Sommerlektüre von Mark Twain
Kein anderes Buch erhebt die wildesten Tage der Jugend auf einen so hohen Sockel und weckt in jedem Herzen Erinnerungen an die einstige Kindheit – jene unbeschwerten Streifzüge und Aufmüpfigkeiten als „die ganze Sommerwelt hell und frisch war und vor Leben strotzte“. Die goldgrüne Natur der heißen Samstagnachmittage, das Paradies der Kinder, erstrahlt auf den Seiten dieses unnachahmlichen amerikanischen Klassikers von 1876.
Genauso sicher, wie das Kind zum Mann wird, muss die kindliche Welt der Wunder und des Unfugs über die Jahre zu einer – nicht weniger abenteuerlichen – Welt voller Freud und Leid werden.
„Die Abenteuer von Tom Sawyer“ beschreiben ganz nebenbei das Wichtigste am Kindsein: das Erwachsenwerden. Tom Sawyers Kindheit neigt sich ebenso sicher dem Ende zu, wie der Sommer ausklingt.
Lausbubenstreiche
Die erste Hälfte des Buches ist von einer vergnügten Abenteuerlust geprägt. Tom Sawyer, ein Lausbub wie er im Buche steht, stellt mit seiner Rasselbande alles mögliche Verbotene an. Sie können keinen einzigen Vers aus der Bibel auswendig, aber dafür Robin Hood und obendrein noch mehr Zauberformeln als die Hexe von Endor. Alles, worauf sie schwören, sind Waffen und Warzenentfernung mit toten Katzen.
Und obgleich sie sich einig sind, dass der Sinn des Lebens darin besteht, ein Held zu werden, glauben sie, sie müssten dafür ihren eigenen Tod vortäuschen, eine Zeit lang als Pirat auf Jacksons Insel leben und dann zu ihrem eigenen Begräbnis wieder auftauchen. Tom Sawyer ist ein ziemlicher Lausebengel.
Dann geschieht plötzlich etwas. Nach einem grausamen Trick und einer noch grausameren Lüge erkennt Tom zum ersten Mal die erschütternde Wahrheit: dass sein Handeln Auswirkungen auf andere Menschen hat. Tante Polly hat recht, wenn sie sagt: „Oh, Kind … du denkst nie an etwas anderes als an deinen eigenen Egoismus.“
Echte Verantwortung
Die Unerbittlichkeit seiner eigenen Gedankenlosigkeit und seines Egoismus ergreifen den Jungen so sehr, dass er beginnt, sich wie ein Mann zu verhalten. Auf unerklärliche Weise sagt Tom öffentlich gegen das rachsüchtige Halbblut Indianer Joe aus, um das Leben eines zu Unrecht beschuldigten Einfaltspinsels zu retten. Untypischerweise nimmt er die Schuld – und eine Prügelstrafe – auf sich, um ein verängstigtes blauäugiges kleines Geschöpf vor einem Schulunfall zu bewahren.
Als Tom sich schließlich mit eben dieser blauäugigen Gestalt hoffnungslos in den Gängen einer Höhle verirrt, ist es nicht weiter verwunderlich, dass er seinen eigenen Schrecken großmütig hinunterschluckt, um seinem Mädchen aus der Patsche zu helfen.
Obwohl Tom Sawyer immer noch zum Zeitvertreib gerne der Schatzsuche und Angeberei frönt, beginnt er sich dank der moralischen Anleitung durch Tante Polly so zu verhalten, wie es seiner Bestimmung als Junge entspricht. Er beginnt auf die Gefühle anderer Rücksicht zu nehmen, indem er ungewohnte, aber zutiefst instinktive, gute Taten vollbringt: Taten der Gerechtigkeit, des Mutes und der Selbstlosigkeit.
Aus dem Taugenichts wird ein neuer Mensch, und wir ertappen uns dabei, wie wir Tom Sawyer die gleiche Frage stellen, die die schöne Becky Thatcher ihrem Helden stellte: „Tom, was bist du so edel?“
So ist das nun mal. Romantik macht Platz für Realismus. Die morbide Stimmung eines mitternächtlichen Friedhofs wird durch einen furchtbaren Mord getrübt. Das gespenstische Spukhaus entpuppt sich als Behausung von Übeltätern aus Fleisch und Blut. Und … aus Kinderliebe entsteht liebevolle Aufopferung.
Der Sommer geht mit allen damit verbundenen Reifeprüfungen in den Herbst über – der junge Draufgänger muss sich nun der Verantwortung stellen.
Obwohl es sich nur um einen kurzen Band handelt, sind „Die Abenteuer von Tom Sawyer“ in der Tat eine zeitlose Anspielung auf grundlegende menschliche Erfahrungen und das kindliche Genie von Mark Twain.
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