Ode an die Freude – Originalfassung von Friedrich Schiller

Aus der Reihe Epoch Times Poesie - Gedichte und Poesie für Liebhaber
Titelbild
Freude heißt die starke Feder in der ewigen Natur.Foto: iStock

Ode an die Freude

Freude, schöner Götterfunken,

 Tochter aus Elysium,

 Wir betreten feuertrunken,

 Himmlische, dein Heiligthum.

Deine Zauber binden wieder,

 Was die Mode streng getheilt,

 Alle Menschen werden Brüder,

 Wo dein sanfter Flügel weilt.

 C h o r.

Seid umschlungen Millionen!

Diesen Kuß der ganzen Welt!

Brüder – überm Sternenzelt

muß ein lieber Vater wohnen.

Wem der große Wurf gelungen,

eines Freundes Freund zu seyn;

wer ein holdes Weib errungen,

mische seinen Jubel ein!

Ja – wer auch nur  e i n e  Seele

 s e i n  nennt auf dem Erdenrund!

Und wer’s nie gekonnt, der stehle

weinend sich aus diesem Bund!

 C h o r.

Was den großen Ring bewohnet

huldige der Simpathie!

Zu den Sternen leitet sie,

Wo der  U n b e k a n n t e  tronet.

Freude trinken alle Wesen

an den Brüsten der Natur,

Alle Guten, alle Bösen

folgen ihrer Rosenspur.

Küße gab sie  u n s  und  R e b e n ,

einen Freund, geprüft im Tod.

Wollust ward dem Wurm gegeben,

und der Cherub steht vor Gott.

 C h o r.

Ihr stürzt nieder, Millionen?

Ahndest du den Schöpfer, Welt?

Such’ ihn überm Sternenzelt,

über Sternen muß er wohnen.

Freude heißt die starke Feder

in der ewigen Natur.

Freude, Freude treibt die Räder

in der großen Weltenuhr.

Blumen lockt sie aus den Keimen,

Sonnen aus dem Firmament,

Sphären rollt sie in den Räumen,

die des Sehers Rohr nicht kennt!

 C h o r.

Froh, wie seine Sonnen fliegen,

durch des Himmels prächtgen Plan,

Laufet Brüder eure Bahn,

freudig wie ein Held zum siegen.

Aus der Wahrheit Feuerspiegel

lächelt  s i e  den Forscher an.

Zu der Tugend steilem Hügel

leitet  s i e  des Dulders Bahn.

Auf des Glaubens Sonnenberge

sieht man  i h r e  Fahnen wehn,

Durch den Riß gesprengter Särge

 s i e  im Chor der Engel stehn.

 C h o r.

Duldet mutig Millionen!

Duldet für die beßre Welt!

Droben überm Sternenzelt

wird ein großer Gott belohnen.

Göttern kann man nicht vergelten,

schön ists ihnen gleich zu seyn.

Gram und Armut soll sich melden

mit den Frohen sich erfreun.

Groll und Rache sei vergessen,

unserm Todfeind sei verziehn.

Keine Thräne soll ihn pressen,

keine Reue nage ihn.

 C h o r.

Unser Schuldbuch sei vernichtet!

ausgesöhnt die ganze Welt!

Brüder – überm Sternenzelt

richtet Gott wie wir gerichtet.

 F r e u d e  sprudelt in Pokalen,

in der Traube goldnem Blut

trinken Sanftmut Kannibalen,

Die Verzweiflung Heldenmut – –

Brüder fliegt von euren Sitzen,

wenn der volle Römer kraißt,

Laßt den Schaum zum Himmel sprützen:

Dieses Glas dem guten Geist.

 C h o r.

Den der Sterne Wirbel loben,

den des Seraphs Hymne preist,

Dieses Glas dem guten Geist,

überm Sternenzelt dort oben!

Festen Mut in schwerem Leiden,

Hülfe, wo die Unschuld weint,

Ewigkeit geschwornen Eiden,

Wahrheit gegen Freund und Feind,

Männerstolz vor Königstronen, –

Brüder, gält’ es Gut und Blut –

Dem Verdienste seine Kronen,

Untergang der Lügenbrut!

 C h o r.

Schließt den heilgen Zirkel dichter,

schwört bei diesem goldnen Wein:

Dem Gelübde treu zu sein,

schwört es bei dem Sternenrichter!

———–

Dies ist die 1808 posthum veröffentlichte Variante des Gedichtes. Sie war um die letzte Strophe gekürzt und zeigt eine andere Wortwahl in der ersten Strophe und die damals übliche Schreibweise.

  • Elysium oder auch Elysion ist in der griech. Mythologie die Insel der Seligen. Auf die Insel gelangen alle, die von den Göttern geliebt wurden oder denen sie Unsterblichkeit schenkten.
  • Ein Cherub ist im Alten Testament ein Engel von hohem Rang, dargestellt als ein Mischwesen mit Menschengesicht und Tierleib. Bereits in der Geschichte von Adam und Eva finden Cherubim (= Mehrzahl) als Wächter des Paradieses Erwähnung.
  • Das Firmament, auch als Himmelszelt oder Himmelsgewölbe bekannt.
  • Ein Seraph ist ein Engel hohen Ranges, der den Thron Gottes umschwebt und Gott lobpreist (Mehrzahl = Seraphim).

 



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