Soundtrack Your Life
Mit der massenmäßigen Nutzung tragbarer Musikplayer, ihrer riesigen Speicherkapazität, langen Spielzeiten und natürlich vielen anderen Funktionen, ist populäre Musik daheim und auf der Straße heute vielleicht leiser geworden – aber nicht weniger durchdringend.
Schon im Jahr 2005 teilte der Rektor einer privaten Schule in Sydney den Eltern mit, iPods seien an der Schule verboten, da die Geräte dazu führten, dass „Kommunikation unter den Schülern vermieden wird. Dies kann bis zu sozialer Isolation führen und dem Entfliehen aus der Gesellschaft“.
Eines Morgens beobachtete ich einen Vater, der seinen Sohn zur Schule fuhr. Der Sohn saß im Beifahrersitz neben ihm, mit einem Ohrstöpsel im linken Ohr. Ich fragte mich, ob er den anderen Ohrstöpsel in seinem rechten Ohr gehabt hatte und hoffte still, dass er wenigsten dieses Ohr frei gelassen hatte für ein Gespräch mit seinem Vater, welches länger dauern könnte als der Wortwechsel: „Ich wünsche dir einen schönen Schultag“. „Danke. Bis später, Papa“.
Ungewöhnlich leise Kinder
Doch über manche kann man sich wirklich nicht beschweren. Die Kinder meiner Nachbarn im Teenageralter sind manchmal ungewöhnlich leise – keine schmetternden Videofilme, laute Stereomusik, streiten oder einfach nur lautes Gerede. Nein, sie schlafen nicht, sondern lauschen. Mit den Zehen wippend träumen sie sich in die Welt ihrer Lieblingssänger die sie sich von den neuesten MP3-Downloads durch die Kopfhörer anhören.
Die äußere Stille der Headsets jedoch wirft die Frage auf, was da angehört wird. Eine Studie der American Psychological Association (APA) vom Mai 2003 ergab, dass entgegen der weitgehend akzeptierten Meinung die „positiven Entspannungsmomente nicht mehr überwiegen, wenn man zornige oder gewalttätige Musik anhört.“ Das fange schon an bei Texten, die Gedankengut vermittelten, das Gewalt beinhalte oder derartige Gefühle hervorrufe. Solche Lieder verstärkten Aggressionen. In der Studie wurde ein direkter Zusammenhang mit der Gewalt in den Texten festgestellt. Nich nur eine aggresive Melodie ist also ausschlaggebend.
Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, wie man auf der Webseite der APA nachlesen kann, dass „sogar humorvolle gewalttätige Lieder feindselige Gefühle verstärken“.
Aber das ist nichts Neues. Sogar in den Zeiten des antiken Griechenlands warnte Sokrates vor dem mächtigen Effekt von Musik auf die Seele, eine Wirkung, die er sowohl als nützlich wie auch gefährlich einstufte. Er glaubte, dass das Hören von unharmonischer Musik den Hörenden dazu bringen könnte, ungehorsames Verhalten an den Tag zu legen. Und Respektlosigkeit vor dem Gesetz zu akzeptieren und sogar zu verlangen.
Aristoteles, Philosoph der gleichen Schule und des gleichen Zeitalters, sagte: „Es ist eindeutig, dass Musik die Macht hat, einen gewissen Effekt auf den moralischen Charakter der Seele zu nehmen. Und wenn sie die Macht hat, dies zu tun dann ist es selbstverständlich, dass die Jugendlichen zur Musik verwiesen werden sollten und mittels dieser erzogen werden sollen.“
Zurück zur modernen Zeit: Es sind Beweglichkeit und Verfügbarkeit, was diese Generation erwartet. Auch das Marketing ist bereits stark auf die Jugendlichen und sogar noch jüngere Altersklassen ausgerichtet. Mein dreijähriger Sohn liebte es, sein neues Spielzeug ans Ohr zu halten. Es war eine kostenlose Beigabe eines Fastfood-Kindertellers. Eine grüne Minibox, die einen Top-40-Popsong wieder und wieder spielte, wenn man einen Knopf drückte. Die Lautstärke konnte man nicht einstellen, sie verblieb auf dem Eltern-Level: laut und nervig. Als ich das Spielzeug Tage später unauffällig versteckt hatte, fragte er immer wieder danach. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte ich, ob ich ihm stattdessen meinen MP3-Player geben sollte. Wenigstens könnte ich dann die Musik auswählen, die er sich anhört, und die Lautstärke für uns beide angemessen einstellen.
Schon Aristoteles wies auf den Zusammenhang zwischen Musik und Moral hin und setzte sie zu erzieherischen Zwecken ein.
Doch nun gibt es kein Zurück mehr. Im Jahr 2006 verkaufte die Firma Apple „eine Rekordmenge von 14 Millionen iPod-Musikplayern im vierten Quartal… ein Riesenschritt von den 4,5 Millionen in der gleichen Periode in 2004″, wie AFP berichtete. Vierundzwanzig Stunden Lebenszeit-Soundtracks zum Anfassen nahe.
Lange her sind die Tage, in denen man seine Lieblingsmusik mit Freunden geteilt hat und zur Musik tanzte. Man hatte einen Walkman oder Discman, die beim Laufen sprangen und nur für die Länge einer einzigen CD oder Kassette spielten. Danach musste man „dieselben alten Lieder“ wiederholen. Um den modernen Langeweile-Faktor zu vermeiden, müssen die Lieder in der Lage sein, im Kreis zu laufen, zu wiederholen, gemischt abzuspielen, innerhalb eines Kreislaufes von 10.000 oder mehr bestimmte Liedern nur einmal zu spielen, mit oder ohne die Gesangsstimme… Die Liste ist endlos.
Zu beschäftigt um zu reden, zu befangen um zuzuhören
Das Musikformat passt zur Lebensweise: Alles, was man braucht, wird durch Knopfdruck erledigt. Herunterladbar, löschbar und tragfähig – der „perfekte“ Soundtrack für die heutige Jugend. Vielleicht wäre ein wenig von Aristoteles Musikerziehung nicht verkehrt.
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