Im Einklang mit der Natur: Krankenschwester wechselt von der Klinik zur Alm

Das Leben von Martina Fischer war in den vergangenen Jahren zweigeteilt: Den größten Teil des Jahres arbeitete sie als Krankenschwester und war den Rest im Sommer auf einer Alm. Jetzt hat die Buchautorin den weißen Kittel an den Nagel gehängt und widmet sich ihrer Tätigkeit als Vortragsrednerin. Gerade hat sie ein neues Buch über Wildkräuter herausgebracht.
Titelbild
Martina Fischer im Wollgras.Foto: Frank Bauer

Seit zwölf Jahren arbeitet Martina Fischer im Sommer auf einer Alm im Allgäu. Sie ist dort verantwortlich für 140 Kühe und Schweine, Ziegen und Hühner – alleine. Die gelernte Krankenschwester ist auch ausgebildete Heilkräuter- und Wildpflanzenberaterin.

Wenn sie gerade nicht auf einer Alm in den oberbayerischen Alpen weilt, lässt die gebürtige Chiemgauerin die Menschen im Tal an ihrem Leben und umfassenden Wissen im Rahmen von Lesungen und Vorträgen teilhaben. Im Interview erzählt sie über die Herausforderungen des Alleinseins und das Glück eines Lebens im Gleichklang mit der Natur.

Was hat Sie bewogen, ein Leben auf der Alm zu verbringen?

Ich bin im Chiemgau zwischen München und Salzburg aufgewachsen. Da waren die Berge nicht weit. Als Kind und Jugendliche war ich immer gerne in den Bergen. Der Wunsch und die Sehnsucht, selbst auf eine Alm zu gehen, reifte in mir, als ich dort Senner sah, die in einem hohen Alter eine große Zufriedenheit und Vitalität ausstrahlten. Ich dachte, dass mir das fehlt und so begann dieses Pflänzchen, dieses Samenkorn schon zu keimen – nur erfüllte ich mir den Traum lange Zeit nicht.

Inwiefern unterscheidet sich Ihr Leben – vom Lebensgefühl her – als Krankenschwester von dem als Sennerin? 

Bis zum letzten Jahr habe ich noch in der Krankenpflege gearbeitet. Seitdem widme ich mich im Sommer der Sennerei und im Winter meiner Autorentätigkeit.

Ich bin sehr dankbar, dass ich diesen Weg eingeschlagen habe. Es sind Welten. Es ist einfach dieses Freiheitsgefühl auf der Alm. Ich muss auf der Alm körperlich mindestens genauso viel arbeiten wie als Krankenschwester. Aber ich kann den ganzen Tag draußen in der Natur und mit Tieren arbeiten – mit den Ziegen, Rindern, Hühnern und Schweinen.

Die Menschen haben seit Millionen Jahren in und mit der Natur gearbeitet. Das hat sich seit der Industrialisierung vor 140 Jahren und vor allem in den letzten 30 Jahren mit der digitalen Revolution geändert. Menschen sitzen sehr lange am Tag am Computer und in geschlossenen Räumen.

Unser Innerstes, unsere Seele, möchte aber eigentlich in die Natur hinaus. Am Berg kann ich im Einklang mit der Natur leben. Und das – glaube ich – beseelt.

Foto: Martina Fischer

Was erfüllt Sie am Leben auf der Alm am meisten?

Mit das Schönste ist, mit den Tieren zu arbeiten, in einer Umgebung, in der die Tiere frei sind. Wir haben 140 Rinder, die sich relativ frei auf 140 Hektar bewegen können.

Den Rhythmus des Tages gibt die Natur vor, das Wetter und die Tiere. Wenn ich mich darauf einlassen kann, dann ist es wie ein Gleichklang. Es schwingt und das ist es, was mich so erfüllt.

Was ist besonders hart am Almleben? 

Es ist eine sehr steile Alm, die auch gefährlich ist, da kann immer etwas passieren. Schwierig wird es, wenn Rinder abgehen und man sich auf die Suche nach ihnen machen muss. Es passiert immer mal wieder, dass Rinder in den Steilhängen abrutschen und dann abstürzen und sich stark verletzen oder dass der Unfall tödlich verläuft.

In diesen Situationen muss man damit umgehen können, dass der Tod immer präsent ist. Man muss das emotional verkraften können. Ich liebe zwar die Tiere, aber es sind trotzdem nur Tiere und keine Menschen.

Wenn man am Anfang der Saison noch keine gute Kondition hat und stundenlang bergauf, bergab läuft, dann kommt man körperlich an seine Grenzen. Es ist dann ebenfalls schwierig, das alles mental zu schaffen.

Können Sie sich an einen bestimmten Moment erinnern, der eine große Herausforderung war?

Mir ist ein kleines, nur 20 bis 25 Kilogramm schweres Schwein in die Jauchegrube gefallen. Das habe ich durch Zufall bemerkt. In dem Moment war kein Mensch in der Nähe. Ich hatte ein Ohnmachtsgefühl, weil ich selbst nicht hinuntersteigen konnte. Ich habe alles versucht. Das Tier hatte Todesangst und versuchte sich irgendwie am Leben zu halten. Es war ein enormes Schockerlebnis.

Ich habe einen Nachbarsenner erreicht – es dauerte eine halbe bis Dreiviertelstunde, bis er rüber marschiert kam. Das Schwein hat durchgehalten, wir haben es retten können.

Martina Fischer mit Ziegen Foto: Frank Bauer

Wie gehen Sie mit solchen Situationen um? Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach ist, so alleine und auf sich selbst angewiesen zu sein.

Im ersten Moment ist es ein Schock und ich denke: „Oh Gott, was mache ich?“ Dann werde ich laut und schreie „Hilfe, ich hab keinen“. Danach fange ich an, nach oben zu bitten. Ich bitte darum, mir einen Impuls zu geben, Hilfe zu senden in der Form, dass jemand vorbeikommt oder dass mir irgendeine Idee einfällt.

Und dann passiert es. Ich bin wirklich noch nie verlassen worden. Im Notfall steht immer jemand zur Seite. Auf der Alm ist eigentlich immer aus Zufall irgendetwas passiert oder mir kam selbst eine Idee.

Heutzutage ist es mit dem Handy natürlich viel einfacher als vor vielen Jahrzehnten, als die Sennerin keine Möglichkeit gehabt hat, sich zu verständigen. Sie musste eineinhalb bis zwei Stunden ins Tal laufen, um sich Hilfe zu holen. Aber auch heute noch dauert es, bis jemand hochkommt, weil es zur Alm keinen Fahrweg gibt. Es muss alles zu Fuß gelaufen werden.

Sie gehen seit zwölf Jahren auf die Alm, gab es doch mal einen Moment, in dem Sie das Gefühl hatten, ganz alleine zu sein?

Man darf es sich nicht so vorstellen, dass man auf der Hütte ganz alleine ist. Dadurch, dass ich die Tiere um mich habe, habe ich das Gefühl, dass ich nicht alleine bin. Man hört die Glocken von den Rindern, auch die kleinen Glöckchen von den Ziegen sind immer da. Ich habe immer eine Gefolgschaft um mich herum. Es gibt mir ein unheimliches Verbundenheitsgefühl. Ich fühle mich nie alleine.

Wie verstehen Sie die Sehnsucht der Menschen nach einem einfachen Leben?

Wir sind schon zu einer Wohlstandsgesellschaft geworden. Viele merken aber, dass Luxus auf Dauer nicht glücklich macht und dass man damit etwas kompensiert oder befriedet. Sie spüren eine Leere, die sie mit einem schönen Kleidungsstück, einem tollen Urlaub, neuen Möbeln oder einem tollen Auto ausfüllen. Nachdem man sich diese Dinge angeschafft hat, fühlt man sich ganz gut, aber das hat nur für kurze Zeit Bestand.

Ich merke das an mir, das sind Äußerlichkeiten. Ich muss einfach lernen, meine innere Fülle zu stärken und von innen her zu strahlen.

Die Alm ist eine ganz einfache Hütte. Wir haben kein fließendes und kein warmes Wasser, nur einen Holzofen. Viel zu putzen gibt es nicht, weil es nur zwei Räume gibt: einen großen und einen kleinen Raum, das Schlafzimmer.

Ich kann draußen sein und kann das machen, was mich befriedet. Ich muss nicht diesen Luxus verwalten, das macht es einfacher. Nach einem solchen Leben ist die Sehnsucht der Leute sehr groß. Bei mir ist das auf Zeit, nach vier Monaten habe ich wieder meinen Luxus. Ich habe aber zu Hause abgespeckt, um mich von diesem Druck, von dieser Materie zu befreien.

Welche besonderen Fähigkeiten oder Kenntnisse haben Sie durch die Alm erworben?

Früher habe ich immer gedacht, dass mein Gedächtnis so schlecht ist und dass ich mir so wenig merken kann. In einem Gespräch war ich mit den Gedanken schon bei der nächsten Aufgabe. Kein Wunder, dass ich mich später an die Details nicht mehr erinnern konnte.

Mittlerweile versuche ich bei den Menschen zu sein und wirklich zuzuhören. Es gibt nichts Wertvolleres, als seinem Gegenüber wirklich wahre Aufmerksamkeit zu schenken. Das kann man nicht mit Geld aufwiegen. Dabei entsteht eine größere Tiefe und ich kann mir viel mehr merken.

Was konnten Sie über sich selbst lernen, haben Sie neue Seiten an sich entdeckt?

Ich habe gemerkt, dass ich mir vertrauen kann, dass ich viel mehr Fähigkeiten habe, als ich mir früher zugetraut habe und dass ich mich auf das Leben wirklich freuen kann. Denn es bringt genau die Herausforderungen, die man meistern kann.

Bei mir ist ein Vertrauen entstanden, dass ich geführt werde – auch wenn der Weg anders verläuft, als ich ihn mir vorgestellt habe. Ich versuche auch, die inneren Widerstände aufzugeben. Wir sind von früh bis spät darum bemüht, Widerstände aufzugeben. Etwa wenn es anders kommt, als wir für den Tag geplant haben. Ich sage mir dann: Okay, es ist so, es läuft anders, es wird seinen Sinn haben und ich geh jetzt einfach diesen Weg. Der Widerstand ist wirklich anstrengend, der stresst uns.

Was würden Sie unseren Lesern raten, die auch den Traum haben, einmal auf eine Alm zu gehen, aber es nicht umsetzen?

Es geht ja nicht darum, dass jeder mal auf eine Alm geht. Aber es gibt die Sehnsucht, mal etwas zu machen, was vom Alltag abweicht. Jeder hat so seine Träume, ob große oder kleine. Vor dem Schritt, sich diesen Traum zu erfüllen, steht meistens nur ein Wort. Dieses Wort heißt „aber“. Wenn uns jemand etwas erzählt und wir denken dann: „Oh, das würde ich auch gerne mal machen.“ Dann ist es das Bauchgefühl. Das sagt die Intuition.

„Das würde ich gerne machen und einfach eine Woche segeln gehen. Ich würde gern mal eine Woche in ein Kloster gehen und nur Zeit für mich haben. Ich würde gerne eine Ausbildung in einem Bereich machen, der mich interessiert.“ Der Körper sagt „ja“ und dann kommt sofort die andere Stimme, der Verstand. Er sagt: „Aber das geht doch jetzt nicht“. „Du musst für zuhause da sein, was ist mit dem Beruf, kannst du einfach deine Kollegen im Stich lassen? Was passiert mit den Kindern?“

Kann man nicht einfach jemand anderes fragen, ob er einen unterstützt? Doch, man kann es. Wenn Sie entscheiden, dass Sie Ihren Traum jetzt umsetzen möchten, dann ist die Zeit gekommen, die „Abers“ zu hinterfragen.

Am besten, man erstellt eine Liste zum Abarbeiten und geht sie Punkt für Punkt durch. Bei mir war das „Aber“ „ich kann nicht weg“. Ich habe mir gedacht, okay, wie mache ich es mit meinem Beruf? Kann ich unbezahlten Urlaub nehmen? Gibt es andere Möglichkeiten? Wie mache ich es mit dem Garten? Könnte das jemand anders übernehmen?

Wenn man die Liste Punkt für Punkt abgearbeitet hat, dann wird man merken, dass es für fast alles eine Lösung gibt. Und wo es keine Lösung gibt, gibt es wenigstens einen guten oder mittelmäßigen Kompromiss.

Und immer mal wieder kommt es vor, dass uns das Leben ausbremst und wir gezwungen sind, so zu handeln. Vor vielen Jahren habe ich einen schweren Kletterunfall gehabt und stand knapp vor einer Querschnittslähmung. Ich war drei Monate weg von der Bildfläche – und es ging.

Sie sind Spezialistin für Wildkräuter und Heilkräuter und haben Ihr drittes Buch „Meine Wildkräuter“ herausgebracht. Sie gehen auf die Heilwirkungen ein, teilen auch Rezepte. Welches Wildkraut sollte man aufgrund seiner Wirkung nicht unterschätzen?

Es geht in dem Buch nicht nur um Heil- und Gewürzkräuter, sondern auch um essbare Wildpflanzen, die oft zu Unrecht als Unkraut deklariert werden. Und da habe ich meine Big Three, die für die Gartenfreunde der absolute Gartenschreck sind, die aber zu den drei heilkräftigsten Pflanzen gehören. Das sind die Brennnessel, der Löwenzahn und der Giersch, die kennt jeder. Für die Ernährung sind sie eine große Bereicherung.

In der Wohlstandsgesellschaft, die sich durch Stress und Übersäuerung auszeichnet, weil wir uns aus verschiedenen Gründen nicht basisch ernähren, gleichen die drei Pflanzen etwa Alkohol und Schlafmangel unheimlich gut aus.

Sie bringen viele Mineralien und Vitamine in den Körper und stärken unser Immunsystem. Sie stärken auch unsere Leber, die sehr viele Bitterstoffe braucht. Diese drei Pflanzen in die Ernährung aufzunehmen, ist einer der größten Schritte, den man machen kann.

Brennnessel-Chips Foto: Martina Fischer

Wie würden Sie sie zu einem Salat verarbeiten?

Ich arbeite gerne mit Löwenzahn. Die Blätter oder die Blüten kann man einfach in den Salat tun. Die Löwenzahnknospen kann man auch essen: In Olivenöl anbraten, Kräutersalz darüberstreuen und etwas Zitronensaft hinzufügen. Das schmeckt wie Antipasti und ist eine Delikatesse. Giersch kann man mit Salat mischen. Bei Brennnesseln kann man die Spitzen als Spinatersatz mit etwas Frischkäse anbraten. Ich liebe es, die Brennnesselspitzen in eine Auflaufform zu geben, ein bisschen Olivenöl und Salz draufzutun und für zehn Minuten ins Backrohr zu geben. Dann hat man Brennnesselchips, die ganz knusprig und ein wirklicher Immunbooster sind.

In meinem Buch habe ich 100 Rezepte. Mir geht es immer darum, dass sie schnell zuzubereiten sind und gut schmecken. Das ist wichtig, denn wir würden die gesunden Nahrungsmittel nicht auf Dauer verwenden, wenn nicht auch Genuss und Befriedigung mit dabei ist.

Noch mal zurück zum Heilaspekt der Kräuter. Welche positiven Erfahrungen haben Sie schon gemacht mit Wildpflanzen?

Die Brennnessel hat mir sehr gute Dienste erwiesen, weil ich wenig Fleisch esse und sie zu den eisenreichsten Pflanzen gehört. Man kann damit seinen Eisenspeicher wieder auffüllen. Vor allem Veganer und Vegetarier können damit ihren Eisenbedarf gut decken. Es ist eine Superpflanze, die gut für die Haare ist. Frauen, die in die Wechseljahre kommen, gleicht die Brennnessel den Hormonhaushalt wunderbar aus.

Aus Brennnesseln lässt sich auch Tee machen, oder?

Tee kann man aus frischen oder getrockneten Blättern machen. Ich finde aber, dass der frische Tee noch feiner, noch milder ist. Wenn jemandem der Geschmack zu erdig ist, dann mischt man einfach einen Spritzer Zitronensaft dazu. Man kann auch ohne Weiteres ein bisschen Honig mit hineintun. Es muss einfach schmecken. Wenn man von dem reinen Brennnesseltee noch etwas übrig hat, kann man ihn nach der Haarwäsche als Haarspülung in die Haare einkneten, ohne dass man ihn auswaschen muss. Das kräftigt die Haarwurzeln.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Ani Asvazadurian.

Bearbeitung: mk

 

Martina Fischer: Meine Wildkräuter Foto: Kailash

Martina Fischer, Dorothea Steinbacher

„Meine Wildkräuter“

ISBN 978-3-424-63239-2

Kailash

320 Seiten, vierfarbige Illustrationen

Taschenbuch



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion