Eine Brücke zurück in unsere Welt

Menschen im Wachkoma haben eine aktive Wahrnehmung
Von 4. Mai 2005

Starr und reglos da liegend, auf nichts reagierend, die Augen offen, so zeigen sich in der Regel die Wachkoma-Patienten dem Besucher. Jährlich fallen 10.000 Menschen ins Wachkoma. Die meisten von ihnen leben in Pflegeheimen ohne jegliche Förderung, nachdem die ärztlichen Befunde in den Reha-Kliniken ein „Austherapiert“ diagnostiziert haben. Hin und wieder fällt ein Satz wie „Die spüren doch nichts mehr“, weil angenommen wird, dass es sich um „Gehirntote“ handelt, leere Körperhüllen, in denen niemand mehr weilt. Nahestehende Angehörige erleben es anders, und Experten stimmen ihnen zu.

Medizinisch gesehen ist bei Wachkoma-Patienten die Verbindung zwischen Großhirn und Stammhirn unterbrochen, für die Forscher bis heute ein Zustand voller Rätsel. Die Folge ist, dass die Steuerung des Bewusstseins, der Sprache, aber auch Reaktionen auf Umweltreize nicht funktionieren. Hingegen sind Atmung, Kreislauf und Stoffwechsel intakt, die vegetativen Funktionen, die vom Stammhirn gesteuert werden. Das Wachkoma, auch Apallisches-Durchgangs-Syndrom genannt, kann viele Ursachen haben: ein Unfall mit einer schweren Schädel-Hirnverletzung, Sauerstoffunterversorgung etwa durch Herzstillstand, ein Schlaganfall oder ein Tumor. Kinder sind genauso betroffen wie Erwachsene.

Was und ob Menschen im Wachkoma wahrnehmen, war lange umstritten, doch inzwischen erkennt man mehr und mehr, dass diese Menschen eine erstaunlich aktive Wahrnehmung haben. Ernstzunehmenden Versuchsergebnissen zufolge sind die Sinneswahrnehmungen auch von Komapatienten zumindest teilweise intakt; viele von ihnen können hören, sehen, fühlen oder riechen. Doch die Verarbeitung dieser Reize kann nicht wie bei uns gesunden Menschen durch das Großhirn zu einem Gesamtbild erfolgen. Deshalb sind Wachkomapatienten ganz empfindsam auf die Reize in ihrer Umgebung.

Andreas Zieger, Neurochirurg in Oldenburg und ein Experte in der Arbeit mit Wachkoma-Patienten, spricht von einem Rückzug ins „Körperselbst“. Das ist eine neue Einschätzung der Funktion des Wachkoma-Zustandes: Das Wachkoma als ein Schutz, die Außenwelt auszublenden, um im geschädigten Gehirn ein neuronales Chaos zu verhindern. Also keine Annahme mehr von einem passiven Endzustand bzw. Steckenbleiben in der Bewusstlosigkeit, sondern von einer Lebensform, die auf tiefste Bewusstseinsebenen zurückgenommen ist und ihren Sinn hat.

Basale Stimulation: der Geruch eines Öllappen ließ einen ehemaligen LKW-Fahrer beginnen zu „erwachen“

Wir müssen also davon ausgehen, dass Menschen im Wachkoma über eine Wahrnehmungsfähigkeit verfügen. Und nicht nur das, sie zeigen sogar Reaktionen auf das, was sie wahrnehmen, selbst im tiefen Koma reagieren diese Menschen auf ihre Umwelt.

Nach PIW – einem „Verein zur Hilfe zur Selbsthilfe“, der Betroffene vorübergehend aufnimmt, damit sie dann ins häusliche Umfeld zurückgeführt werden können – könnte die Hälfte der Wachkoma-Patienten zurückkehren, von denen 30 % wiederum in der Lage wären, ihr früheres Leben wieder aufzunehmen. Nach der Einschätzung von Prof. Schönle, Chefarzt in Allensbach, brauchten sogar nur zehn Prozent der Schwerst-Hirngeschädigten im Wachkoma stecken zu bleiben. Dazu sind jedoch intensive Beziehungsangebote notwendig. Demgegenüber gibt es jedoch nur wenige Plätze für eine intensive Therapie, und diese sind extrem teuer.

Geduld und Zeit sind die wichtigsten Voraussetzungen für die Heilung und Förderung dieser Menschen. Ein Schlüssel für die Förderung ist menschliche Zuwendung, therapeutisch eingesetzt durch die sog. „basale Stimulation“. Das heißt nicht, zu kneifen oder schlagen und auf dem Weg des negativen Provozierens ein Erwachen erreichen zu wollen. Solche Handlungen würden eher angsteinflößende Wirkung haben und den Patienten vielleicht zu einem tieferen Abtauchen ins „Köperselbst“ führen.

Zum Programm der basalen Stimulation im Haus Königsborn, einer Modelleinrichtung im westfälischen Unna, gehört zum Beispiel, dem Patienten für die Rasur den Rasierapparat in die Hand zu geben und diese Hand zu führen; vielleicht erkennt er diese alltägliche Situation wieder. Oder es werden Erinnerungen geweckt durch die Essensdüfte in der Küche, das Geräusch des brutzelnden Specks in der Pfanne; bei Patienten mit einer Magensonde werden Kompressen mit dem entsprechenden Geschmack in die Backe gelegt. Die Menschen im Wachkoma liegen die wenigste Zeit im Bett, stattdessen werden sie zum Einkaufen in den Supermarkt oder zum ehemaligen Arbeitsplatz mitgenommen.

„Dialogaufbau“ mit Komapatienten

In dem Forschungsprojekt in Oldenburg versucht man, auf Elementen der basalen Stimulation und sensorischen Anregungen aufbauend einen Schritt weiterzugehen und einen Dialog mit den Wachkoma-Patienten aufzubauen. Zugrunde liegt die Erfahrung, dass diese Menschen mit ihrer Umwelt in Kontakt treten, indem sie auf die ihnen einzig mögliche Weise und ganz spezifische Weise antworten. An diese „Äußerungen“ der Patienten gilt es, anzuknüpfen und einen verlässlichen „Verständigungs-Code“ aufzubauen, wie über Atemfrequenz, Seufzer, Blinzeln und andere Regungen, sodass eine sinnvolle Kommunikation mit dem Kranken aufgebaut wird. Grundlage ist eine vertrauensvolle Beziehung, die Mitarbeit von Angehörigen beim „Dialogaufbau“ unverzichtbar.

Dr. Zieger beschreibt diesen Prozess folgendermaßen: „Wichtig ist zu verstehen, dass der Dialogaufbau kein einfacher Reiz-Reaktions-Zyklus ist, sondern eine liebevolle, sich ständig verändernde zwischenmenschliche Situation, an deren Entwicklung beide Partner beteiligt sind.“ (siehe Broschüre „Informationen und Hinweise für Angehörige von Schädel-Hirn-Verletzten und Menschen im Koma und apallischen Syndrom“ unter

http://info.uibk.ac.at/c/c6/bidok/texte/schaedel.html)

Als lebende und empfindsame Menschen sollten die Wachkoma-Patienten konsequent gefördert oder begleitet und ihr Leben nicht durch Maßnahmen zur Sterbehilfe beendet werden, so Dr. Zieger. Demzufolge spricht er sich im Hinblick auf das Schicksal von Terri Schiavo, einer Wachkoma-Patientin aus den USA, das jüngst die Welt bewegte, entschieden gegen ein medizinisch indiziertes Verhungernlassen von Wachkoma-Patienten aus. (Weitere Informationen: [email protected])

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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