Sonne in der Stadt
Wo war sie nur all die Monate. Wir dachten schon, sie hätte uns vergessen.
Dabei hat sie hier in dieser Stadt ihre dankbarsten Fans.
Wir sitzen mit ihr schon draußen, im Café oder an der Spree, auch wenn sie sich nur kurz zeigt, uns nur für ein paar Momente ihre Aufmerksamkeit schenkt. Doch für uns zählt nur eins: Die Sonne ist endlich wieder da und nicht nur im Süden. Wer kann sie nicht verstehen, die Menschen, wenn sie beim ersten Lächeln der Sonne so dankbar, so ganz verzückt zurückstrahlen. Gut, den Wind hier, diesen alten Rowdy, muss auch die Sonne tolerieren. Wenn er manchmal ausrastet und wie jetzt im Frühjahr, einfach so, Pollen unters Publikum streut, wenn er Feinstaub und verirrte Fliegen uns in Lungen und Augen treibt, dann heißt es standhaft bleiben, schließlich haben wir solange auf sie gewartet. Und ist ihr Strahlen nicht aller Mühe wert?
Schon beeindruckend wie diese funkelnde Diva unsere Stadt in Atem hält. Zeitungen legen bedruckte Teppiche aus, widmen ihr Sonder-beilagen und Extraberichte, wo, und vor allem wann sie zu sehen ist. Cafébesitzer und Tankstellenpächter erhöhen kurzfristig die Preise, glauben sie hätten ein Recht, den frustrierenden Winter so schneller zu vergessen. Die ganze Stadt voller Paparrazzis, jeder braucht ein Photo von ihr. Cabrios und Girokonten, sofern noch vorhanden, werden hervorgeholt und blankgeputzt, als ob die Sonne nie wieder zurückkäme. Unmengen von Kindern und Kinderwagen werden demonstrativ aus den Häusern geschleift, damit auch jeder versteht: Singles und Touristen haben noch immer nicht die Mehrheit.
Große, schwarze Sonnenbrillen im Gesicht, dicke, schwarze Klamotten im Schrank, aber immer öfter Orange und Pink, die leuchten unter den leichten Outfits, so strömen alle zur Sonne.
Und wenn man sie so anschaut, die Menschen, wie sie lachen und fröhlich sind, dann stellt man erleichtert fest: Gut, dass die Sonne noch nicht reformbar ist. Sonst käme sicher irgendein schlauer Finanzexperte aus dem Kanzleramt auf die Idee, gute Laune und erhöhte Vitamin-D- Produktion auch noch zu besteuern: Getreu dem Motto, wer von der Sonne gefördert werde, von dem könne der Staat auch was fordern. Schließlich scheint die Sonne über bundesdeutschem Staatsgebiet, fällt also in den ureigenen Hoheitsbereich. Und der Bund muss doch sparen. Und sei es an der guten Laune. Heutzutage muss eben alles auf den Prüfstand, bis auf die Pensionen, versteht sich.
Doch bis es soweit kommt, setzten Sie getrost Ihre Sonnenbrille wieder auf, genießen das sonnige Spektakel und rufen den kleinen Kindern zu, die sich über Ihre gute Laune freuen: „GUCCIGUCCIGUCCIGUCCI.“ Berlin 2005
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