„Jedes Jahr feiern wir das Ende der Angst vor der Stasi“
„Der 15. Januar ist uns in jedem Jahr freudiger Anlass, das Ende der Angst zu feiern – der Angst vor der Stasi. Denn an jenem Tag 1990 wurde die Zwingburg in Berlin-Lichtenberg genommen. Alle Aktivisten jener Tage und Aktivisten früherer Jahre sind weiterhin aktiv, das Bild der zweiten deutschen Diktatur nicht durch die ‚glücklichen Erinnerungen’ von Eiskunstläufern, Künstlern, Lehrern und Pastoren verkitschen und verfälschen zu lassen. Die DDR war eine Diktatur. Punkt.“
Mit diesen Worten erinnert man sich in der Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstrasse an jenen Tag, als Tausende von Demonstranten in die Zentrale des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit, genannt „die Firma“, stürmten und die Gebäude, deren Türen ihnen von innen geöffnet wurden, besetzten. Unklar blieb, ob Stasimitarbeiter gezielt die Menge in bestimmte Bereiche führten, um von den wichtigsten Akten abzulenken.
Nach einigen aufgeregten Stunden zwischen der damaligen Regierung und den Vertretern der Bürgerrechtsbewegung, des Neuen Forums, gelang es einem Bürgerkomitee, die Normannenstrasse unter zivile Kontrolle zu stellen und das ganze Ausmaß der Bespitzelung im Staat der Sozialistischen Einheitspartei aufzudecken. Eine Tätigkeit, die bis heute fortgeführt wird.
Entsetzen über einen Spitzelstaat
Seit Besetzung der Stasi-Dienststellen 1989/90 wurde immer wieder darüber diskutiert, wie mit diesem Erbe umzugehen sei. Zentrales Argument gegen die Vernichtung der Stasi-Akten blieben die Belange der Opfer. Heute ist die Behörde, „Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR“, die in Nachfolge von Joachim Gauck von Marianne Birthler geleitet wird, Vorbild für andere Staaten des ehemaligen Ostblocks oder auch anderer Diktaturen, wie durch Offenlegung ein Beitrag zum Frieden geleistet werden kann.
Zunächst jedoch überwog das Entsetzen: Sechs Millionen personenbezogene Akten wurden vom MfS in vierzig Jahren zusammengetragen. Briefe wurden geöffnet und heimlich gelesen, Telefongespräche abgehört und mitgeschnitten. Die Stasi sammelte sogar Geruchsproben von Oppositionellen, um sie bei Bedarf mit Spürhunden verfolgen zu können. Zur Praxis der Einschüchterung gegen Regimegegner gehörten auch Morddrohungen und Entführungen. Westliche Terroristen erhielten in der DDR eine neue Identität. Es stellt sich heraus, daß die Methoden des DDR-Regimes noch grausamer waren, als von seinen Kritikern vermutet.
Das dafür notwendige Personal umfasste im Jahre 1989 bei ungefähr 16,4 Millionen Einwohnern etwa 91.000 hauptamtliche Mitarbeiter und mindestens 174.200 Inoffizielle Mitarbeiter (IM) bzw. Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (GMS). Etwa 15.000 Inoffizielle Mitarbeiter waren im „Operationsgebiet“, das heißt in Westdeutschland und West-Berlin tätig.
Heimliche Internierungsbefehle für Unerwünschte
Noch am 31. Oktober 1989, als die friedliche Revolution bereits zu greifen begann, wurde in Leipzig eine Liste mit 100 Personen zusammengestellt, die im möglichen „Ernstfall“ alle inhaftiert oder in Internierungslagern untergebracht werden sollten. In Brandenburgs Wäldern konnte man Anlagen finden, die offensichtlich für die Internierung von Hunderten errichtet waren. Bei der Sichtung der sieben Kilometer Akten, die allein in der Leipzig lagen, wurde immer häufiger festgestellt, dass die Stasi-Genossen verschiedenste Maßnahmen gegen „unliebsame Personen“ zielgerichtet festgelegt hatten. Verweigerungen von Reisen, Studienplätzen oder die Festlegung, dass die betreffende Person stets nur Mindestlohn erhalten durfte, gehörten dazu. Andere Entdeckungen im Stasi-Nachlass: Alle Telegramme, die in den letzten Jahrzehnten über die Postfernschreiber tickerten, wurden in Kopien aufbewahrt.
Inzwischen hat jeder Bürger aus den neuen oder den alten Bundesländern das Recht, einen Antrag auf Akteneinsicht zu stellen. Bis heute machen Zehntausende jährlich davon Gebrauch.
Aber das ist häufig mit erschütternden Entdeckungen verbunden. Heinz S. ist einer von denen, die lange gewartet haben und er musste entdecken, dass seine besten Freunde im Spitzelsystem der Stasi tätig waren. Alle seine beruflichen Pläne als Arzt wurden verhindert oder zunichte gemacht, weil seine Mutter im Westen lebte. Darüber hinaus fand er alle beruflichen Querelen, die er dem Freund vertrauensvoll mitgeteilt hatte, in den Akten der Stasi.
FORSCHUNGS- UND GEDENKSTÄTTE NORMANNENSTRASSE
10365 Berlin-Lichtenberg, Normannenstraße 22, täglich geöffnet, Tel. 030/5 53 68 54
Fax. 030/5 53 68 53; http://stasimuseum.de/v1/1A.html
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