„In mein Tun verbissen und in mein Spiel verliebt“

„(...) das Malen ist wunderschön, es macht einen froher und duldsamer.“
Titelbild
Hesse, dessen ganzes Leben unter der Prämisse steht, wie er, der leise zurückgezogene Naturliebhaber, einen Beitrag für die Gemeinschaft leisten kann, unterstützt zeitlebens notleidende Künstler.Foto: Kunststation Kleinsassen
Von 15. September 2011

Volker Michels, seit Jahrzehnten Herausgeber des gesamten literarischen Hessewerkes, fand in dem Nachlass von Hermann Hesse über 3000 bis dahin unbekannte Blätter. Ungefähr 120 davon werden in der bisher wohl umfangreichsten Präsentation in der Kunststation Kleinsassen gezeigt. Günther Troll, der Kurator der Ausstellung, betreut Doppelbegabungen und hat mit H.H. einen guten Griff getan. Hesse selbst hätte nie geahnt, dass sein intimes privates Werk in der Öffentlichkeit so schnell die Herzen des Publikums erobert.

In der Kindheit schwerlebig, grüblerisch und problematisch, in der Jugend trotzig und radikal bis zum Selbstmordversuch, lebt Hesse als hochsensibler Introvertierter in seiner eigenen geistigen Erlebniswelt. Als 30-Jähriger resümiert er:

„Studenten, Professoren, Musiker, Schauspieler und Literaten sind mir stets im Umgang ein Greul gewesen, während ich alle bildenden Künstler, speziell die Maler, gern habe und fast ausschließlich mit solchen verkehre.“

Als sein Leben in der Zeit des ersten Weltkriegs in eine äußerst kritische Phase tritt – sein jüngster Sohn ist lebensbedrohlich erkrankt, seine Frau zeigt erste Anzeichen einer Schizophrenie, sein Vater stirbt und die deutsche Presse hetzt gegen ihn als Vaterlandsverräter – steht Hesse vor einem Nervenzusammenbruch.

Die Tessiner Landschaften sind seine Leidenschaft dominieren sein Werk.Die Tessiner Landschaften sind seine Leidenschaft dominieren sein Werk.Foto: Kunststation Kleinsassen

Malen – eine Verführung zum Leben

Sein Arzt, ein Psychoanalytiker, gibt ihm die therapeutische Anregung, seine Träume zu malen. Dieser Impuls ist für Hesse mit knapp 40 Jahren der Beginn einer nicht mehr endenden Schaffensperiode.

Die ersten Bilder sind Illustrationen seiner Gedichte, die er in notleidender Zeit für kleine Preise an Liebhaber verkauft. In der Zeit der Inflation lebt er sogar davon.

Nach der Übersiedlung ins Tessin lässt Hesse sich von Stimmung und Landschaft des Südens inspirieren: „Ich liebe die schöne Natur, die Wälder, Reben und Dörfer hier so sehr, dass ich sie immer wieder malen muss. Aber es bleibt bis jetzt bei ganz einfachen landschaftlichen Motiven, weiter scheine ich nicht zu kommen.“

„Als Dichter wäre ich ohne das Malen nicht so weit gekommen.“

Bevorzugt aquarelliert Hesse in Malblockgrößen, die auf den Knien noch zu handhaben sind und seine Farbpalette wechselt seit Malbeginn von dunklen Temperafarben hin zu zarten Pastelltönen und zu kräftigeren, lebensfrohen Farben in der späteren Phase. Er lässt sich vom Expressionismus inspirieren und hat Verbindungen zu Paul Klee und August Macke, die Freunde seines engen Malerfreundes Louis Moilliet sind. Hesse, reiner Autodidakt, lässt sich lediglich von Moilliet anleiten. Dies wird wie ein Türöffner für seine Seele: „Malen ist wundervoll. (…) Das befreit von der verfluchten Willenswelt.“ Und es hat einen Einfluss auf sein Schreiben: „Ich habe in den letzten Jahren, seit ich mich mit dem Malen beschäftige, zur Literatur allmählich eine Distanz bekommen, die ich nicht hoch genug einschätzen kann, und zu der ich keinen anderen Weg gewusst hätte. (…) Als Dichter wäre ich ohne das Malen nicht so weit gekommen.“

Foto: Kunststation Kleinsassen

Malen als Therapie

Das Aufgehen in der Kunst, das Verbissensein in die Arbeit und gleichzeitig das leichte, spielerisch-verliebte Vergessensein, heute mit dem Begriff „flow“ bezeichnet, fällt ihm beim Malen leichter als beim Dichten. Die Stunden, die er täglich draußen mit dem Malblock auf den Knien verbringt (vielleicht ein Drittel seiner Arbeitszeit), dienen der eigenen Erbauung, dem Erleben, dem zarten Verschmelzen mit der Natur. „(…) oft sehe ich und fühle ich die Außenwelt mit meinem Innern in einem Zusammenhang und Einklang, den man magisch nennen muss.“

Sein Freund und Dichterkollege Romain Rolland ist von der lebensfrischen Wirkung dieser Schöpfungen begeistert: „Ich bin entzückt von Ihren Aquarellen. Sie sind köstlich wie Früchte und lachen wie Blumen. Sie erfreuen das Herz.“

Hesse hätte die Kunststation und Kleinsassen geliebt

Hesse, dessen ganzes Leben unter der Prämisse steht, wie er, der leise zurückgezogene Naturliebhaber, einen Beitrag für die Gemeinschaft leisten kann, unterstützt zeitlebens notleidende Künstler. Auch Kleinsassen, ursprünglich von 1900 bis 1945 Künstlerkolonie, hat eine soziale Intention: 1979 greift man die in der Zeitschrift „Art“ veröffentlichte Idee des Künstlers Jürgen Blum-Kwiatkowski auf, Künstlern leerstehende Räume zu geben und diesen Ort dadurch zu einem Anziehungs- und Ausstrahlungspunkt zu machen. Künstler werden eingeladen, bei kostenloser Unterbringung und Ateliernutzung in der freien Dorfschule ihre Kunst zu entfalten und im Gegenzug nach Verlassen der Kunststation einzelne Werke als naturale Gegenleistung zu schenken. Dieses System mit zweijähriger Residenzpflicht für die Künstler geht auf und so verfügt das Haus über einen erstaunlichen Fundus. Mittlerweile sind die Ausstellungsräume auf fast 1500 m² angewachsen. Die Künstler kommen aus allen Genres und Ländern, so sind dort auch die russische Avantgarde oder chinesische Dissidenten anzutreffen.

Der melancholische Spätsommer war für den naturverbundenen Maler und Gärtner Hermann Hesse eine Zeit des Abschieds. Auch die kommt für die Ausstellung, aber erst am 25. September. Solange gibt es noch die Möglichkeit, mit dem Herzen und den Augen Hesses zu schauen und in seine subtile Erlebniswelt einzutauchen.

 

Ort der Ausstellung:

Kunststation Kleinsassen

36145 Hofbieber, An der Milseburg 2

Öffnungszeiten: Di – So 13 bis 18 Uhr

www.kleinsassen.de


 



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