich Ohser als auch sein Sohn Christian samt Ehefrau auf dem Plauener Hauptfriedhof.“ Den Nachlass hatte Christian und seine Frau der Stiftung in Plauen vermacht.
„Vater und Sohn“ als Ampelfiguren
Im Straßenbild der sächsischen Kreisstadt erinnern unter anderem auch „Vater und Sohn“-Ampelfiguren an die sympathischen, unsterblichen Comichelden. Weil es kaum Forschungsergebnisse zu ungewöhnlichen Signalfiguren im Verkehr gibt, bekommt die Ampel allerdings immer nur Genehmigungen auf Zeit, zuletzt bis 2027.
Die Chancen für die Zukunft stehen allerdings gut: „Die aktuelle Auswertung des Unfallgeschehens hat ergeben, dass sich keinerlei Unfälle (…) in den letzten beiden Jahren ereignet haben“, so die Stadt Plauen kürzlich in einer Mitteilung. Die Welt von „Vater und Sohn“ scheint etwas Gutes zu verbreiten. (dpa/red)
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