Weihnachten als Zeitenwende

Weihnachten war und ist mehr als nur ein Fest der Geschenke. Man erkannte es in der Welt bis heute auch als Tag der geistigen Zeitenwende. Zu den Künstlern, die diesem Geschehen einen bildlichen Ausdruck verliehen, gehörte um 1500 herum der deutsche Maler Albrecht Dürer.
Titelbild
Von 23. Dezember 2022

Knapp die Hälfte aller Menschen in Deutschland (49 Prozent) bekennt sich zum Christentum. Und sie alle – und Millionen Nichtchristen mit ihnen – feiern heute Abend Weihnachten. Weihnachten ist zwar strenggenommen erst am 25. Dezember, aber nach alter jüdischer Sitte beginnt ein jeder Festtag schon am Vortag mit Anbruch der Dunkelheit. Daher wird in Deutschland Weihnachten am 24. Dezember gefeiert.

Weihnachten, das ist die geweihte Nacht, da zu Bethlehem im Stall ein kleiner Knabe geboren wird. Heiligabend ist für Christen eine hoffnungsvolle Zeitenwende. Das Datum hat die Zeitrechnung weltweit standardisiert. Wir schreiben heute das Jahr 2022 nach Christi Geburt. Allerdings sollte man die Zeitenwende nicht zu hoch hängen.

Damals, im Jahre Null, bekamen die Zeitenwende nicht alle sofort mit. Die meisten verschliefen den Epochenwechsel einfach. Nicht so die Hirten, die nachts draußen waren auf freiem Feld. Dort hielten sie Wache und schon deshalb die Augen offen. Oder die drei Weisen aus dem Morgenland. Den gelehrten Astronomen war der Stern zu Bethlehem mehr als eine flüchtige Erscheinung und insofern alles andere als gleichgültig.

Weihnachten ist im strengen Sinne nichts weiter als ein Geburtstag, na ja, nicht irgendeiner, sondern immerhin der von Gottes Sohn. Das glauben Abermillionen Menschen rund um den Globus. Weihnachten ist ihnen ein Wunder. Wenn es dieses Fest nicht gäbe, müsste man es direkt erfinden. Das Schönste an Weihnachten ist, in die glänzenden Augen der Kinder zu schauen, die gleichsam angewurzelt und überwältigt vor dem von zahllosen Kerzen erleuchteten Weihnachtsbaum stehen. Und dann natürlich die Geschenke. Denn wer schenkt, wird selbst beschenkt.

Seit Jahrhunderten suchten Künstler, das Mysterium der heiligen Nacht ins Bild zu setzen. Und nur wenigen gelang dies so meisterlich und atmosphärisch dicht wie Albrecht Dürer, dem Malergenie aus Nürnberg. Den abgebildeten Weihnachtsaltar, ein sogenanntes Retabel, einen Altaraufsatz mit beweglichen Seitenflügeln, schuf Dürer für die Nürnberger Patrizierfamilie Paumgartner um 1500.

Das Meisterwerk ist mehr als ein halbes Jahrtausend alt. Menschen aus aller Welt kommen extra nach München, um diese Gemäldetafeln in der Alten Pinakothek zu sehen. Das Mittelbild zeigt Maria mit dem Christuskind im Zentrum. Joseph ist in Dreiviertelansicht von hinten gegeben. Die Figuren sind ungewöhnlich plastisch modelliert.

Dürer schildert das Geschehen in kräftigen Farben, mit zeittypischer Buntfarbigkeit, vor allem mit leuchtenden Blau- und Rottönen. Der bethlehemitische Stall ist hier als Architekturstaffage gegeben, als der legendäre Palast Davids, mit romanischen Säulen. Die Romanik lag zu Dürers Zeit bereits 400 Jahre zurück und er wollte damit auf das hohe Alter des deswegen baufälligen Palastes hinweisen.

Der Erzhumanist, Luthergefährte und Wiedererwecker des Altgriechischen, Philipp Melanchthon, sagt am Ende seiner „Rhetorik“, Dürer male monumental. Das ist richtig. Monumentalität, aber auch feierliche Ruhe und Abgeklärtheit kennzeichnen die Figuren zu beiden Seiten der Mitteltafel. Mit ihnen hat es eine besondere Bewandtnis. Sie zeigen nämlich die Stifter des Altars: links Stefan Paumgartner in Gestalt des heiligen Georg, rechts seinen Bruder Lukas in Gestalt des heiligen Eustachius. Es handelt sich um versteckte Porträts, sogenannte Kryptoporträts.

Die Brüder schlüpfen hier mit wehenden Fahnen in die Rolle von Streitern Christi. Darin liegt aus ihrer Sicht der Dinge nicht etwa freche Anmaßung, sondern eher konsequente Nachfolge Christi. Denn Stefan und Lukas Paumgartner war es mit der Nachfolge immerhin so ernst, dass sie sich 1498 als Pilger zusammen mit dem Herzog von Sachsen auf die nicht ungefährliche Reise ins Heilige Land begeben hatten.

Außerdem mochte es aus ihrer Perspektive allemal angebrachter erscheinen, wenn Dürer die Heiligen mit ihren Bildnissen malte, als wenn er beliebige Modelle, womöglich von zweifelhaftem Ruf, nur wegen markanter Gesichtszüge in die Heiligendarstellungen hineinsetzte. Lukas in der Rolle des heiligen Eustachius wirkt glaubhaft, weil athletisch und energisch. Stefan Paumgartner als heiliger Georg macht dagegen eine ziemlich saft- und kraftlose Figur. Dass er den Drachen in seiner Linken mutig im Kampf bezwungen hat, wird ihm keiner abgenommen haben. Dürers Realismus beschönigt erst gar nicht die aufgeweichte Statur des Kaufmanns in der Rolle des heldenhaften Recken.

Die weitverbreitete Praxis der Kryptoporträts blieb zeitgenössisch nicht unwidersprochen. Der Franziskaner Thomas Murner nimmt sie aufs Korn und reiht sie 1512 in die gängigen Torheiten der Zeit ein: „Wo er macht eines Heiligen Bild / das do gleichen sollt ihm selbst.“ Murner änderte nichts. Das Selbstbewusstsein der Stifter war enorm. Koste es, was es wolle – und koste es die Glaubwürdigkeit. Erstrangige Künstlerpersönlichkeiten wie Dürer setzten es auf Verlangen ins Bild und beschritten damit einen schmalen Grat. Auf der Mitteltafel erscheinen die Brüder übrigens ein zweites Mal, diesmal kleinfigurig und kniend, zusammen mit den übrigen Familienmitgliedern.

Dürers Paumgartner-Altar stand die meiste Zeit im Jahr mit geschlossenen Klappflügeln. Aber an Weihnachten, dem neben Ostern, Pfingsten und Christi Himmelfahrt wichtigsten christlichen Hochfest, öffnete man die Flügel. Die Menschen blickten dann auf die in prachtvolle Bilder umgesetzte Geburt Christi, ganz so wie die Hirten im Bildmittelgrund.



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