Vorwürfe oder nur Missverständnisse? Unruhe um Äußerungen von Ai Weiwei

Titelbild
Ai Weiwei mit einem Hertha-Trikot für seinen Sohn, rechts Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, im Roten Rathaus in Berlin.Foto: Rainer Jensen/dpa
Epoch Times13. August 2015
Es ist eine Gratwanderung. Seit der lange in China geächtete Künstler Ai Weiwei in Deutschland ist, spricht er verständnisvoll, fast versöhnlich über das Regime, das ihn einst verschleppte und vier Jahre lang seinen Pass einbehielt. Im Netz erntet der „neue Ai“ für seinen Kurswechsel teils heftige Kritik. Ein Gespräch mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ sorgt nun noch für einen Streit anderer Art.

Der 57-jährige Maler und Bildhauer wirft dem renommierten Blatt auf seinem Twitter-Account vor, das Interview bewusst falsch übersetzt zu haben und damit journalistische Prinzipien zu verletzen. Die verantwortliche Redakteurin Angela Köckritz wies die Vorwürfe zurück. „Es gibt keine Unterschiede zwischen der deutschen, der englischen und der chinesischen Version“, sagte sie auf dpa-Anfrage. Zum Vergleich wurden alle drei Fassungen im Internet veröffentlicht. Auch der von Ai gegengelesene und abgesegnete Text liegt vor.

Tatsächlich hat der 57-jährige zumindest in dem abgedruckten Text seine Position nochmals deutlich zugespitzt und Verständnis für die Verhaftung Unschuldiger durch die chinesischen Behörden geäußert. „Ein paar Leute festzunehmen, ist doch keine große Sache. Es gibt viel Schlimmeres“, sagte er demnach. Das Vorgehen entspringe einer politischen Macht, die ihre Machtstellung behalten wolle.

Schon zuvor hatte Ai deutlich gemacht, dass er nach den Jahren der Verfolgung und Ächtung nun eigentlich nur „ein normales Leben“ führen wolle. Der Deutschen Presse-Agentur sagte er kürzlich: „Ich versuche, die direkte Konfrontation zu vermeiden, die ich gesucht habe – und die mir so viel Bewegungsfreiheit und Gehör in China genommen hat.“

Unter kritischen Geistern in China lösten die Äußerungen Debatten aus. Die Vorwürfe in den sozialen Medien kamen zum großen Teil von jenen, die ihm gegenüber ohnehin schon vorher kritisch eingestellt waren. Die chinesische Feministin Zhao Sile etwa kommentierte: „Egal, ob Dissidenten Ai Weiweis Äußerungen richtig verstehen, überreagieren oder nicht – was feststeht ist, dass gerade der Kollaps eines Meinungsführers stattfindet.“ Die „Süddeutsche Zeitung“ zitierte den US-Exilautor Yu Jie sogar mit den Worten: „Hat er also kapituliert, Schande!“

Doch gab es auch Unterstützung und Verständnis für den Künstler. Ai Weiweis Freund und Bürgerrechtsanwalt Liu Xiaoyuan wundert sich über die Diskussion und fragt, ob manches vielleicht tatsächlich durch die Übersetzung aus dem Deutschen anders klinge. Auch seine Konversationen mit Ai Weiwei auf Twitter seien missverstanden worden, sagte er der dpa.

So hatte Liu Xiaoyuan ironisch geschrieben: „Wenn ich daran denke, dass du dich in der kapitalistischen Gesellschaft ausruhst und selbst die Revolution verrätst, kommen mir die Tränen.“ Worauf der Freund ihm antwortet: „Ich glaube, Du vermisst mich.“

Dennoch hat Ai auch dünnhäutig auf Kritik reagiert. Im Gespräch mit der „Zeit“ schnitt er die Frage nach dem „neuen Ai“ laut Darstellung des Blattes sogar fast wütend ab: „Ihr könnt gehen und ich trinke Tee, denn ihr habt ja offenbar nichts Wichtiges, über das Ihr mit mir reden wollt.“

Das ist deshalb besonders überraschend, weil Ai selbst immer wieder die Bedeutung der Internetkommunikation für sich und seine Kunst hervorgehoben hat; im „Morgenjournal“ von ARD und ZDF nannte er die sozialen Medien gar seine „Heimat“ (fatherland).

Der Autor und langjährige China-Experte Tilman Spengler warnt davor, Ais Äußerungen mit unseren Maßstäben zu messen. „Die moralische Beurteilung sollte man denen überlassen, die in dieser Diktatur arbeiten und leben müssen“, sagt er. „Dass sich dort aber einige verhöhnt fühlen, kann ich gut nachvollziehen.“

Zugleich erinnert der Sinologe auch daran, dass trotz der überraschenden Reisefreiheit für Ai Weiwei noch immer sehr viele andere Regimekritiker und Anwälte in China in Haft sind. „Unsere Medien, unsere Kunstveranstalter und natürlich auch unsere Politiker“, so Spengler, „sollten aus dem Fall lernen, wie töricht es ist, sich einen Lieblingskandidaten gleichsam als Markennamen zu stilisieren.“

(dpa)


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