Michelangelo und sein „Girlandenmacher“

Domenico Ghirlandaio, der Lehrer von Michelangelo, macht den Betrachter zum Teil des Werks
Titelbild
(Zenodot Verlagsgesellschaft mbH)
Von 13. August 2008

Domenico Ghirlandaio (eigentlich Domenico di Tommaso Curradi di Doffo Bigordi) ein wohlklingender Name, dessen Träger zu den herausragenden Freskenmalern der Frührenaissance gehört. „Ghirlandaio“ stammt aus dem Italienischen und bedeutet Girlandenmacher. Bekannt durch seine fein ausgearbeiteten Gesichtszüge und seine treffend in Szene gesetzten Figuren überzeugt er noch dazu mit eindrücklichen Porträts. Auffällig zieht er durch die Blicke einzelner Figuren in seinen Werken, die auf den Betrachter gerichtet sind, diese in das Geschehen hinein. Der Betrachter ein Teil des Werks – die Idee verblüffend einfach; doch erst durch die ausdrucksstarke Mimik und Gestik seiner Figuren anregend effektvoll.

Ein anderes bemerkenswertes Element ist seine oftmals angewandte Drei-Ebenen-Technik, die den Blick wie magisch in die Ferne zieht, wo Berge, Flüsse, Seen und die Silhouetten entfernter Städte den Betrachter in eine berauschende Tiefe mitnehmen. So ist es ohne weiteres möglich, dass ein Konflikt entsteht – soll man denn mehr den detaillierten Gesichtszügen, die ganze Geschichten erzählen können, seine Aufmerksamkeit schenken, oder die endlose idyllische Weite des Hintergrundes genießen?

Die Auftraggeber hoben sich in den Werken hervor

Darüber hinaus zeigt Ghirlandaio in seinen meisterhaften Arbeiten oft, dass er weit zurückliegende Geschehnisse mit der florentinischen Gegenwart verbindet. So integriert er Stilmittel der Renaissance in Kleidung und Architektur und gesellschaftliche Gegebenheiten dieser Zeitepoche mit biblischen und antiken Ereignissen. Auffällig ist die in seiner Zeit erstmals aufgetretene Darstellungsform, bei der einflussreiche Persönlichkeiten in auffallend hervorgehobener Weise neben biblischen Personen positioniert werden. In früheren Zeiten war es üblich, die Stifter beziehungsweise Auftraggeber, wenn überhaupt, kleiner und kniend am Bildrand in Gebetshaltung abzubilden.

Heimsuchung Marias, mit Maria Jakobäa und Maria Salome. (Musée du Louvre, Paris)
Heimsuchung Marias, mit Maria Jakobäa und Maria Salome. (Musée du Louvre, Paris)

Darin spiegelt sich deutlich eine Verweltlichung wider. Besonders deutlich wird dies in dem Fresko „Die Heimsuchung“ in der Chorkapelle von Santa Maria Novella (Bild oben) durch die Damengruppe im Vordergrund rechts, die nach Proportion und Position zum Gefolge Elisabeths zu gehören scheint. Die Dame, die die Gruppe anführt, ist Giovanna degli Albizzi, die Frau des Lorenzo Tornabuoni. Die ältere Dame rechts außen ist Dianora Tornabuoni; sie war die Ehefrau des Würdenträgers Tommaso Soderini und Schwester des Auftraggebers.

Domenico Ghirlandaio hat offensichtlich die Familie des Auftraggebers porträtiert – deutlich gesagt die gesamte Führungsschicht des damaligen Florenz, wenn man das Gesamtwerk in der Kapelle betrachtet, soweit es mit den Tornabuoni verwandt war. Welch ein Gegensatz zu seinem gleichnamigen Werk auf Holz, das jedoch nur Maria, Jakobäa und Maria Salome zeigt. Welch ein heiliger Glanz, welche Anmut geht von der Szene aus! Keine Verzerrung der Begegnung – sie allein bildet den Mittelpunkt -, der man sich konzentriert, die Stimmung aufnehmend, ganz widmen kann. Was war der Grund für eine so gegensätzliche Darstellung? War es der Wunsch der Auftraggeber – ein Entgegenkommen Ghirlandaios?

Mit welchen Gedanken malte er das Werk? Waren es persönliche Sympathien den Auftraggebern gegenüber, die Gewissheit um einen ertragreichen Auftrag oder eine ähnliche gedankliche Haltung wie die der Stifter im Vordergrund? Eine Haltung, bei der Macht und Ruhm im Mittelpunkt stand, die verleitete, sich den biblischen Persönlichkeiten mehr und mehr anzunähern, ja zu beginnen, sich ihnen gleichzusetzen?

Großvater und Enkel; 1490 n.Ch. (Musée du Louvre, Paris)
Großvater und Enkel; 1490 n.Ch. (Musée du Louvre, Paris)

Hinterfragt werden kann in diesem Sinne schon, ob sich die einflussreichen Familien mit dem Glanz und Einfluss heiliger Personen vor dem streng gläubigen Volk verbinden wollten oder ihrem gewachsenen Empfinden nach Macht und Einfluss so Ausdruck verleihen wollten. Dies gilt für die Medici-Familie ebenso wie für die Tornabuoni. Gerade bei der Medici-Familie spielten der Kampf um Macht, Reichtum und Ansehen eine große Rolle. Was natürlich auch eine Opposition schuf. Denn ihr Aufstieg von einer unbedeutenden wohlhabenden Familie zu einer italienischen Großmacht war begründet in geschicktem Taktieren und unbarmherzigen Ränkespielen.

Insbesondere Michelangelo, der mit 13 Jahren bezahlter Assistent in der Werkstatt von Domenico Ghirlandaio wurde, litt darunter, wie sicherlich noch einige andere Künstler dieser Zeit. Denn sie mussten oftmals entscheiden, was ihnen wichtiger war: eine gesicherte finanzielle Einkunft, die Möglichkeit, sich künstlerisch opulent auszuleben, oder sich den Machtspielen und angefachten Konkurrenzkämpfen unter den Künstlern zu entziehen und von den einflussreichen Familien abzuwenden. So fällt auf, dass die Kunst in dieser Zeit eng verflochten war mit Glauben, Politik und Wettbewerb.

„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“

Für Santa Maria Novella in Florenz malte Ghirlandaio im Auftrag von Giovanni Tuornabuoni Freskenzyklen mit Szenen aus dem Leben Marias und Johannes des Täufers (1485-1490). Daneben schuf er zahlreiche Altarbilder, darunter – ebenfalls für Santa Maria Novella – die Auferstehung Christi (1486-1490, heute Staatliche Museen, Berlin) und Maria mit dem Kind (1485-1490, Alte Pinakothek, München). Weitere bedeutende Werke sind Anbetung der Könige (1487, Uffizien, Florenz) und hervorragende Porträts, wie das eindrückliche Bild Großvater und Enkel (1480, Louvre, Paris), das einen von Alter und Gesichtswucherungen gezeichneten Großvater zeigt, dem der schöne Enkel als eine Art idealisiertes Gegenbild gegenübergestellt ist. Ghirlandaio hatte zahlreiche Schüler, die er in seiner großen Werkstatt beschäftigte, der bedeutendste von ihnen war Michelangelo. Bei Domenico Ghirlandaio lernte Michelangelo die Grundlagen der Freskokunst, mit der er zwanzig Jahre später in Rom sehr erfolgreich tätig war. Wie heißt es doch in einem bekannten Spruch: „Der Apfel fällt nicht weit von Stamm …“ – zumindest in diesem Falle kann man zu recht sagen, dass dies zutraf.

(Zenodot Verlagsgesellschaft mbH)
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