Eine geistige Wiedergeburt – Goethes italienische Reise


Vor 275 Jahren wurde Johann Wolfgang Goethe geboren.
 Fast vier Jahrzehnte später machte er sich zu einer Reise auf, die sein ganzes weiteres Leben prägen sollte.


Titelbild
Eine Statue von Goethe vor der Villa Borghese in Rom, Italien.Foto: boggy22/iStock
Von 28. August 2024

Am 28. August 1749 „mittags mit dem Glockenschlag zwölf“ wird Johann Wolfgang Goethe in eine wohlhabende Bürgerfamilie in Frankfurt am Main geboren. Von väterlicher und mütterlicher Seite ist er mit Mitteln und Talenten reich bedacht. Einer seiner illustren Urgroßväter ist gar der Maler Lukas Cranach der Ältere.

Die Familie Goethe, Gemälde aus dem Jahr 1762. Die Eltern Catharina Elisabeth und Johann Caspar Goethe mit ihren Kindern Johann Wolfgang und Cornelia. Maler: Johann Conrad Seekatz. Foto: Zaunkoeniglich/Public Domain

Fernweh in der Seele

37 Jahre später trifft Goethe – nun fast in der Mitte seines Lebens angelangt – eine radikale Entscheidung. Zu diesem Zeitpunkt scheint die Suche nach seinem persönlichen Lebensentwurf endgültig abgeschlossen. Universitätsstudien, Ortswechsel, Wendungen, Höhen, Täler und erste große Erfolge liegen hinter ihm.

Der europaweit berühmte Autor des Briefromans „Die Leiden des jungen Werther“ und Dichter des Sturm und Drang hat elf Jahre zuvor seine Wahlheimat im ruhigen, beschaulichen Weimar gefunden.

Im Oktober 1775 ist der damals 26-Jährige der Einladung des gerade 18-jährigen Herzogs Carl August ins kleine Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach gefolgt, das nicht einmal 100.000 Untertanen zählt. Seitdem lebt Goethe in der 6.000-Seelen-Stadt, die gleichzeitig Hauptstadt des Fürstentums ist.

Ruhe und Stabilität sind in Johann Wolfgangs Leben eingekehrt. Sehr zur Erleichterung des Vaters, der das unstete Wesen des Sohnes jahrelang mit Sorge beobachtet hatte.

Doppelseite aus dem Roman „Die Leiden des jungen Werthers“ (1774) von Johann Wolfgang Goethe als Objekt im öffentlichen Raum. Foto: Jula2812, CC BY-SA 4.0

Doch Vater Johann Caspar Goethe, der zusammen mit seiner Frau Catharina größten Wert auf den beruflich soliden Erfolg des Sohnes legte, ist es auch, der ihm neben umfassender Bildung und lebenslangem Wissensdurst einen weiteren Samen ins Herz gelegt hat: das Fernweh.

Die Berichte des Vaters – aus der Zeit vor seiner Familiengründung in Frankfurt – von den prägenden Erlebnissen seiner mehrere Monate dauernden Reise durch Italien im Jahr 1740 haben sich fest im Gedächtnis des Sohnes verankert.

Auf Italienisch geführte Notizen des Reisetagebuchs aus dieser Zeit dienen dem Vater später sogar als Vorlage für eine literarische Reisebeschreibung unter dem Titel „Reise durch Italien im Jahre 1740. Viaggio per l’Italia“, die er für Familie und Freunde verfasst.

Nun aber entfalten die frühen Berichte des Vaters im Sohn ihre bisher schlummernde Wirkmacht.

Schwere Sinn- und Lebenskrise

Eine schwere Sinn- und Lebenskrise hat den 37-jährigen, inzwischen geadelten Johann Wolfgang von Goethe erfasst.

Politische Geschäfte und dröge Verwaltungstätigkeiten als Geheimrat des Herzogs, die Verantwortung für das sogenannte „Liebhabertheater“, in dem er – zur Unterhaltung der Weimarer Gesellschaft – Adelige und Bürgerliche im Laienschauspiel anleitet, füllen seine Tage. In der platonischen Beziehung zur verheirateten Adeligen Charlotte von Stein fühlt er sich gefangen.

Seine dichterische Arbeit ist immer mehr in den Hintergrund gerückt. Seine schöpferischen Talente liegen brach. Nagende Gedanken an unvollendet gebliebene Werke lasten ihm bleiern auf der Seele.

Sehnsucht und Befreiungsschlag

Gleichzeitig hat er bereits seit Langem die Schriften Johann Joachim Winckelmanns, des wegweisenden Archäologen, Italien- und Kunstkenners studiert. Die Sehnsucht in der Ferne die Zwänge von Pflichten und Umklammerungen hinter sich zu lassen und gleichzeitig den eigenen Lebens- und Wissenshorizont zu weiten, wird immer drängender.

In seiner später weltberühmten literarischen Verarbeitung der nun folgenden Ereignisse beschreibt er den Moment seines endgültigen Aufbruchs wie eine akribisch geplante Flucht.

Einen Kuraufenthalt im tschechischen Karlsbad nutzt er, um sich – dem Einflussbereich des Weimarer Hofes schon ein gutes Stück entzogen – nun gänzlich unsichtbar zu machen.

„Hätte ich nicht den Entschluss gefasst, den ich jetzt ausführte, so wär‘ ich rein zu Grunde gegangen“, schreibt er später.
„Früh drei Uhr stahl ich mich aus Karlsbad, weil man mich sonst nicht fortgelassen hätte“ – so beginnt der erste Band der „Italienischen Reise“.

Inkognito über die Alpen

Um unerkannt zu bleiben, gibt sich Goethe fortan als deutscher Maler aus und nimmt den Namen Johann Philipp Möller an.
Er fährt meist mit der Postkutsche, ohne Begleitung eines Dieners oder Sekretärs.

Fast zwei Monate lang dauert die Reise. In vielen Tagesetappen führt sie durch Bayern, über Regensburg und Innsbruck, über den Brennerpass zum Gardasee, nach Venedig, durch die Toskana und schließlich nach Rom.

Dort trifft er am Tag nach seiner Ankunft am 29. Oktober 1786 den Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, mit dem er bereits korrespondiert hatte. In die Via del Corso Nummer 18, der heutigen „Casa di Goethe“, die jetzt ein Museum, damals eine ganze Reihe junger deutscher Künstler beherbergt, zieht nun auch der Dichter und Geheimrat aus Weimar ein.

Goethe im Jahr 1787 am Fenster seiner römischen Wohnung. Kreide, Feder, Bleistift und Wasserfarbe auf Papier. Kolorierte Zeichnung (41,5 x 26,6 cm) von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein. Foto: Public Domain

Neue Freunde, neue Impulse

Bald schon ist seine wahre Identität hier kein Geheimnis mehr. Doch die neuen Freunde Goethes haben sich darauf geeinigt, „zu ignorieren, wer ich sei“, notiert er am 8. November 1786. „Niemand“, so Goethe weiter, würde deshalb „von mir reden“.

So bleibe den Freunden nichts anderes übrig, „als von sich selbst oder von Gegenständen zu sprechen, die ihnen interessant sind“. Voller Neugier und Wissensdurst saugt Goethe all diese Eindrücke in sich auf.

Er genießt die Ungezwungenheit der kreativen Wohngemeinschaft, die Anonymität der großen Stadt, die Erkundung des alten und neuen Roms.

Antikes und Zeitgenössisches auseinander zu „klauben“ sei ein „saures Geschäft“. Aus Betrachten und Erkennen ergebe sich jedoch „unschätzbare Befriedigung“, schreibt er. Überwältigt ist Goethe von den „Spuren einer Herrlichkeit und einer Zerstörung, die beide über unsere Begriffe gehen“.

Beim Malerfreund Tischbein nimmt Goethe Zeichenunterricht, reist mit ihm im Februar 1787 von Rom nach Neapel, besteigt den schwelenden Vesuv, bewundert die Ruinen Pompejis, wo offizielle Ausgrabungen erst 50 Jahre zuvor begonnen haben.

Die Basilika Sankt Peter in Rom von der Villa Giulia aus gesehen, Aquarell von Johann Wolfgang von Goethe aus dem Sommer 1787. Foto: Public Domain.

Eine kleine Korvette bringt Goethe über die Tyrrhenische See nach Sizilien.
Dort verspricht er sich die größte Nähe zur Antike, deren griechische Ruinen er mit großem Eifer aufsucht.

„Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele: hier ist erst der Schlüssel zu allem“, schreibt er über seine intensiven Eindrücke.

Geduldiger Herzog

Aus der vagen Idee, einige Monate in Italien zu verbringen, ist ein ganzes Jahr geworden. 
Und: Goethe beschließt – wieder zurück in Rom – auch den zweiten Winter hier zu verbringen.

Herzog Carl August im fernen Weimar bleibt geduldig.
In einem Brief hat er den Freund und nach wie vor honorierten Geheimrat wissen lassen, er „möge so lange bleiben, als er selber möchte“.

Goethes italienische Reise zwischen September 1786 und Mai 1788. Grafik: Zello, CC BY-SA 3.0

Und Goethe nutzt diese Freiheit. Inzwischen hat er wieder an seine ehemals so unbändige und produktive Dichtkunst angeknüpft. Er vollendet unter anderem die Dramen „Iphigenie auf Tauris“ und „Egmont“, überarbeitet Jugendwerke, erweitert den Urfaust um wesentliche Dialoge und plant die Fortsetzung des Entwicklungsromans „Wilhelm Meister“.

Entwicklung, Verwandlung durch Freude und Hoffnung

Als er im Juni 1788 nach Weimar zurückkehrt, ist er selbst ein Verwandelter.
Charlotte von Stein, die ehemals engste Vertraute, beschreibt seine Veränderung mit den Worten „Goethe ist sinnlich geworden“.

Er selbst notiert: „Ich war in Italien sehr glücklich, es hat sich so mancherlei entwickelt, das nur zu lange stockte, Freude und Hoffnung sind wieder ganz in mir lebendig geworden.“

Erst 25 Jahre später, Ende 1813, beginnt er anhand seiner Tagebucheinträge mit der Arbeit an den drei Bänden der „italienischen Reise“. Inspiriert und fasziniert können ihn Leser auch heute noch in Gedanken begleiten.



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