„Die Arbeit an sich selbst ist eigentlich die wertvollere“
Er ist in den großen Konzertsälen der Welt zu Hause, und für ihn sind Stars am Cello wie Bernard Greenhouse und Mischa Maisky Du-Freunde und Kollegen, die ihm bei einem Glas Wein auch schon einmal etwas über die Tücken ihrer Instrumente erzählen. Wir trafen den in Zürich geborenen Orfeo Mandozzi in seiner Wohnung in Wien zum Gespräch über sein am 19. Februar 2010 anstehendes Konzert im Wiener Musikverein und erfuhren dabei, warum Cellisten oft eine Hassliebe zu ihren Instrumenten pflegen, warum es mehr Sinn macht, an sich selbst als an der Verbesserung seines Instruments zu arbeiten, warum man die Persönlichkeit eines Künstlers am Klang erkennen kann, dass Pablo Casals jeden Morgen über einer Bach-Suite meditierte – und dass ein gutes Wiener Ensemble aus einem Schweizer, einem Russen und einer Serbin bestehen kann.
Epoch Times: Herr Mandozzi, wie würden Sie sich selbst beschreiben?
Orfeo Mandozzi: Ich bin ein Allrounder, aber mit der Zeit habe ich mich immer besser kennen gelernt – meine Vorlieben, und nicht zuletzt die große Liebe zum Celloklang und -ton. Ich habe Vieles ausprobiert: Horn, Gitarre, Oboe, Klavier, Schlagzeug, Kontrabass. Mit zwölf habe ich dann eine Platte von Rostropowitsch gehört mit dem Dvorak-Cello-Konzert, und ich hab diese Platte sicher 1000 Mal gehört … Das war einfach – ich war süchtig nach diesem Klang, dieser unglaublichen Präsentation! Und wie man als Kind dann so im Konzert sitzt und diesen Leuten zuhört, denkt man nicht, dass man sie später kennen lernt und persönlichen Kontakt mit ihnen hat. Ich kann mich erinnern, als 13-Jähriger in einem Konzert des Beaux Arts-Trios gewesen zu sein, das war eines der schönsten Konzerte, die ich jemals gehört habe; mit Menahem Pressler am Klavier, Bernard Greenhouse und Isidore Cohen an der Geige. Ich war so begeistert, dass ich nach dem Konzert nach hinten gegangen bin zum Künstlerzimmer. Dort gab es ein warmes Willkommen: Greenhouse hat gefragt: „Ah, du spielst auch Cello?“ und mir gleich seine Stradivari in die Hand gedrückt.
Epoch Times: Die Greenhouse seit dem Jahr 1958 bis heute spielt.
Mandozzi: Genau. Und jedes Mal, wenn ich bei ihm Zuhause bin, drückt er mir wieder das Cello in die Hand. Ich habe selbst mittlerweile ein wunderbares Instrument von Francesco Ruggeri aus dem Jahr 1675; aber sein Cello hat wirklich einen unglaublichen Ton. Als ich einmal bei ihm im Keller auf seiner Stradivari geübt habe ist er heruntergekommen und hat gesagt: „Du hast mir jetzt meinen Ton gestohlen, pass auf, dass Du nicht mein Cello stiehlst, wenn Du weggehst.“ Dabei schmunzelte er. Also, die Verlockung war groß, es ist ein phänomenales Instrument, das Niccolo Paganini gehört hat.
Epoch Times: Aber Paganini selbst hat nie Cello gespielt…?
Mandozzi: Obwohl er selbst nie Cello gespielt hat, hatte er ein ganzes Quartett von Stradivari gesammelt. Und dieses Cello ist jetzt, glaub ich, in Deutschland in einer Ausstellung zur Zeit, ich weiß, dass er selber es dann abholen wird. Er ist jetzt 94 Jahre alt!
Mit Rostropowitsch war es ebenfalls eine große und lange Freundschaft [holt Fotos von sich selbst mit Rostropowitsch in freundschaftlicher Umarmung] – das war 1987, da hab ich gespielt, das war sein Geburtstag, muss sein 60. gewesen sein. Er hat mir danach dieses Foto geschickt, das fand ich eine sehr nette Geste. Ich hab ihn später auch öfter getroffen mit meinen Schülern zusammen.
Epoch Times: Was würden Sie sagen, wie groß ist eigentlich der Kreis der Top-Cellisten weltweit?
Mandozzi: Man kennt sich untereinander, aber, ein Agent hat mir mal gesagt, es ist viel schwieriger einen phänomenalen Cellisten unterzubringen als einen guten Geiger. Ich weiß nicht, ob das ganz stimmt. Es gibt Cellisten in jeder Musikrichtung: Das Cello wird in der Barockmusik, Rockmusik und auch in der Filmmusik benutzt – es gibt so viele Sparten mit großartigen Künstlern.
Dieser Ton ist eben etwas Besonderes. Ich bin mein Leben lang auf der Suche, habe auch immer wieder bei verschiedenen Lehrern geschaut, ob ich noch etwas dazulernen kann. Jeder hat etwas Persönliches und Interessantes. Ich denke, das ist eben das Interessante, dass man die Persönlichkeit eines Künstlers durch den Klang spüren kann.
Epoch Times: Es gibt auch Leute, die sagen, Handschriften tragen den Charakter der Persönlichkeit in sich. Ich hab auch das Gefühl, eben bei Musik ist es das Gleiche; ich kann mich erinnern, ich habe einmal das Bach Prelude Cello Suite Nummer 1 verglichen von verschiedenen Cellisten, da war das deutlich zu merken. Ich persönlich mochte ja die Version von Mischa Maisky am meisten …
Mandozzi: Ich bin ein großer Maisky-Fan, wir haben oft gespielt, da gibt’s auch viele Fotos mit ihm. Ich denke, er ist jemand mit viel Persönlichkeit.
Epoch Times: Kann sich ein Musiker für gewöhnlich durch sein Instrument besser ausdrücken als durch Sprache?
Mandozzi: Ich denke, es gibt mehrere Komponenten. Das erste ist natürlich: Man muss ständig daran arbeiten. Es ist eine tägliche Suche beim Üben, eine Phrasierung aufzubauen, natürlich auch das Stück anzuschauen. Jedes Stück verlangt etwas anderes, dann muss eine sehr unterschiedliche Art von Tönen haben, aber es gibt auch etwas, ich weiß nicht, ob es am Vibrato liegt oder an der Art des Gewichts auf den Saiten. Ein interessanter Ton ist nicht ein Ton, für den man ein Kilo Druck gibt und dann entlang zieht, sondern ein Ton, den man moduliert. Das zu suchen bedarf vieler Arbeit und vielen Experimentierens. Wenn man das in der Arbeit beim Üben gemacht hat, kann es sein, dass etwas Einzigartiges entsteht. Manchmal merkt man das selber nicht. Ich höre manchmal Aufnahmen von Konzerten, und dann sage ich „Ah, diese Stelle hab ich anders im Konzert empfunden“, und sie ist auf der Aufnahme vielleicht noch etwas anders. Also es entsteht etwas.
Epoch Times: Wie geht es Ihnen damit, wenn Sie sich Aufnahmen von sich selbst anhören, die etwas weiter zurückliegen? Ist das dann fremd? Oder geht es sehr nahe und die Erinnerung kommt zurück?
Mandozzi: Es ist sehr unterschiedlich. Manchmal kann ich mich ganz genau an den Moment erinnern, aber meistens ist es -ja – es ist ein neues Erlebnis. Man hört sich, erkennt sich, aber die Tempi sind ganz anders. Es ist erstaunlich: Wenn ich die gleichen Stücke aus verschiedenen Aufnahmen von mir höre, sind ganz andere Tempi darin. Obwohl ich dieselbe Person bin, sind es ganz verschiedene Interpretationen. Oder wenn ich Videos anschaue, dann mache ich ganz andere Fingersätze, ganz andere Bogenstriche, sie sind plötzlich ganz anders. Das ist auch, was mir Spaß macht.
Wenn ich ein Stück einstudiere, schaue ich auf die Quellen und Manuskripte verschiedener Ausgaben – allein von Bach-Suiten gibt es über 100 Ausgaben. Ich kenne jemanden, der die alle gesammelt hat. Wenn man sie am nächsten Tag spielt, möchte man wieder etwas anders machen. Deshalb, wenn ein Schüler von mir meine Fingersätze und Bogenstriche verlangt, sage ich prinzipiell „Nein, machen wir das gemeinsam! Schauen wir, was für dich jetzt dabei rauskommt. Zuerst probieren wir was aus.“ Und dann findet man etwas.
Epoch Times: Wie gehen Sie gewöhnlich auf ein Stück zu, das Sie sich neu erarbeiten?
Mandozzi: Sehr unterschiedlich. Bei Stücken, die bekannt sind, da gibt’s verschiedene Philosophien, es gibt die eine Philosophie, die sagt „Ohren zu und Augen zu“ – nur Schauen, was auf dem Papier steht und die Tradition ignorieren. Ich mache das anders – ich vergleiche bei bekannten Stücken sehr viele Ausgaben, höre mir sehr viele Aufnahmen an. Zuerst kopiere ich quasi, und dann distanziere ich mich davon. Bei modernen Werken, wo ich der Erste bin, der dieses Stück spielt, mach ich es ganz anders. Zuerst studiere ich das Stück ohne Instrument, also zuerst die Partitur, sehe mir nach Möglichkeit auch andere Stücke des Komponisten an, seine Sprache …- jeder Komponist hat auch seine Notationssprache. Ein Punkt bei Beethoven oder Chopin bedeutet etwas anderes als bei Mozart. Man muss versuchen, dem Komponisten zu folgen – und dann natürlich auch seiner eigenen Intuition.
Epoch Times: Wie offen sind noch lebende Komponisten bei der Zusammenarbeit?
Mandozzi: Meistens sind Komponisten sehr offen für Vorschläge. Ich habe erlebt, dass ich dem Komponisten bei der Uraufführung eines Cellokonzerts gesagt habe: Du, diese Stelle ist technisch so sehr schwer, was meinst du damit, was ist der Sinn. Dann haben wir gemeinsam andere Töne gefunden, die besser passen, oder sagen wir, die der Idee gerechter werden. Mit dem Komponisten selbst ist es oft ein interessantes Arbeiten.
Epoch Times: Wie sieht ein normaler Arbeitstag am Cello aus?
Mandozzi: Das Üben ist ein großes Thema. Es ist so, dass verschiedene Konzerte unterschiedliche Zeit an Vorbereitung benötigen. Es gibt eine Minimumzeit von zwei Stunden Üben, mit der man quasi gerade einmal in Form bleibt. In diesem Monat habe ich viele Konzerte, da kommen locker sechs bis acht Stunden zusammen. Es ist auch nicht wirklich eine Zeitfrage. Zeit ist ein sehr relativer Faktor beim Üben. Manchmal übt man eine halbe Stunde und man denkt, man hat zwei Stunden geübt. Manchmal sitzt man und denkt, es sind 15 Minuten vorbeigegangen und es sind schon zwei Stunden vorbei. Man taucht so ein – Zeit wird dann sehr relativ.
Epoch Times: Okay. Aber es bedarf einer Übungszeit von zwei Stunden, um sich gewisse Grundfertigkeiten zu erhalten.
Mandozzi: Zwei bis vier Stunden.
Epoch Times: Es ist also enorm viel technisches Handwerk beim Cellospiel im Profibereich dabei.
Mandozzi: Absolut. So wie beim Schauspieler oder beim Maler. Man muss dem Publikum das Gefühl geben, dass alles im Moment entsteht; aber in Wirklichkeit sind besonders die Passagen, die so leicht oder so natürlich erscheinen, gerade die, wo man am meisten gearbeitet hat.
Epoch Times: Hat sich eigentlich viele geändert im Beruf des Cellisten heutzutage im Gegensatz zu vor 200 bis 300 Jahren?
Mandozzi: Es hat sich sehr verändert und es ändert sich ständig. Ich sehe jetzt, wie ich als Student war, und jetzt, 20 Jahre später, ist die Musikwelt ganz anders geworden. Heutzutage muss ein Künstler sich selbst managen, man muss sich um viele Dinge kümmern, die nicht so evident sind, ein Manager kann einem nicht alles abnehmen; das geht von CD-Produktionen bis Werbung, E-mails schreiben und diese ganzen Sachen. Ein idealer Tag ist eigentlich einer, an dem ich Abstand von diesen Dingen nehmen kann.
Epoch Times: Würden Sie sich am liebsten voll auf die Musik konzentrieren, wenn das möglich wäre?
Mandozzi: Ja. Weil es einen sehr fordert, wenn ich einen Tag sechs Stunden arbeite. Auch wenn es rein von der Zeit nicht nach so viel aussieht, ist man danach wirklich erledigt. Man ist körperlich und geistig wirklich ausgelaugt.
Epoch Times: Sie haben mir vorhin etwas über Ihre Beziehung zu Ihrem Instrument gesagt. Man verbringt mit seinem Instrument im Laufe seines Lebens wahrscheinlich mehr Zeit als mit irgendeiner Person …
Mandozzi: Stimmt.
Epoch Times: Was baut sich da für ein Verhältnis auf?
Mandozzi: Es ist ein Hassliebe-Verhältnis, das kann ich ganz offen sagen. Es ist etwas komplex, zum einen hat man ein Instrument in der Hand, das nicht nur ein Werkzeug ist, sondern auch ein Kunstwerk. Wenn man es anschaut, dann sieht man – deshalb erzielen diese Instrumente auch einen Preis von fünf bis sechs Millionen Euro -, welch eine Tradition, welch ein Können, welch eine Genialität bei den Geigenbauern in dieser Zeit vorhanden war. Es ist ein großer Respekt da vor den großen Cellisten, die auf dem Instrument gespielt haben, das ist quasi ein Fortführen der Tradition. Dann, wenn man es rein als Werkzeug betrachtet, kennt man die Vorteile ziemlich schnell.
Epoch Times: Welche Unterschiede sind das genau?
Mandozzi: Normalerweise könnte man sagen, wenn man’s nicht weiß: „Na gut, da gibt’s den Wirbel, die Saiten, den Steg, den Körper. Aber meine Güte, was kann da so großartig anders sein? Abgesehen vom Geldwert, nur vom Klang, was kann da so anders sein?“ Vielleicht kommen wir da zu dem Hassteil, das würde es gut erklären. Das Unglaubliche: Jeder Ton auf dem Cello klingt anders, also es gibt nicht einen Ton, der gleich klingt wie der andere – die Tonfarben, die Schwingungen … Und das auszugleichen in einer Phrasierung bedarf schon vieler Arbeit. Je mehr man sich mit diesen Details beschäftigt, umso mehr kennt man die Schwächen. Und dann beginnt der Prozess, diese Probleme vom Instrument auszugleichen oder die guten Sachen rauszuholen und die schlechteren zu verbessern.
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Epoch Times: Und da kann es dann schon mal zu Hassmomenten kommen.
Mandozzi: Ja. Wenn man beginnt, Probleme auf das Instrument zu schieben. „Dieser Ton klingt schlecht, also sag ich, das ist das Cello“ – das ist der Hassmoment. Man erkennt eigentlich nicht das Cello als Schwachpunkt, sondern sich selbst. Und man muss an sich arbeiten, damit man mit dem Instrument am besten umgehen kann. Und das quasi loslassen. Ich kenne Kollegen, die sind jeden zweiten Tag beim Geigenbauer und versuchen noch einen anderen Steg und noch eine andere Saite, eine härtere und schwächere, und so weiter, immer etwas anderes einzustellen. Damit habe ich vor langer Zeit aufgehört, weil ich gemerkt habe: Die Arbeit an sich selbst ist eigentlich die wertvollere.
Man erkennt übrigens auch ein Instrument am Klang. Wenn ich auf Greenhouses Stradivari gespielt hab oder Rostropowitschs Stradivari – man erkennt dennoch den Ton des Besitzers.
Epoch Times: Der Künstler prägt sich also auch auf dem Instrument ein?
Mandozzi: Es ist auch physikalisch erklärbar. Ein Geigenbauer hat mir das mal erklärt: Die Struktur, die atomare Struktur verändert sich, je nach Schwingung. Ich merke das selber, wenn ich mein Cello jemandem borge, klingt es danach anders. Es dauert dann, ich weiß nicht genau, fünf Minuten oder eine halbe Stunde, bis es wieder nach mir klingt. Und andersherum ebenfalls. Man lernt vom Instrument. Ich glaube, das ist auch eine Gabe. Manche Leute können sofort die Vorteile eines Instruments erkennen und manche brauchen länger.
Epoch Times: Ist es ein Geheimnis oder können Sie sagen, was auf Ihrem Cello, auf dem Sie normalerweise spielen, die Schwächen und Stärken sind? Was ist es, was Sie daran lieben, was ist es, was Sie eher hassen?
Mandozzi: Das ist wirklich Hass-Liebe. Ich höre immer wunderschöne warme Töne und weiche, wunderschöne warme Kantilenen. Das geht mir manchmal schon auf die Nervern, weil ich auch gerne Akzente setze, und auf meinem Cello, wenn man einen Akzent setzt, kommt er erst wieder schön und weich raus.
Epoch Times: Kann man das Instrument mit Menschen aus verschiedenen Kulturen mit unterschiedlichen bestimmenden Wesenszügen oder Charaktermerkmalen vergleichen, die mal stärker ausgeprägt sind oder mal weniger stark da sind?
Mandozzi: Genau so ist es. Paganini hat einmal etwas Lustiges gesagt über den Unterschied von Deutschen und Italienern. Jemand hatte zu ihm gesagt: Die haben verschiedenes Blut, deswegen sind sie so anders, und er hat gesagt, nein, wir sind alle gleiche Menschen, wir haben genau dasselbe Blut, es fließt nur in einem anderen Tempo.
Epoch Times: Ihr Cello, was für eine Person wäre es?
Mandozzi: Also ich versuche nicht da, so in dieser Richtung zu denken.Ich habe meinem Cello auch keinen Namen gegeben. Es gibt viele, die ihrem Instrument einen Namen geben.
Epoch Times: Hat Greenhouse jemals seinem Instrument einen Namen gegeben?
Mandozzi: Hat er nicht, aber …
Epoch Times: Wir können das auch weglassen-…
Mandozzi: Nein, nein, es ist schon interessant, und ich glaube, ich darf das auch sagen: Er hat mir einmal sehr spät am Abend – schönes Essen, guter Wein – gesagt, dass er irgendwie die ganze Zeit eine Verbindung zu Gott spürt. Vielleicht ist es schwer zu verstehen, aber es gibt etwas, ich weiß nicht, ob das Gott ist, oder was es ist. Es ist auf jeden Fall etwas Übersinnliches. Und es kommt durch den Ton und durch die Schwingungen – wenn ich einen Tag gut geübt und eine gute Intonation und einen guten Ton gehabt habe, dann spüre ich irgendeine Reinheit, dann ist alles in Harmonie.
Epoch Times: Es gibt ja auch – mir fällt immer der Spruch von Händel ein, als er den „Messias“ komponiert hat, diesen Wahnsinnsakt in nicht einmal drei Wochen: „Ich sehe den Himmel offen“. Es gibt viele Künstler, die sagen „Ich bin so eine Art Medium, das hier etwas transportiert und die Dinge nur aufschreibt“.
Mandozzi: Ich glaube es ist vielmehr die viele Arbeit, die dahinter steckt. Das viele Sammeln von Eindrücken, von Arbeit, von Detailarbeit, die dann dazu führt, dass man sich einmal lösen kann, und es entsteht etwas, das nicht von einem selbst zu sein scheint.
Epoch Times: Ja, das glaub ich gern. Wenn ich mir Ihre Fotos ansehe: Wie wichtig ist Ihnen die Beziehung zu Kollegen oder zu Mentoren. Ich glaube, ab einem bestimmten Niveau gibt es ja nicht mehr viele Menschen, von denen man lernen kann oder will.
Mandozzi: Ich habe – ich weiß nicht, ob das makaber ist es zu sagen – gestern und vorgestern großartigen Unterricht von Rostropowitsch bekommen, obwohl er schon zwei Jahre tot ist. Ich habe Videoaufnahmen von ihm angeschaut und plötzlich Sachen verstanden, die er mir gesagt hatte.
Es kommen verschiedene Ebenen, und dann ist man bereit, diese Dinge zu verstehen – oder – man hatte sie verstanden und versteht sie jetzt auf einer anderen Ebene. Wie er mit Timing umgegangen ist, dem Aufbau einer Phrase, das ist einfach großartig. Also man lernt ständig. Wenn man mit Leuten Kammermusik macht zum Beispiel: Es kann ein Kampf sein, seine eigene Idee durchzusetzen, aber gleichzeitig sind gerade diese Momente interessant, in denen man Ideen ausdiskutiert. Und es entsteht dabei eine dritte Seite, es gibt auch eine dritte Dimension, die dann entsteht. Ich habe gerne viele Proben, in denen man seine eigene Meinung auch anhand der Grenzen des Gegners oder des Mitspielers modelliert.
Epoch Times: Es gibt wahrscheinlich eine sehr breite Palette an Verständnissen und Zugängen.
Mandozzi: Ja. Es sind immer zwei Seiten da. Es gibt kein Fortissimo, das keinen Moment hat, wo man nicht etwas wegnimmt, es gibt kein Pianissimo, wo man nicht etwas dazu gibt. Es gibt nicht das Eine ohne das Andere, und gerade dann wird’s interessant. Ich habe auch sehr viel von Sängern gelernt. Wenn sie in ein Pianissimo gehen, nehmen sie sehr viel weg vom Ton, aber mit gleicher Stärke müssen sie stützen, damit der Ton nicht fällt. Ein Pianissimo kann unglaublich intensiv sein. Also es gibt immer beide Seiten, Tag und Nacht.
Epoch Times: Es gibt Menschen, die sagen, Stille kann auch sehr intensiv sein.
Mandozzi: Genau.
Epoch Times: Was sich da alles abspielt … Manches, was sich so zwischen menschlichen Körpern abspielt, kann man vielleicht messen, alles wahrscheinlich nicht – aber es ist in jedem Fall einiges. Es gibt Studien darüber, dass klassische Musik auf Kinder oder auf Babys im Bauch der Mutter eine sehr positive Wirkung haben. Wie sehen Sie das, wie unterscheidet sich die klassische Musik von anderen Dingen bzw. in der Klassik gibt es ja auch eine sehr breite Palette. Was bevorzugen Sie?
Mandozzi: Ich stimme dem voll zu, dass Musik, dass Töne eben treffen können. Ich hab schon öfters erlebt, im Konzert zu sitzen, und plötzlich kamen mir die Tränen und ich wusste nicht, warum. Es hat mich einfach auf einer anderen Ebene getroffen. Wie gesagt beim Üben auch, man kommt in Harmonie, das geht … Ich brauche da keine wissenschaftlichen Studien, das glaube ich sofort. Und zur Klassik, ja was ist Klassik? Ein großes Missverständnis ist, dass Musik nicht nur etwas Schönes sein kann, also nicht immer schön sein muss, sondern gerade bei der Klassik man eine großartige Palette an Gefühl hat. Daher gehören die negativen auch dazu. Und man kann sagen das ist auch schön. Es gibt ein Sprichwort von Tschaikowski, das sehr interessant ist, er hat einmal gesagt: „Früher hat man Musik geschrieben zum Vergnügen, zur Unterhaltung der Leute, und jetzt schreibt man Musik, um sie leiden zu lassen. Bei der Klassik kann man so viel mehr erleben, als bei einem Rock-Konzert. Ich denke, es gibt auch großartige Popmusik, aber ohne die Vielfalt und die Tiefe, die man mit Klassik erreichen kann.
Epoch Times: Eben. Ich wollt gerade fragen, wie erleben Sie das, der Markt für Klassik wächst und wächst, hab ich das Gefühl, also man könnte nicht sagen, dass es da jetzt schlecht ausschaut.
Mandozzi: Ja, es wurde immer geklagt, dass es schlimmer wird, und der Markt verändert sich, es wird nicht unbedingt schlechter, man muss dann neue Wege finden, das ist was man machen muss. Als Vivaldi nach Wien gekommen ist, war er ein großartig gefeierter Musiker, dann ist er nach Wien gekommen und ist gescheitert, weil der Geschmack der Leute sich geändert hatte, und plötzlich seine Musik nicht mehr interessant war. Da waren 1740 schon ganz andere Stilrichtungen. Wie gesagt, der Markt verändert sich. Ob das jetzt zahlenmäßig wächst, das weiß ich nicht, also es gibt schon Orchester, die zusperren, und Veranstalter beklagen sich, dass sie nicht genug Besucher haben, aber ich sehe, dass man ein Publikum auch mitnehmen kann, dass man Leute dafür begeistern kann und sie dann wieder kommen. Ja, es ist jetzt zugänglicher für viele Menschen, früher war das quasi eine elitäre Sache oder begrenzt für einen kleineren Kreis von Menschen. Heutzutage dürfen alle Menschen Klassik genießen.
Epoch Times: Und Nils Mönkemeyer bekommt einen Echo Klassik.
Mandozzi: Genau so.
Epoch Times: Hin und wieder bekomme ich das Gefühl, dass klassischen Stücken auch Gewalt angetan wird, wenn ich mir manche Konzerte anhöre.
Mandozzi: Ich denke, das Schlimmste, was passieren kann, dass Routine und Gleichgültigkeit ins Spiel kommen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe bewundert wie Rostropowitsch zum x-tausendsten Mal Dvorak gespielt hat, jedes Mal anders, jedes Mal neu.
Ich denke, es muss immer ein Gefühl dahinter sein. Wenn man seinen Beruf ohne Gefühl macht, und ich glaube das trifft in jedem Beruf zu, dann hat es wenig Sinn. Rostropowitsch hat einmal zu mir gesagt: „Wenn du nicht das Gefühl hast beim Üben, dann übe lieber nicht, mach etwas anderes, was dir Spaß macht.“ Das habe ich mir zu Herzen genommen.
Epoch Times: Ich glaube, es war Pablo Casals, der jeden Morgen das gleiche Stück gespielt hat, über Jahrzehnte hinweg.
Mandozzi: Casals hat in der Früh immer Bach gespielt. Bach hat als Komponist wirklich etwas erreicht, was niemand geschafft hat – er konnte mit Harmonie, mit Stimmführung, mit dem Kontrapunkt umgehen, dass man es eigentlich als Schönheit von Mathematik beschreiben kann. Er hat die Natur wiedergefunden … ich weiß nicht, wie man es beschreiben kann.
Für Casals war das eine Dusche der Seele, eine Reinigung, eine Meditation. Entweder am Klavier oder am Cello, um sich wieder in Harmonie zu bringen. Dann hat er bis Mittag Briefe geschrieben, und dann wieder geübt. So stelle ich mir eigentlich einen schönen Tag vor.
Epoch Times: Wird der 19. Februar mit ihrem Konzert mit Menahem Pressler im Wiener Musikverein auch ein schöner Tag für Sie?
Mandozzi: Ja. Ich hab einfach Stücke genommen, die ich als Meisterwerke betrachte. Ich freu mich besonders auch mit Menahem Pressler zu spielen. Wie gesagt, als ich als 13-Jähriger im Konzert gesessen habe und mir damals nie vorstellen konnte, mit ihm zusammen zu spielen – es ist einfach eine unglaubliche Bereicherung mit solchen Leuten zu spielen. Er ist jetzt 86, man muss sich das vorstellen: ein Leben für die Musik und mit der Musik. Ja, ich glaube, da wird etwas ganz Besonderes entstehen.
Epoch Times: Sie sagten, Sie fühlen sich in Wien sehr wohl. Woran liegt das?
Mandozzi: Das weiß ich nicht genau – es ist ein Gefühl. Die Stadt hat sehr viele Facetten. Was ich mag ist, dass man hier als Künstler geschätzt wird. Es gibt viele Leute, die die Musik verstehen. Und es gibt sehr viele Kollegen, es gibt sehr unterschiedliche Orchester, die Wiener Philharmoniker natürlich, Konzertsäle, die ganz toll sind, die Oper, die auch ihre Tradition hat. Es ist eine Stadt, die eigentlich recht klein ist, aber für die Musik sehr groß.
Und das Wiener Brahms Trio, in dem ich seit mehr als 15 Jahren spiele, ist ein ganz besonderes Ensemble. Obwohl wir alle drei nicht in Wien geboren sind, ist es trotzdem absolut ein Wiener Ensemble. Wenn sich ein Schweizer mit einem Russen und einer Serbin treffen – und ein Wiener Ensemble entsteht.
Das Gespräch führte Florian Godovits
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