Waldesrauschen und Weltatem

Titelbild
Foto: Uwe Arens
Von 11. November 2010

Wer Pianist Martin Stadtfeld einmal live erlebt hat, wird zustimmen, dass so ein Klangzauber kaum auf CD zu bannen ist. Der Eindruck, den dieser Klaviergenius beim Publikum hinterlässt, ist schwer zu beschreiben. Neulich trat er im Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin auf und wurde stürmisch für drei Liszt-Paraphrasen gefeiert, die er glücklicherweise auch für sein Album „Deutsche Romantik“  aufnahm: Die „Variationen über ein Motiv von Bach“, sowie zwei Paraphrasen über Wagner, die „Tannhäuser“-Ouvertüre und  „Isoldens Liebestod“.

Durch die Tiefe seines inspirierten Spiel entkräftigte der 30-jährige mit Leichtigkeit jedes Vorurteil über Liszt´s effekthascherisches Virtuosentum. Man wurde in magische Klangräume entführt, die so unlokalisierbar waren, dass man als  Zuhörer kaum glauben konnte, dass die Musik allein dem Klavier, diesem einzig möglichen Ort, entsprang.

Würde man dem Klang von Stadtfelds Spiel als Element beschreiben, so wäre er Wasser, so durchsichtig und klar klingt er. Er kennt keinen Klangrausch  um des Rausches willen- bei ihm scheint alles von natürlichster Dramaturgie bestimmt.

Bach´s Weltschmerz

Stadtfelds Lieblingskomponist Bach wirft auf diesem Album seinen Schatten in Form einer Kantaten-Bearbeitung. Liszt schrieb seine Paraphrase über Bach´s „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ in dem Moment, als er gerade seine Tochter Blandine verloren hatte. Der Anfang trifft einen unvorbereitet harsch. Danach erklingt ein einziges Mal das Thema im Original, während die eigentliche Paraphrase aus dem Basso ostinato entwickelt wird. Stadtfeld spielt die Bach-Melodie so gedämpft, leise und verloren, dass sie in weitester Entfernung oder einem unendlich kleinen Raum zu entspringen scheint.

"Deutsche Romantik" von Martin Stadtfeld erschienen ab Oktober 2010 beim Verlag Sony Classical."Deutsche Romantik" von Martin Stadtfeld erschienen ab Oktober 2010 beim Verlag Sony Classical.Foto: Sony Classical

Oper am Klavier gesungen

Ähnlich faszinierende Wirkungen erzielt er mit den Paraphrasen über die Tannhäuser-Ouvertüre und Isoldens Liebestod, wobei hier das verblüffendste ist, wie plastisch er die im Original gesungenen Passagen gestaltet. Wenn Lizsts Klavierbearbeitungen einst halfen, Wagners Musik „für den Hausgebrauch“ zugänglich zu machen, dann erlebt man sie dank Stadtfeld heute als musikalische Offenbarungen. Ganz Oper, scheinen bei ihm die Stimmen im Klavier nachzuhallen.

Die Tannhäuser-Paraphrase überwältigt als virtuoses Feuerwerk der Klangfarben, rasend zwischen Exstase und Andacht. Das berückende: Stadtfelds Unberechenbarkeit, mit der er Tempi bremst und beschleunigt. Besonders die Wirbel der Venusberg-Passage elektrisieren durch Unvorhersehbares. Dann hämmert er als Krönung das marschartige Thannhäuser Lied „Dir, Göttin der Liebe“ über die ganze Tastaturbreite, um schließlich in riesigem Bogen zum Eingangs-Motiv zurückzukehren. Überirdisch, wie perfekt er die herabregnenden Streichermotive mit der Melodielinie synchronisiert. Wer dieses Stück zu kennen glaubte, wird kopfschüttelnd staunen.

Tristan, eine Grenzerfahrung

Stadtfelds Tristan-Musik fasziniert. Obwohl er es als Pianist mit dem bloßen Skelett von Wagners Klangmeer zu tun hat, gibt er dem ganzen eine höchst mysteriöse Aura, einen sogartigen Atem mit überraschender Dynamik. Aufwallend und verebbend, schafft er es, die Singstimme stets in anderer Klangfarbe zu malen, als die sie tragende Melodie.

Indem er auskostet, was für eine Sängerin unmöglich ist, werden die Brüche von Innen und Außen, um die es in der Tristan-Musik geht, erschütternd transparent. Bis kurz vor dem Höhepunkt bleibt er verhalten. Als er ganz am Schluss immer leiser, immer langsamer anschlagen muss, praktisch fast zu spielen aufhört, um noch die letzten und zartesten Töne einzufangen, ist es wirklich ein Ersterben. Nicht die entschwebende, auflösende Klangwolke eines Riesenorchesters, die den Zuhörer einnebelt. Hier ist der Bruch zwischen innerem Glücks-Erleben und scheinbarem Sterben im Außen am Bewegensten. Das Leben endet niemals, sagt uns diese Musik, es transformiert nur ständig.

Poetischer Miniaturenreigen

Neben diesen drei großen, finden sich noch weitere kleine Juwelen auf der CD:

Zum Beispiel Stadtfelds eigene Bearbeitung von Schumanns „Mondnacht“, wo er ähnlich Facettenreiches aus dem schlichten Lied herausholt, doch ohne zu überzeichnen.

Die „Waldszenen“ von Robert Schumann, jede einzigartig in ihrer Atmosphäre, verspielte und heitere Miniaturen. Abgerundet wird die Sammlung mit drei Brahms Intermezzi und einem selten gehörten „Albumblatt für Frau Betty Schott“ von R. Wagner.

Alles in allem ein überwältigendes Kaleidoskop der deutschen Romantik: Introvertiert und  geheimnisvoll. Mächtig wild, idyllisch und lieblich.

Deutsche Romantik, Martin Stadtfeld erschienen beim Verlag Sony Classical

Foto: Uwe Arens



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