Der Isabel-Faktor und das Feriencamp
Als Erwachsener ein Jugendbuch zu rezensieren, ist gar nicht so einfach. Man könnte versuchen, sich in einen Jugendlichen hineinzuversetzen. Welche Träume, welche Nöte hat er oder sie? Oder noch besser: man denkt an seine eigene Kindheit zurück. Wie war das denn damals?
Ich jedenfalls musste feststellen, dass beides nicht möglich war ohne eine leichte Einfärbung. Genauso wie ich meinen Kindern oft erzähle, welche Fehler ich damals gemacht habe, die ich heute, mit mehr Lebenserfahrung nicht mehr machen würde, genauso lese ich ein Kinderbuch durch die Erwachsenenbrille. Und da sieht man vermutlich nicht so gut.
Glücklicherweise blieb mir Methode drei, und so habe ich den vor kurzem als Taschenbuch erschienenen Roman der kanadischen Autorin Gayle Friesen meiner Tochter vorgelegt. Wie gut, wenn die Tochter eine Leseratte ist und solch ein Buch innerhalb weniger Stunden verschlingt.
Ich muss zugeben, ohne sie wäre ich über Kapitel eins nicht hinausgekommen. Der erste Satz etwa begann mit dem Tuten eines Fährhorns, leitete über zu einem Brief und fiel dann vollends „in den blassrosa schimmernden Pazifik“. Im zweiten Satz erklärt dann die Hauptperson des in Ich-Form geschriebenen Buches, der erste Satz wäre doch etwas zu lang geworden. In dem Stil ging es dann weiter. Beschreibungen unterschiedlicher Geschehnisse, vermischt mit allerlei mehr oder weniger passenden Gedankensprüngen wechselten bunt durcheinander. Ich beschloss, das Buch erst einmal zur Seite zu legen und auf die Beurteilung meiner Tochter zu warten.
Diese schaffte es dann, mich in fünf Minuten von der Qualität des Buches zu überzeugen. Ihre Augen leuchteten und sie erklärte, ganz besonders habe ihr an dem Buch gefallen, dass es so persönlich geschrieben sei. Und das ist wohl wahr. Zusammen mit den drei Mädels in Jeans, die auf dem Cover abgebildet sind, lässt schon der geheimnisvolle Titel Zickenkämpfe vermuten: „Der Isabel-Faktor“. Hauptperson Anna, die sich gleich am Anfang als zukünftige Journalistin outet, teilt uns aber auch alles mit und unterscheidet dabei in keiner Weise zwischen der Außenwelt und ihrer fantasiereichen Innenwelt.
Sie weiß natürlich alles über ihre beste Freundin. Die Unzulänglichkeiten ihrer Mutter (und vermutlich aller Mütter, die gerade im Begriff sind, sich von ihren halb erwachsenen Kindern zu lösen) legt sie schonungslos offen. „Sie fasste in die oberste Schublade meiner Kommode“, erzählt Anna etwa, „und brachte eine Handvoll Unterwäsche zum Vorschein, ‚Mum, bitte!‘ Irgendwann im Leben kommt der Moment, da erträgt man es nicht mehr, seine Mutter und seine Unterhosen im selben Zimmer zu sehen.“
Man erfährt, dass Anna eine Freundin hat, die sie nahezu vergöttert. Und gerade diese Freundin kann in diesem Jahr nicht mit zum Feriencamp fahren, weil sie sich ihren Arm gebrochen hat. Anna, für die zunächst eine Welt zusammenbricht, hat nun aber die Chance, aus dem Schatten ihrer Freundin herauszutreten und nicht mehr nur die ewige Zweite zu sein.
Der Isabel-Faktor ist ein hinreißendes Buch über das Erwachsenwerden, über Gruppenzwang und wie man genügend Mut beweist, auch über den Rand der Gruppe hinaus Entscheidungen zu treffen. Wie das geht, beweist Isabel. Sie wird von den anderen als schwierig empfunden, hält sich nicht an die Regeln und sagt immer, was sie denkt.
Ausgerechnet Anna bekommt den Auftrag, Isabel Benehmen beizubringen. Eine unangenehme Aufgabe, die sich dann aber zu einer neuen Freundschaft entwickelt. Noch komplizierter wird es, als nach ein paar Tagen Annas verletzte Freundin auf dem Camp auftaucht. Anna, die immer von allen gemocht wurde, die sich nie in der Vordergrund drängte und so dem Stress in der Gruppe immer ausweichen konnte, muss nun eigene Standpunkte beziehen. Natürlich darf ein netter Junge nicht in der Geschichte fehlen: Karim. Er ist der Schwimmlehrer und Anna wird seine Assistentin. Sie hilft ihm, den kleinen Campbewohnern Schwimmen beizubringen. Karim ist ziemlich ruppig zu Anna, doch diese scheint nach und nach völlig ungeahnte Reserven freizusetzen.
Die Kanadierin Gayle Friesen, verheiratet, zwei Kinder, studierte englische Literatur. Sie hat bisher vier Kinderbücher veröffentlicht und wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. The Isabel Factor wurde im Jahr 2005 publiziert, die deutschsprachige Übersetzung wurde 2007 vom Berlin Verlag herausgebracht und seit April 2011 bei dtv junior als Taschenbuch. Der Isabel-Faktor ist ein ausgesprochenes Mädchenbuch und genau das Richtige für die Einstimmung auf Sommer, Sonne, Strand und süße Jungs. Nach den leichten Einstiegsschwierigkeiten fesselt es einen bis zum Schluss, ohne noch einmal an Spannung zu verlieren. Eine wunderbare Lektüre also, um den stressigen Schulalltag weit hinter sich zu lassen.
dtv junior; Gayle Friesen; Der Isabel-Faktor; aus dem Amerikanischen von Marlies Ruß; 288 Seiten, 6,95 Euro; ab 12; ISBN 978-3-423-71433-4; 1. Auflage April 2011
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