Mit Pauken und Trompeten
Die Stimmung im Eingangsbereich der privaten Musikschule in Verden an der Aller steigt mit jedem neuem Teenie, der hereinkommt um auf seinen Unterricht zu warten. Ein Haufen 10- und 11-Jähriger, die Faxen machen, sich gegenseitig mit angeblichen Liebesaffären necken und alle durcheinander reden.
Dennoch verbindet sie ein gemeinsames Ziel, sie alle erlernen zumeist in 5er- Gruppen ein Blasinstrument und sind Teil der Bläserklasse des örtlichen Gymnasiums. Auf dieses Projekt und ihr Musikinstrument angesprochen, werden sie jedoch von einer Sekunde auf die andere ruhig. Keiner von den zehn Schülern, die seit Schuljahresbeginn in die Bläserklasse des örtlichen Gymnasiums gehen, verliert auch nur ein einziges negatives oder unsinniges Wort über dieses Schulprojekt. Alleine das ist erstaunlich, bei einer Gruppe feixender Jugendlicher. Noch erstaunlicher ist aber der Ernst und die Souveränität, mit der sie die Wahl ihres Instrumentes begründen und ihr Lob für die Musizierklasse aussprechen. So gibt Leena als Grund, warum sie zusätzlich zum privaten Klavierunterricht jetzt noch Saxophon spielen lernen möchte, an, sie wolle nicht nur die Finger trainieren, sondern auch ihre Lungen kräftigen. Michelle sagt mir: ,,Ich wollte schon früher Querflöte lernen, hatte aber keine Möglichkeit dazu.“ Alle sind sich darin einig, dass das gemeinsame Musizieren auf Instrumenten mehr Spaß macht als der normale Musikunterricht. Da müsse man nämlich nur singen, klagt Kim.
Rückenwind für das Klassenmusizieren
So wie ihnen wird mittlerweile an 500 Schulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz den Schülern der Jahrgangsstufe 5 die Möglichkeit des Klassenmusizierens angeboten. In solchen Klassen lernt jeder Schüler ein Instrument und im Musikunterricht werden im Ensemble gemeinsame Stücke erarbeitet. Immer ist die Verwirklichung solcher Bläser-, Streicher- oder auch Blockflöten- oder Gitarrenklassen der Initiative von Einzelnen zu verdanken, die von dieser Idee gehört und sie an die jeweilige Schule weitergegeben haben. In jedem Fall muss ein eigener Weg der Finanzierung und Planung gefunden werden. Denn Musikklassen sind teuer. Etwa die Ausstattung einer Schulklasse mit Blasinstrumenten kostet ca. 20.000 € und die wollen erstmal rangeschafft werden. Dann muss noch das Erlernen der Instrumente organisiert werden. Meistens werden dazu örtliche Musikschulen hinzugezogen, wo die Schüler, nach Instrumenten in kleinere Gruppen aufgeteilt, in die Technik und Spielweise ihres Instrumentes eingewiesen werden. Ganz kostenlos kann dieser Unterricht meistens trotz Sponsoren und Elternvereinen nicht angeboten werden. Für die meisten Eltern scheinen monatliche Kosten von ungefähr 25 € jedoch zumutbar, bedenkt man, dass Einzelunterricht an Musikschulen einiges mehr kostet und die Anschaffung eines eigenen Instrumentes wegfällt. Wer nach einem Jahr Unterricht und Ensemble-Spiel seine Klarinette immer noch heiß und innig liebt, für den ist so ein kostspieliges Blasinstrument dann bestimmt eine sinnvolle Investition. Im anderen Fall kann man sich nach Ablauf des Projektes einem andern Instrument zuwenden oder ganz aussteigen.
Mit Saxophon und Klarinette
Saxophon, alle meine Interviewpartner sind sich darin einig, ist viel einfacher zu erlernen als Klarinette oder Querflöte. So stöhnen die Saxophonisten denn auch schon mal im Unterricht: ,,Was, wir sollen das Stück noch langsamer spielen?“ Die meisten von ihnen sind absolute Neulinge auf dem Gebiet des Instrumental-Musizierens, und es ist beeindruckend zu hören, wie sie nach nur zweieinhalb Monaten Unterricht schon erste Weihnachtslieder im Quintett blasen. ,,Und die schiefen Töne sieht man ja auf dem Foto nicht“, scherzt ihr Lehrer. Keiner der jungen Musiker hat im übrigen sein Instrument aus so praktischen Gründen wie der Einfachheit des Erlernens gewählt. Zwischen Sandra und dem Saxophon hat es gefunkt, als ihre Musiklehrerin dieses beeindruckende Instrument mit in den Unterricht brachte. Fredericks Begeisterung für die Klarinette ist von seiner Mutter geweckt worden, die selbst Klarinette spielt.
Kräftigen Rückenwind bekam die Idee des Klassenmusizierens von der viel zitierten Studie des Musikpädagogen Prof. Hans Günther Bastian. Dieser konnte Anfang der 90er Jahre nachweisen, dass alleine durch eine Stunde zusätzlichen Musikunterricht pro Woche eine erhebliche Verbesserung vor allem von sozialen Kompetenzen erreicht wurde. Gemeinsames Musikmachen fördert wie kaum ein anderer Bereich die Fähigkeit aufeinander zu hören. Wenn ein Musikstück harmonisch im Ensemble erklingen soll, muss jeder Einzelne sich zugleich ganz seiner Aufgabe widmen und auch den anderen konzentriert zuhören. Noch einmal beschleunigt wurde die Diskussion um die Musizierklassen natürlich von den frappierenden Ergebnissen der Pisa-Studie. Besonders interessant ist hier gerade die von Prof. Bastian erwiesene Möglichkeit, soziale Defizite und Konzentrationsschwächen durch vermehrtes Musikmachen auszugleichen.
Mit Spaß lernt es sich besser
Auch die pfiffige Sandra weiß, die Musiklehrerin hat den Eltern gesagt, dass man durch das Musizieren auch besser lernen kann. Nach ihrer Meinung dazu gefragt, erwidert Sandra grinsend, dass das Lernen so auf jeden Fall mehr Spaß macht. Darauf bestätigt sie sogleich ein weiteres Ergebnis der Bastian-Studie, wenn sie fortfährt: ,,Auf jeden Fall verstehen wir uns alle super!“ Auch die anderen bejahen, abgesehen von der einen oder anderen Randbemerkung, die Aussage, dass sie durch das gemeinsame Musikmachen besser miteinander auskommen.
Axel Hartig, der als Inhaber der privaten Musikschule in Verden die Verantwortung für den Unterricht der Klassenmusizierer übernommen hat, lobt das Projekt ebenfalls in den höchsten Tönen. Er sieht die große Chance dieser Idee gerade in ihrer Flexibilität. Es handelt sich nicht um vorgeschriebene Reformprogramme, die der einzelne Schuldirektor nach Schema abspulen muss. Sein persönlicher Anknüpfungspunkt ist die Philosophie der Kundenorientierung und die Vorgabe, die breite Masse derer, die einfach aus Spaß an der Sache ein Instrument erlernen wollen, ins Boot zu holen.
Das Geheimnis pädagogischen Erfolges
„Die Kinder“, so die Erfahrung des Musikschulleiters, ,,wollen ja meistens die Musik machen, die sie auch gern hören.“ Die wenigsten hätten das Durchhaltevermögen sich von der Blockflöte über die klassische Gitarre hochzuarbeiten, wenn sie doch eigentlich von vornherein E-Gitarre spielen wollten. Auch eine gute Mischung aus populärer und klassischer Musik hält der Musikschulchef für intelligenter als den zwanghaften Ausschluss dessen, was die meisten Kinder an Musik hören und kennen. So findet sich auch im Programm für die Musizierklassen von Volksliedern über Pop, Rock, Jazz und Blues bis hin zu klassischen Werken eine gute Mischung, um die Schüler musikalisch in unterschiedlicher Weise anzusprechen.
Bei ihrem ersten Vorspiel vor den Ohren des Direktors ihrer Schule präsentierte die Bläserklasse passend zur Zeit Weihnachtslieder. Ein erstes kleines Konzert ist für nächstes Frühjahr geplant, kaum eines der Kinder vergisst das zu erwähnen. Sie geben zwar zu aufgeregt zu sein, freuen sich aber dennoch ausnahmslos auf den ersten Auftritt. Wenn Jan Luca pragmatisch äußert: ,,Die Musikklasse ist anstrengend, aber macht auch Spaß“, bringt er ungewollt das Geheimnis pädagogischen Erfolges auf den Punkt: Es muss Spaß machen, sich für die Schule anzustrengen.
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