Erhabene Freundschaft und friedlicher Dialog
Die Nazarener – die erste Künstlerbewegung im modernen Sinne
Die beiden dargestellten Frauen repräsentieren zwei künstlerische Ideale: Die Malerei der italienischen Frührenaissance bis zum jungen Raffael, sowie die deutsche altmeisterliche Malerei wie die Albrecht Dürers. Aus diesen beiden von ihm sehr verehrten Quellen bezog Johann Friedrich Overbeck seine Inspiration.
Auch als Allegorien von Kirche und weltlicher Macht können die beiden Figuren gelesen werden, da Overbeck und die Künstlergruppe der Nazarener die Erneuerung der Allianz von Kunst, Kirche und Staat forderten. Eine konservative, ja reaktionäre Idee in einer Zeit, als die Kunst an sich nach einer neuen Daseinsberechtigung suchen musste: Die industrielle Revolution dämmerte herauf und Bürgertum wie Künstler wurden zunehmend unabhängiger. In diesen Tagen am Beginn des 19.Jahrhunderts brachen Overbeck und einige seiner Mitstudenten an der Wiener Kunstakademie mit dem etablierten System – enttäuscht von der gedanklichen Leere des alldominanten Neoklassizismus und der Routine der künstlerischen Ausbildung.
In losen Zusammenkünften, die sie von 1808 an hielten, kamen sie darin überein, dass sie ihre christlichen Ideale in der altmeisterlichen Kunst Europas verwirklicht sahen. 1810 verließ Overbeck zusammen mit drei weiteren jungen Malern die Wiener Akademie und reiste nach Rom. In Italien hoffte er ein Leben wie „die wahren alten Künstler“ zu führen.
Der Durchbruch in Rom
„Die Lukasbrüder“ wie sich die Gruppe nach dem Schutzpatron der Maler, St. Lukas, nannte, besetzte das verlassene Kloster San Isidoro in Rom und führte dort ein nahezu mönchisches Leben mit Ordensregeln, nur dem Malen und Beten verschrieben. Bald waren sie bei Gegnern wie Unterstützern unter dem spöttischen Spitznamen „Nazareni“ bekannt, was auf ihr langhaariges und biblisches Erscheinungsbild hinwies. Schnell bekamen sie durch geistesverwandte, meist deutsche Künstler, Verstärkung.
Größter Verdienst der Nazarener war die Wiederbelebung der Fresco-Technik, die damals fast in Vergessenheit geraten war. Mit zwei Großaufträgen, den Fresken für die Casa Bartholdy und das Casino Massimo in Rom erlangte die Gruppe internationale Anerkennung. Bis 1830 waren jedoch alle Nazarener nach Deutschland zurückgekehrt, um als einflußreiche Lehrer oder gar Direktoren von Kunstakademien zu arbeiten.
Overbeck, der stets das Haupt der Bewegung gewesen war, lehnte solche Offerten ab (unter anderem wurde ihm die Leitung des Städelschen Kunstinstitutes in Frankfurt am Main angeboten) und blieb in Rom, wo er seinen Traum bis zu seinem Tod im Jahr 1869 lebte, von Verehrern und Gleichgesinnten bewundert, von progressiven Zeitgenossen belächelt.
Die Ideen der Nazarener
Durch den Terror der französischen Revolution hatte sich die Aufklärung und ihr Rationalismus selbst ad absurdum geführt. Die hiervon desillusionierten Nazarener wünschten sich deshalb eine Gesellschaft, die auf Glauben antatt auf Intellekt gegründet ist, wofür sie das Mittelalter als positives Beispiel sahen. Mit seiner Ehrlichkeit und Schlichtheit wurde es ihre bevorzugte Stilvorlage.
Besonders „Italia und Germania“ wird als das programmatische Nazarener-Gemälde schlechthin betrachtet, da es die beiden künstlerischen Ideale der Bewegung feiert: In der in sich gekehrten, madonnenähnlichen Figur manifestiert sich der Geist der italienische Renaissance, während die blonde Jungfrau die Pracht und Natürlichkeit der deutschen altmeisterlichen Kunst versinnbildlicht.
Sieht man eine Kunstbewegung als Zusammschluß von Leuten, die eine bestimmte künstlerische Utopie und Ideologie formulieren um dann danach arbeiten, dann waren die Nazarener die erste Bewegung dieser Art und somit Vorläufer der modernen Bewegungen. In Overbecks Bild „Italia und Germania“ wird ihre geistige Welt überzeugend kommuniziert, da hier Ikonographie, Malweise und Komposition perfekt ineinander greifen. Der nazarenische Traum von Kunst findet darin seinen vollendeten Ausdruck.
Das Gemälde
Je länger man es ansieht, umso mehr Schönheit und Inhalt enthüllt das Bild der beiden Frauen. Durch die klaren und strahlenden Farben erregt es von selbst Aufmerksamkeit, noch reizvoller wirkt es durch die erstaunlich glatte Oberfläche, die kaum einen Pinselstrich erahnen lässt.
Die beiden Frauen befinden ich in einem vertraulichen Gespräch, sie scheinen sich sehr nahe zu stehen und einander innig verbunden zu sein. Dieser Eindruck wird vorallem durch die Komposition erzeugt, in der verschiedene Ovalformen miteinander korrespondieren. Das größte Oval verläuft von den Schultern der beiden über ihre Arme durch die verschränkten Hände hindurch; hinzu kommen die ovalen Halsauschnitte, denen Overbeck die gleiche Größe gab, die Ähnlichkeiten in den Kleidern wie die Taillengürtel und weißen Blusenärmel sowie die Kränze, die beide tragen. Der rosa Mantel, der den Unterkörper Germanias verhüllt, umrahmt und betont mit seinem weichen Faltenwurf die gesamte ovale Dynamik ihres Zusammenseins.
Das man zuerst an ein religiöses Sujet denkt, kommt durch die strenge Dreieckskomposition, in der die Figuren arrangiert wurden, denn dies verbindet man mit sakralen Darstellungen, speziell den Madonnenbildern Raffaels. Die beiden Frauen werden förmlich zu Heiligen. Wie in der Renaissance füllen sie das wohlbalancierte Format und die Landschaft wird nebensächlich, mit dezenten Grün- und Brauntönen wird lediglich eine Kulisse geschaffen. Doch deuten Details auf die Identität der Dargestellen hin: Romanische Architektur und Mittelmeer flankieren Italia, während eine gotisch anmutende Stadt und Berge Germanias Seite schmücken.
Geheiligte Freundschaft
Allein durch die würdevolle Harmonie und Ruhe der Kompostion gelingt es Overbeck, die Freundschaft der beiden Mädchen bis zur Heiligkeit zu überhöhen. Ihre stark idealisierten Gesichter sind keinesfalls Portraits und beider Haut schimmert unwirklich weiß wie Porzellan. Trotzdem übersteigt das Bild die reine Allegorie, es schildert auf lebendige Weise ein sehr menschliches Gespräch.
Interessanterweise sind sie verbunden und doch unabhänging voneinander, denn ihre Blicke treffen sich nicht. Über die Hände, das Dreieck, das sie bilden und die vielen runden Formen werden sie zur Einheit verschmolzen. Dennoch hat jede der beiden ihre eigene Persönlichkeit und eine emotionale Qualität, die über das Idealportrait hinausgeht.
In der Art wie die blonde Germania im Profil ihre Nase in die Luft streckt, liegt gleichzeitig Lieblichkeit und Keckheit. Extrovertiert und freundlich wirkt auch der Myrtenkranz den sie trägt und dessen geöffnete Blüten sich in den goldenen Knöpfen ihres Ärmels wiederholen. Sie neigt sich nach vorne zur Dunkelhaarigen, deren Hand sie mit beiden Händen umfasst. Offensichtlich spricht sie mit ihr; einige meinen, sie würde ihrer Freundin Trost spenden.
Das Bild der Italia entspricht mit seiner klassischen Dreiviertelansicht und der blauen und roten Bekleidung zahllosen Mariendarstellungen. Indem sie ihre Hand schützend vor den Körper hält nimmt man sie als introvertiert, ja fast melancholisch war. Sie blickt demütig zu Boden, während ihre Gesprächspartnerin neugierig in die Landschaft kuckt. Das Kleid der dunklen Dame ist im Vergleich weitaus schlichter und kommt ganz ohne Verzierungen aus. Ihr Lorbeerkranz ist das einzige Detail, dass auf ihre mediterrane Herkunft verweist und der ansonsten perfekten Madonna eine kleine Ungewöhnlichkeit hinzufügt.
So beweisen „Italia und Germania“, dass die Vereinigung von Gegensätzen möglich ist und zeigen den friedlichen Dialog verschiedenartiger Temperamente.
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