Barenboim: Die „Neunte“ dirigierte er sitzend

Klavier? „Jeder spielt Klavier“, so die Überzeugung Daniel Barenboims als Kind. Nun tritt der Dirigent nach 30 Jahren am Pult der Staatsoper ab. Am Wochenende wird er wohl seine drei letzten Konzerte leiten.
Generalmusikdirektor Daniel Barenboim  im Saal der sanierten Staatsoper in Berlin.
Generalmusikdirektor Daniel Barenboim im Saal der sanierten Staatsoper in Berlin.Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Epoch Times10. Januar 2023

Daniel Barenboim ist kein Freund weiter, großer Dirigier-Gesten. Auch am 1. Januar 2023 war der 80-Jährige auffällig sparsam in seinen Bewegungen. Auf die Interpretation der Neunten Sinfonie von Ludwig van Beethoven durch die Musiker der Staatsoper Berlin wirkte sich das kaum aus. Musiker und Dirigent verstehen sich über lange Takte auch mit wenig Aktion.

Als Pianist und Dirigent wird Barenboim zu den musikalischen Genies der Klassik gezählt. Er führte die Staatskapelle in den vergangenen drei Jahrzehnten auf internationales Spitzenniveau. Nun legt er seinen Posten als Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden krankheitsbedingt nieder.

„Leider hat sich mein Gesundheitszustand im letzten Jahr deutlich verschlechtert. Ich kann die Leistung nicht mehr erbringen, die zu Recht von einem Generalmusikdirektor verlangt wird“, schrieb er in einer persönlichen Erklärung. „Deshalb bitte ich um Verständnis, dass ich zum 31. Januar 2023 diese Tätigkeit aufgebe.“ Er bitte Berlins Kultursenator Klaus Lederer um Auflösung des Vertrages.

Die Zeit um seinen 80. Geburtstag am 15. November hätte voller Festakte und voller Musik sein sollen, doch bereits seit einer Operation an der Wirbelsäule im vergangenen Februar musste Barenboim zahlreiche Konzerte absagen. Im Oktober dann kündigte er auf Twitter einen mehrmonatigen Rückzug an und erklärte, bei ihm sei eine „schwere neurologische Krankheit“ diagnostiziert worden.

30 Jahre Staatsoper

Barenboim war seit 1992 Generalmusikdirektor und wurde im Herbst 2000 von der Staatskapelle zum Chefdirigenten auf Lebenszeit gewählt. Vor drei Jahren wurden Vorwürfe laut, Barenboim missbrauche Machtstrukturen. Es folgten Widerspruch und Untersuchungen. Schließlich wurde sein Vertrag als Generalmusikdirektor bis 2027 verlängert. Nun tritt er vorzeitig ab.

Kultursenator Lederer zeigte sich in einer Mitteilung „überzeugt, dass Daniel Barenboim die richtige Entscheidung getroffen hat“. Damit stehe das Wohl der Staatsoper und der Staatskapelle im Vordergrund. „Dies alles verdient größten Respekt“, sagte der Linke-Politiker.

Staatsopernintendant Matthias Schulz sieht sein Haus „zu unendlichem Dank verpflichtet“. Seit mehr als 30 Jahren habe Barenboim „seine unerschöpfliche Kraft als Künstlerpersönlichkeit mit weltweiter Ausstrahlung“ der Staatsoper und der Staatskapelle Berlin zugutekommen lassen. „Der Respekt ist groß, dass Daniel Barenboim nun im Sinne der Institution diesen Schritt geht“. Es sei nur zu erahnen, wie schwer ihm dies gefallen sein müsse.

Das weitere Vorgehen liegt jetzt in den Händen von Berlins Kultursenator als Ratsvorsitzendem der Stiftung Oper in Berlin, Staatsopernintendant Matthias Schulz sowie dessen designierte Nachfolgerin Elisabeth Sobotka. Die Intendantin der Bregenzer Festspiele übernimmt ab dem Jahr 2024 die Leitung in Berlin.

Eine Nachfolge für Barenboim wird nicht leicht zu finden sein. Als möglicher Kandidat gilt Christian Thielemann. Der 63-Jährige war bereits bei der Neuinszenierung von Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ an der Staatsoper eingesprungen. Thielemann vertrat Barenboim auch während der Asientour mit der Staatskapelle. Er verweist jedoch immer wieder auf seinen bis zum Jahr 2024 laufenden Vertrag mit der Staatskapelle in Dresden.

Musik ist keine Arbeit

Barenboim wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, geriet aber auch wegen seines autoritären Führungsstils in die Kritik. Er war wohl immer ein besserer Musiker als Manager. „Musik ist sein Leben. Er ist Musik. Er drückt sich durch Musik aus“, sagte die Geigerin Anne-Sophie Mutter kürzlich über den Dirigenten. „Er hat immer gesagt, dass Musik für ihn keine Arbeit sei. Sonst hätte er längst aufgehört.“

Als kleines Kind war Barenboim überzeugt, dass jeder Mensch Klavier spiele, da bei seiner Familie vor allem Musiker ein- und ausgingen. Und auch: „Ich wollte nie nicht spielen, ich habe es immer geliebt“. Klavierspielen sei für ihn so selbstverständlich gewesen wie Laufen, Sitzen oder Essen. Vor allem fand er das Musikinstrument sehr praktisch: Man musste es nicht festhalten beim Spielen wie ein Cello. Es stand von selbst, so ein Klavier hat Beine.

Für den damals Fünfjährigen war das ein gutes Argument. Am Klavier geht sein Repertoire nun weit über das übliche Maß hinaus – doch am Wochenende wird er wohl seine letzten drei Konzerte in der Staatsoper leiten. (ks)

 



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