Das Reitervolk der Kirgisen

Auf der Suche nach der ursprünglichen Identität
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Von 8. April 2008

Kirgisistan liegt im Herzen Zentralasiens, an der Großen Seidenstraße – zwischen dem Pamir und dem Altai in der Tianshan-Bergkette. In dieser Landschaft finden sich über 7.000 Meter hohe schneebedeckte Gipfel, Seen und Hügelsteppen. Seit Urzeiten zogen Nomadenstämme durch dieses Land; Menschen verschiedener Herkunft trafen hier aufeinander. Heute ist es ein Land mit mehr als 28 Nationalitäten. Die Mehrheit dieser Menschen verdient ihren Lebensunterhalt mit Landwirtschaft und Viehzucht. Die Kirgisen stellen mit rund 60 Prozent den größten Teil der Bevölkerung dar. Sie gehören zu den Turkvölkern und sind zugleich eines der ältesten Völker Zentralasiens. Der Name des Landes ist auf sie zurückzuführen: „kirghiz“ bedeutet „Volk“ und „stan“ heißt „Land“. Im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch ist die Bezeichnung „Kirgistan“ geläufig, weil sie der Aussprache des Landesnamens in kirgisischer Sprache am nächsten kommt. Seitens des Auswärtigen Amtes wird jedoch neben der offiziellen Amtsbezeichnung „Kirgisische Republik“ nur die deutsche Schreibweise „Kirgisistan“ verwendet.

Meister im Reiten

Über 3.000 Jahre lang züchteten die Menschen in diesem Land Pferde, die für die rauen Bedingungen des Nomadenlebens ideal angepasst waren: Der kleine Körperbau machte das kirgisische Pferd wendig genug, um die schmalen Pfade in den Bergen zu passieren. Stolz waren sie auf ihre Tiere, denen sie mit Liebe und Respekt begegneten. Die Pferdezucht ist der Ausdruck und das Erbe ihres geistigen und ökonomischen Lebens. Und wie auch die Mongolen sind die kirgisischen Nomaden wahre Meister im Reiten. Früh lernen ihre Kinder das Reiten, auch wenn sie noch nicht allein aufs Pferd steigen können – sogar ohne Sattel.

Zwanghafte Sesshaftigkeit

Aber mehr als siebzig Jahre Kommunismus haben tiefe Kerben in das Land und in die Kultur geschlagen. Viele Nomaden wurden während der rücksichtslosen Kollektivierung unter Zwang sesshaft gemacht. Und das zierliche Kirgisenpferd wurde unter den Sowjets einfach mit größeren russischen Rassen gekreuzt und zu produktivem Schlachtfleisch verzüchtet. In ihrer Bedrängnis töteten die Nomaden lieber ihre Lieblingstiere, als diese gegen ein Dutzend Hühner bei den Sowjets einzutauschen. Und manches Kirgisenpferd versteckten sie in den nahen chinesischen Tianshan-Bergen.

Nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems wurde Kirgisistan 1991 zur unabhängigen Republik. Mit dem Sturz der Marx- und Lenindenkmäler wurden auch die Kolchosen abgeschafft und deren Besitztümer unter den Bauern aufgeteilt. Ein Transformationsprozess setzte ein. Seither stehen die Kirgisen vor der schwierigen Aufgabe, die Planwirtschaft in die Marktwirtschaft umzustrukturieren. Rückbesinnung und Wiederbelebung alter Nomadentraditionen, die über Generationen hinweg fast vollständig vergessen wurden, helfen ihnen, ihre Identität wiederzufinden. Dennoch konnte wenigstens der Liebe zu ihren Pferden das Sowjetregime nichts anhaben. Die Kirgisen brauchen das Pferd für all ihre Arbeiten. Auch heute noch ist es ihr wichtigstes Transportmittel.

Reiterakrobatik der Kirgisen. (Vyacheslav Oseledko/AFP/Getty Images)Reiterakrobatik der Kirgisen. (Vyacheslav Oseledko/AFP/Getty Images)

Die wilden Reiterspiele

Zur Nomadentradition gehören auch große Feste, die um die Tage des Frühlingsfestes „Nouruz“ stattfinden. Reiterspiele, Ringkämpfe und Jagden mit Adlern und Windhunden nehmen bei diesen Festen einen besonderen Stellenwert ein. In der kirgisischen Kultur gehen Kampfspiele auf eine jahrhundertealte Praxis zurück.

Eines dieser Spiele ist das Pferderennen „At-tschabysch“, bei dem die Jungen im Alter von 13 bis 15 Jahren zeigen, wie gut sie das Reiten beherrschen – dabei kann man auch die guten Eigenschaften des kirgisischen Pferdes erkennen. „Kok-Boru“, zu deutsch der „Graue Wolf“, nennt man ein altes Reiterspiel, das aus der Zeit stammt, als das Vieh noch in den Steppen und Bergen weidete. Stets war die Herde der Gefahr ausgesetzt, von Wölfen angegriffen zu werden. Der Schafhirte jagte mit Stock und Peitsche dem Wolf hinterher, um ihm das Schaf zu entreißen. In der Sowjetzeit verbot man dem Volk dieses Spiel, doch fand es in manchen Dörfern heimlich statt. Heutzutage wird bei diesem Wettkampf um eine geköpfte Ziege gerungen. Hoch zu Ross messen die wilden Reiter ihre Kraft, Schnelligkeit und Geschicklichkeit. Mit aller Härte entreißen sich die Gegner den toten Tierkörper. Das Team, das innerhalb einer festgesetzten Spielzeit mit Wurf ins gegnerische Zielfeld die meisten Punkte erreicht, bekommt das Tier zum Verzehr. Fleisch essen die Kirgisen sehr gerne.

Mit dem Aufleben der Nomadentradition zeigt dieses Volk seine ursprünglichsten Eigenschaften: Eigenschaften, um in der Wildnis von Steppe und Gebirge zu überleben. Sie setzen ein Zeichen, zu ihrer kulturellen Identität zurückzufinden – mit Stolz und Würde.

Text erschienen in Epoch Times Deutschland Nr. 15/08




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