Bayerische Staatsoper: Sensationserfolg für Einspringerin Tara Erraught
Lange hatten Münchener Opernfans diesem Abend entgegengefiebert – und dann kam alles anders. Als einen Tag vor der Premiere von Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“ Starsängerin Vesselina Kassarova wegen einer Lungenentzündung absagte, bewies die Bayerische Staatsoper Mut und Größe, indem sie nicht eine Ersatzsängerin einflog, sondern einer Nachwuchskünstlerin die große Chance gab. Der Auftritt von Tara Erraught als Romeo wurde eine Sensation. Und all die enttäuschten Kassarova-Fans, die noch schnell ihre Karten verkauft hatten, verpassten einen Abend, an dem vermutlich ein neuer Star geboren wurde.
Realität geht über Routine
„Voll ängstlichem Stolz“ hatte Intendant Nikolaus Bachler die Einspringerin aus dem eigenen Ensemble angekündigt. In nur fünf Tagen hatte die 24-jährige Irin schon vorsichtshalber die Rolle gelernt und die Generalprobe noch von der Bühnenkante aus mitgesungen.
Tara Erraught ist erst seit dieser Spielzeit Ensemblemitglied und gehörte seit 2008 zum Opernstudio der Bayerischen Staatoper. Ihr Einsatz bewies, dass Sternstunden immer dann schlagen, wenn die Routine vom echten Leben eingeholt wird. Denn die unglaubliche Intensität, mit der sich Erraught ihrer Rolle und dem Augenblick hingab, schlug das Publikum in Bann. Mit Natürlichkeit, großer Musikalität und Sensibilität meisterte sie den schwierigen Part, in dem sie feurig rebellisch, tragisch verliebt und vor allem ein Junge sein musste.
Mit ihrer überraschend voluminösen, sehr leuchtkräftigen, farbenreichen und flexiblen Stimme gelangen ihr alle nötigen Facetten und ihre zarten, schwarzgefärbten Tiefen strahlten unheimlichen Ernst aus. Zusammen mit ihrer Bühnenpartnerin Eri Nakamura, der ebenso intensiven wie filigranen Sopranistin aus Japan, wurde ein berührendes Bild jugendlicher Leidenschaft und Verletzlichkeit gezeichnet.
Mit schwebenden Phrasen und endlos scheinendem Atem beider Sängerinnen wurden die Szenen des Liebespaares zu den Höhepunkten des Abends. Und Erraught hielt nicht nur durch, nein, ihr gelang gegen Ende nochmals eine Steigerung. Die Auseinandersetzung zwischen Romeo und seinem Widersacher Tebaldo (Tenor Dimitri Pittas), während der die beiden vom Tod Giuliettas erfahren, ihre letzte Soloszene und das anschließende Schlussduett gerieten atemberaubend spannend. Und das Münchener Publikum war restlos überzeugt.
Dimitri Pittas wurde mit seiner geschmeidig strahlenden Interpretation als Tebaldo der meistbeklatschte Mann im Ensemble.
Komponiert als Fest der schönen Stimmen
In Bellinis bittersüßer Belcanto-Version der Geschichte von Romeo und Julia geht Schönheit vor Realismus. Romeo und Julia werden von zwei Frauen dargestellt und um möglichst viele Gelegenheiten für herzzerreißende Arien zu schaffen, änderte Bellini das Shakespeare-Drama komplett ab. In betörender Schönheit zelebriert er die Geschichte in Standbildern und nicht endenwollenden Melodien. Die Inszenierung Vincent Boussards stellte sich völlig hinter das Werk und ordnete die Szene der Musik unter. Keine Show, sondern zarte Gesten und Andeutungen bestimmten das Spiel vom Anfang bis zur Sterbeszene.
Leidenschaft kontra Pflichtgefühl könnte man das Drama auch nennen, am Ende wird der unnachgiebige Vater Giuliettas (eindrucksvoll autoritär: Steven Humes) als Verursacher der Tragödie gesehen. Der zweite Bariton, Lorenzo (Carlo Cigni) ist wie bei Shakespeare Unterstützender der Liebenden.
Couture für den Chor
Abgesehen von den couturig überladenen Ballkleidern, die die Chordamen in der Hochzeitsszene trugen, blieb das Kostümbild von Mode-Designer Christian Lacroix auffällig unauffällig. Für die Männer beider Parteien gab es schwarze Mäntel mit Zylinderhüten und auch der Romeo (in schwarzer Lederjacke mit Halstüchern) fügte sich nahtlos ins Bild.
Die schneewittchenhaft bezaubende Eri Nakamura als Giulietta trug ein weißes Korsagenkleid mit Ballonrock, das sie noch niedlicher machte.
Um ihre Verletzlichkeit hervorzuheben, trat sie barfüßig auf. Warum sie während ihrer Auftrittsarie „O qualte volte“ ausgerechnet auf einem Waschbecken balancierte, erschloss sich nicht, störte aber wenig, genau wie die anderen surrealen Elemente, z.B. Pferdesättel, die von der Decke hingen.
Romantik mit reduzierten Mitteln
Ein schwarzer Gazevorhang hob sich wehend vor jeder Szene und visualisierte den tragischen Atem der Musik. Bühnenbildner Vincent Lemaire hatte graue Prospekte mit Schemen von Bildern kreiert, die von Guido Levi mit sparsamen Lichteffekten verfärbt wurden. Gespielt wurde entweder auf spiegelglattem Boden oder auf einer die Bühne füllenden Treppe. Dank dieser technisch aufwendigen Kulisse wurde das Drama um Giuliettas erzwungene Hochzeit zum optisch stärksten Bild, da die Treppe den halsbrecherischen Absturz der Akteure zu prophezeien schien.
Der Chor, einstudiert von Sören Eckhoff, hatte einige kurze souveräne Auftritte, die besonders am Schluss für eine düstere Atmosphäre sorgten.
Neben den Sängerinnen wurden Dirigent Yves Abel und das Orchester der Bayerischen Staatsoper am ausgiebigsten gefeiert. Das lag nicht nur am ausgewogenen Gesamtklang, bei dem von Solisten bis zum Chor alles nahtlos ineinander floss, sondern auch an den vielen Instrumentalsoli, die von Cello, Harfe, Klarinette, Oboe und Querflöte ebenso brillant wie gefühlvoll interpretiert worden waren.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion