„Zur Hälfte Franziskaner, zur Hälfte Zigeuner“- Franz Liszt

Schon seine Zeitgenossen nannten Franz Liszt „unbeschreiblich“. Im Jahr 2011 feiert man seinen 200. Geburtstag am einfachsten bei Youtube. Eine rhapsodische Hommage zum Nachhören.
Titelbild
Der „Liszt-Flügel“: Eduard Steingraeber baute ihn 1873 mit allen technischen Innovationen, die Liszts Klavierspiel erforderlich gemacht hatte.Foto: Steingraeber und Söhne
Von 18. Oktober 2011

Wenn am Ende Wahrheit und Legenden nicht mehr voneinander zu trennen sind, dann war die Selbstinszenierung des Künstlers erfolgreich. Franz Liszt ( geboren am 22. Oktober 1811), ist genau dies gelungen. Leider, muss man fast sagen.

Foto: Steingraeber und Söhne

Er war der eigentliche Erneuerer der Musik des 19. Jahrhunderts und fand Töne, auf die andere erst jahrzehnte später kamen. Auch Wagner erhielt durch ihn die entscheidende Inspiration. Doch das abenteuerliche Leben des Klaviergottes Liszt, der als reisender Virtuose durch Europa und Russland getourt war, lenkt bis heute von seinem großartigen Wirken ab. Im deutschen Bewusstsein  gilt er als mittelguter Komponist, der auf wenige Hits reduziert wird, die sein sinfonisches und geistliches Werk – auch seine subtilen Kunstlieder – überstrahlen. Schuld daran waren sein exzentrisches Auftreten und seine modern-hysterischen Fans.

Die Trefferliste für das Suchwort „Franz Liszt“ auf Youtube ist zwar der denkbar trivialste Ausgangspunkt für eine Annäherung an den Unergründlichen, doch offenbart sie Tiefergehendes über seine Popularität. Und Kommentare wie „Das ist mein Lieblingsstück!“ können nicht lügen.

Auf Platz eins: Liebestraum Nr. 3 in As-Dur

Dieses Stück ist fast schon der Inbegriff dessen, was man heute „Kuschelklassik“ nennt. Zu Recht und auch zu Unrecht. Es entstand aus einem Lied für Sopran und Klavier, das Liszt im Jahr 1847 nach einem Text von Ferdinand Freiligrath komponierte. „O lieb‘, solang du lieben kannst!

/ O lieb‘, solang du lieben magst! / Die Stunde kommt, die Stunde kommt, / Wo du an Gräbern stehst und klagst!“,  heißt es darin. (Auf Youtube findet sich eine sehr schöne Aufnahme mit Gundula Janowitz, für das Klavierstück sei Evgeny Kissin empfohlen). Das Klagen bezieht sich im Gedicht auf die Reue, die man empfindet, wenn man einen geliebten Menschen unabsichtlich verletzt hat. Und das passierte Liszt sehr oft.

Er muss eine hochsensible und menschenfreundliche Persönlichkeit gewesen sein, der sich  sehr für andere Künstlerkollegen, Schüler und Freunde einsetzte. Trotzdem war sein Privatleben kompliziert, manchmal sogar dramatisch. Schon mit 15 verlor er seinen Vater, seine wichtigste Bezugsperson. Der haltlos Gewordene, der bis dato nichts anderes als Klavierspielen gekannt hatte, stürzte sich schon bald in verschiedene Liebesaffären.

Zweimal versuchte Liszt, das romantische Ideal einer Lebensliebe zu verwirklichen. Mit Marie d’Agoult verbrachte er zehn Jahre. Nach der Trennung lieferte sich das Paar jedoch einen erbitterten Sorgerechtsstreit um die drei Kinder. Liszt „gewann“ und erzwang den Abbruch des Kontaktes zur Mutter.

Seine zweite Lebensgefährtin, Carolyne zu Sayn-Wittgenstein, half ihm, etwas ruhiger zu leben und unterstützte ihn geduldig beim Komponieren. Die zwölf Jahre, die Liszt mit ihr in Weimar verbrachte, waren seine produktivsten. Alle hier genannten Hits entstanden damals. An Liszts 50. Geburtstag wollten die beiden eigentlich in Rom heiraten. Doch Carolyne beendete am Tag davor die Beziehung. Danach begann Liszt, sein wildes Künstlerleben in ein mönchisches zu wandeln und viel geistliche Musik zu schreiben. Mit 56 Jahren erhielt er die Weihe zum „Abbé“, einer Vorstufe des katholischen Priesteramtes.

Auf Platz zwei: Les Préludes

Neben dem Pianisten Liszt wird der Symphoniker oft unterbewertet. Dabei gelangen ihm bahnbrechende Neuerungen in Instrumentation und Harmonik. Musikalisch formulierte Liszt Visionen, die sich erst viel später in der Musik etablieren sollten. Wagner bezog von ihm die entscheidenden Inspirationen für seine musikalische Sprache und wurde ironischerweise viel erfolgreicher. Als Wagner einmal offen zugab, bei ihm geklaut zu haben, soll Liszt geantwortet haben: „Macht nichts, dann hört es wenigstens jemand.“

Leider klauten später auch die Nazis bei ihm. Die monumental-ergreifende Fanfare aus „Les Préludes“ verkündigte in der Wochenschau Siege der Wehrmacht. Das Stück selbst, eine symphonische Dichtung, ist keinesfalls kriegsverherrlichend, obwohl Konflikte darin beschrieben werden. Als Spiegel des menschlichen Lebens gedacht, schildert „Les Préludes“ die mögliche Erhabenheit des menschlichen Geistes über Widrigkeiten und Schicksalsschläge. Kosmische Klangräume und ein Stück Ewigkeit scheinen darin ebenso aufzubrechen.

Es müssen Meister am Werk sein, um der Größe von Liszts Musik gerecht zu werden. Sonst wirken seine Melodien ob ihrer puren Schönheit kitschig und das Monumentale effekthascherisch. Beim Sommernachtskonzert der Wiener Philharmoniker unter Valery Gergiev, aufgezeichnet am 2.6.2011, war dies nicht der Fall. Die erste Wahl des Youtube-Publikums für „Les Préludes“ ist geeignet, Gänsehaut zu erzeugen und Vorurteile hinwegzufegen.

Auf Platz drei: Ungarische Rhapsodie Nr. 2

Liszt war ein gebürtiger Ungar und obwohl er deutsche Vorfahren hatte und nicht ungarisch sprach, fühlte er sich seinem Heimatland sehr verbunden. So war er hocherfreut, als er 1840 den „Ehrensäbel“ und damit die Aufnahme in den ungarischen Adelsstand erhielt. Sein Geburtsort Raiding liegt heute in Österreich, weshalb gleich drei Nationen seinen Nachruhm für sich beanspruchen.

Im Zeitalter des aufkommenden Nationalismus war Liszt ein Kosmopolit und Gesamteuropäer.

Er hatte ein Herz für Minderheiten und verurteilte Diskriminierung jeglicher Art, da er selbst unter solchen gelitten hatte. Zum Beispiel, als er von der Pariser Akademie als Student abgelehnt wurde mit der Begründung, dass er kein Franzose sei. In mehrere Freimaurerlogen wurde er wegen seines Einsatzes für seine Mitmenschen aufgenommen. Und das in einer Zeit, in der Freimaurer und „papsttreu“ extreme Gegenpositionen waren. „Zur Hälfte bin ich Franziskaner, zur Hälfte Zigeuner“ sagte Liszt selbst über seine innere Gegensätzlichkeit.

Rund 200 Kilogramm Schubkraft wirken während der Ungarischen Rhapsodie auf die Saiten; ein Beispiel dafür, wie stark Liszts Musik seinerzeit die Klaviere strapazierte. Auf einer Tournee (1846) war ein gewisser Eduard Steingraeber als „Techniker“ dabei. Während der Konzerte musste er – vor Publikum und dem wartenden Liszt – zersprungene Saiten und  Tasten reparieren. Wenig später gründete er die berühmte Bayreuther Klaviermanufaktur.

Neben einem kristallklar artikulierenden Alfred Brendel feiern die Youtube-Fans die Aufnahme von Georges Cziffra. Der ungarische Ausnahme-Pianist wurde 1930 im Alter von nur neun Jahren Schüler eines Liszt-Schülers und spielt die Ungarische Rhapsodie besonders hinreißend und wild. So eine Urgewalt muss Liszt gewesen sein.



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