Das Ende der Schlaflosigkeit

Titelbild
Von 4. Dezember 2008

Für einen Debüt-Roman ist das meisterhaft erzählt! (Nicht nur für einen Debüt-Roman!) – Der Inhalt: Ein kleiner Junge verliert seinen Vater. Der hatte ihm noch versprochen, mit ihm Fußball zu spielen, wenn er von der Arbeit nach Hause käme. Es ist Sommer. Der Wagen, der dann anrollt, bringt nicht seinen Vater, aber die Nachricht seines Todes. Er wurde bei einer Verkehrkontrolle von einer flüchtigen Terroristion erschossen. Sein Vater ist Polizist gewesen. Fortan lebt der zehnjährige Junge mit seiner Mutter allein. Er wird anfangen, unter Schlafstörungen zu leiden. Viel später entwickelt er dagegen die Selbsttherapie des Schreibens. Aber er schreibt nie über sich selbst. Nur über Fremde. Nach mehreren Jahren wird die Terroristin gefaßt. Er streicht ihren Namen und ihr Foto durch. Er versucht zu leben. Aber es gelingt ihm nicht, sich von seiner Mutter dauerhaft zu lösen. Am Ende wird er wieder zu Hause wohnen. Sie arbeitet; er führt den Haushalt.

Jeder 23. August, der Todestag seines Vaters, bedeutet eine Erneuerung dieses abgekapselten Lebens. Die Erinnerung an seinen Vater ist schon lange verblasst. Nur die Schlafstörungen sind geblieben und erinnern ihn manchmal daran, daß sein Leben nicht wirklich in Ordnung ist, auch wenn er sich längst mit ihm arrangiert hat. Eines morgens liegt auf seinem Platz eine aufgeschlagene Zeitung vor ihm: die Terroristin ist freigelassen worden und wird noch am selben Abend in einer Talksendung im Fernsehen zu sehen sein. Daß sie eingesperrt wurde, ist erst fünf Jahre her. Seine Mutter braucht ihm nichts zu sagen. Er weiß es ohnehin. Und so bekommt sein Leben erstmals seit langem wieder ein Ziel. Er wird diese Frau ermorden. Aber er wehrt sich dagegen. Er will sie vorab zur Rechenschaft ziehen; will ihr die Chance geben, ihr Leben zu retten: das, was sie seinem Vater nicht zugebilligt hat.

Der Protagonist macht es sich also nicht leicht. Fünf Ebenen seines Lebens werden erzählt: Das Buch beginnt mit einer knappen Übersicht über diese Phasen, die dann im Buch ausgeführt werden. Bis auf die erste Episode sind alle anderen in chronologischer Reihenfolge angeordnet. Oder gilt das auch für die erste? – Sie ist von schwer beschreiblicher Traurigkeit. Nicht von der Ermordung seines Vaters aber ist in ihr die Rede, sondern von dem gescheiterten Versuch, ins alte Paradies zurückzuklettern, der in einer schroffen Zurückweisung durch die Mutter, der in eisiger Kälte endet: Der Sohn, der sie bittend umarmen möchte, stürzt gegen eine scharfe Kante, erhält eine Platzwunde und verliert viel Blut. Eigentlich, insofern steht die Episode zu recht am Anfang, beginnt erst hier der Leidensweg des Kindes. Als Kommentar dieser Lebenssituation heißt es dazu nur: „Und als er dann wieder nach Hause zurückkehrte, fand er auch die Erklärung, warum ihn seine Mutter nur immer für so wenige Minuten besucht hatte im Krankenhaus. (…) Das Schlafzimmer so herzurichten, dass aber auch keine Spur zurückblieb, das war schon ein ganzes Stück Arbeit.“

Später, da wird sehr kenntnisreich und unaufdringlich ein Bogen geschlagen, wird dieser Junge, inzwischen ein junger Mann, genauso kalt über die Terroristin sagen, die er niederschoß, obwohl sie ihm gefühlsmäßig keineswegs gleichgültig geblieben war: „Der Mantel übrigens, auch das ist nicht uninteressant, war ihr bereits durch jene ruckhafte Bewegung von der Schulter geglitten und ein Stück weit weg zu Boden gesegelt. Später, auf einem der Zeitungsfotos, ich habe es gerade nachgeschlagen, hat sie hingegen auf dem Mantel gelegen, man wird sie dort hingebettet haben, ein Zeichen, dass sie trotz meiner vier Schüsse (…)  noch eine Weile gelebt haben könnte. Kam der Krankenwagen, der erwähnt wird, ja vielleicht nicht ganz umsonst.“

Ein ’normales‘ Leben kann ein Mensch, dem ein solches Schicksal, als zehnjähriger Junge, widerfuhr, nicht haben; nicht erwarten. Aber das weiß man erst im Nachhinein. Deswegen die vielen Versuche, ein ’nomales‘ Leben endlich beginnen zu können. Beispielsweise durch eine Liebesbeziehung. Doch auch hier entgleiten dem Protagonisten Handlungsspielraum und Realität. Wie hier, mit nur ein, zwei Sätzen eine ganze Beziehung im Scheitern gezeigt wird, das ist, man kann es nur wiederholen, meisterhaft gemacht.

Ist es da ein Wunder, daß dieser Junge sich bemüht, seinen ehemaligen Klassenkameraden aus dem Weg zu gehen, um die nicht sehen zu müssen, „denen das Leben gelang“!?

Und da dies nicht gelingt, wird er immer wieder auf seine Leidensgeschichte zurückgestoßen. So lange, bis er sie annimmt. Erst jetzt bekommt sein Leben ein Ziel und einen Sinn; erst auf diese Weise gelingt es ihm, sein beschädigtes Leben zu reparieren. Es heißt deshalb auch in der Übersicht zum Ende des fünften Abschnitts: „Doch diesmal konnte er sich wehren“.

Ein unbedingt lesenswertes Buch, das die Terrorismus-Debatte endlich weitertreibt, indem hier erstmals ein Blick auf die nicht-prominenten Opfer geworfen wird.

ISBN 978-3-8015-0390-1, Verlag Neue Kritik, Frankfurt/Main, 19,50


 



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