Der Traum der Selbstversorgung – Praxistipps vom Profi

Gärtnern im großen Stil: Realistisch oder ein Luftschloss? Einer lebt diesen Traum der Selbstversorgung und zeigt, wie es funktionieren kann.
Titelbild
Im Garten von Ralf Roesberger.Foto: Gräfe und Unzer Verlag/ Patrice Kunte
Von 4. Juni 2022

Grüne Oasen, pralle Obstbäume, selbst angebautes Gemüse, das man sich nach Lust und Laune einverleiben kann: So manch einer liebäugelt mit dem Gedanken der Selbstversorgung aus dem eigenen Garten. Der Unterschied zwischen Hobbygärtnern und echter Selbstversorgung ist allerdings groß. Es ist ein hartes Business, sagt einer, der es weiß: Mit seinen über 245.000 Abonnenten und rund 880 Videos betreibt Ralf Roesberger einen der größten und erfolgreichsten deutschen Selbstversorgerkanäle auf YouTube. In seinem Buch „Selbstversorgung – Was im eigenen Garten wirklich möglich ist“ gibt der 58-jährige Rheinländer spannende Einblicke in seinen Gartenalltag und wertvolle Tips und Tricks für angehende Selbstversorger. Im Gespräch mit Epoch Times erzählt er von dem ein oder anderen gescheiterten Experiment und von Lektionen, die er lernen durfte.

Herr Roesberger, wann spielten Sie zum ersten Mal mit dem Gedanken vom eigenen Garten und von der Selbstversorgung?

Ich bin zwar auf dem Land aufgewachsen, aber wie alle Kinder hatte auch ich kein Interesse am Garten meiner Eltern. Später bin ich viel gereist und in der Welt herumgekommen. Ich habe lange Zeit selbstständig als Hotelier gearbeitet, aber das war kein ideales Umfeld für die Kinder. Als meine zwei Kinder geboren wurden, hat meine Frau einen Schrebergarten gesucht. Wir wollten dann aber nicht nur im Schaukelstuhl im Garten herumsitzen, sondern auch etwas tun. So haben wir angefangen zu gärtnern. Als die Kinder größer wurden, sind wir aufs Land gezogen, haben ein größeres Grundstück gesucht mit größerem Land. So führte eins zum anderen. Ausschlaggebend so zu leben, waren eigentlich unsere Kinder. Ihretwegen haben wir beschlossen einen anderen Lebensstil zu führen, damit sie nicht nur mit Fast Food aufwachsen, sondern auch sehen, woher ihr Essen kommt und wieviel Mühe dahintersteckt.

„Erst denken, dann pflanzen“, ist Roesbergers Motto. Sein Gemüseacker ist bunt gemischt aber genau durchdacht. Foto: © Gräfe und Unzer Verlag/ Patrice Kunte

Was bedeutet Selbstversorgung für Sie?

Man muss zunächst mal unterscheiden. Ein Garten bedeutet nicht automatisch Selbstversorgung. Wenn Sie die Energie in Kalorienzahl aus dem Garten zusammenrechnen, merken Sie schnell: von Gemüse allein kann man sich nicht ernähren. Der Sinn hinter dem was ich tue ist, so viele Kalorien zu produzieren, damit wir theoretisch davon leben könnten. Ich produziere Gemüse im Überfluss, wir haben Eier von den Hühnern, eigenen Honig, … wenn man das alles zusammenrechnet, komme ich auf genügend Kalorien, um vier Personen theoretisch ein Jahr lang zu ernähren. Nur praktisch kann man diese Diät nicht durchhalten. Man kann nicht jeden Tag ein Pfund Honig essen.

Selbstversorgung ist ein populärer Begriff geworden. Viele andere, die das so formulieren, befassen sich einzig und allein mit Gärtnern, und das hat nichts mit Selbstversorgung zu tun.

Würden Sie sich selber dann als Selbstversorger bezeichnen?

Nein, es gibt keinen Selbstversorger, in Deutschland gibt es keinen. Wie wollen Sie das anstellen? Wir leben im 21. Jahrhundert, mit reiner Selbstversorgung kommen Sie nicht weit. Aber der Ansatz, so viele Kalorien zu produzieren, dass man theoretisch davon leben könnte, macht den Unterschied.

Ich habe das vor mehreren Jahren genau ausgerechnet, auch ein Video daraus gemacht, das man sich auf meinem YouTube-Kanal anschauen kann: Ich habe die gesamte Ernte von einem Jahr, jedes einzelne Radieschen, jede Erbse auf die Waage gelegt und dann anhand von Kalorientabellen ausgerechnet, wieviel Kalorien das waren. Es hätte ausgereicht um vier Personen zu ernähren. Nur die Zusammenstellung der Nahrung können Sie so nicht essen. Milchprodukte fallen weg, weil der normale Mensch keine ausreichend grosse Fläche oder auch schlichtweg keine Zeit für eine Kuh hat. Genauso fallen Getreideprodukte weg. Ich habe zwar Versuche mit Weizen, Roggen und Hirse gemacht, das sind aber alles Sachen, die man nicht im Garten anbauen kann. Es wächst zwar etwas, aber davon kann man kein Brot backen, es schmeckt nicht oder man bekommt das nicht in einen verzehrfertigen Zustand. Amaranth habe ich auch schon mal angebaut. Das bekommt man im Laden in einer schönen Tüte. Aber versuchen Sie mal, die Amaranth-Körner selber so sauber zu bekommen, dass Sie die essen können. Unmöglich. Es gibt ganz ganz viele Nahrungsmittel, die man nicht produzieren kann, zumindest nicht im kleinen Stil.

Wenn wir in einer anderen Welt Leben könnten, in der ich zum Bäckermeister sage: „Hier ist ein Huhn, gib mir doch bitte 20 Brötchen“, dann würde ich mich vielleicht als Selbstversorger bezeichnen. Aber wir leben nicht in so einer Welt.

Wieso schlummert die Sehnsucht nach einem eigenen Garten und dem Thema Selbstversorgung in so vielen Menschen?

Diesen Hype, den es momentan durchmacht, der kommt und geht wieder. Wir leben in einer übersättigten Gesellschaft. Das größte Problem, das der Durchschnittsmensch hat, ist die Frage, welche Farbe das neue SUV haben soll. Da bleibt dann Zeit, sich auf Dinge zurückzubesinnen, die früher gang und gäbe waren: Mal wieder raus in die Natur, der eine setzt eine Tomate auf dem Balkon, der andere macht das im etwas größeren Stil, so wie ich. Der Grund ist wohl ein Hype, der aber auch wieder abklingen wird. Man sieht auch, dass viele Leute damit starten, es aber wieder sein lassen, weil sie es nicht schaffen. Wieviele Leute kenne ich, die mit Bienen angefangen und entgeistert aufgehört haben, weil sie es nicht bewerkstelligen, die Bienen über den Winter zu bringen. Die meisten denken sich, sie machen das nebenher, gehen Abends mal für eine halbe Stunde in den Garten und hantieren mit der Gießkanne herum. Da kommt schon was dabei raus, das hat aber mit zielgerichteter Nahrungsmittelproduktion nichts zu tun.

Sie haben seit über 15 Jahren Erfahrung mit dem Thema Selbstversorgung. Was sind die wichtigsten Dinge, die Sie in dieser Zeit gelernt haben?

Definitiv der Respekt vor unseren Vorfahren. Wie die das überhaupt geschafft haben. Heutzutage gibt es ja eine Menge Züchtungen, die schon resistent sind. Es gibt Netze, Gewächshäuser und alles nur erdenklich mögliche. Ich frage mich ernsthaft, wie unsere Vorfahren das alles geschafft haben. Ich habe ja mal auf 150 Quadratmeter Weizen angebaut. Ich habe mir einen Dreschflegel gebaut und den Weizen sowas von geschlagen, um die Körnchen da raus zu kriegen. Man bekommt ein ganz anderes Verhältnis zu den Nahrungsmitteln, die man verzehrt, wenn man den ganzen Aufwand bedenkt. Eine Tomate anzubauen, ist einfach. Aber wenn ich Silberzwiebelchen anbauen möchte, wie in meinem letzten Video zu sehen, dann ist das schon eine ganz andere Dimension. Da steckt unglaublich viel Mühe, Arbeit und Erfahrung dahinter.

Deswegen habe ich großen Respekt vor unseren Vorfahren, die das geschafft haben. Das waren ganz andere Zeiten, da war ein Schwein ein Schwein, das nachher gegessen wurde. Heutzutage ist das nicht mehr so. Ich hatte eine zeitlang Kaninchen. Wenn ich gesagt habe, die Kaninchen landen im Topf, bekamen erwachsene Menschen einen Nervenanfall, weil da jemand ein Kaninchen schlachtet. Der Bezug zur Realität, zu dem, was möglich ist, um am Leben zu bleiben, ist bei den meisten Menschen abhanden gekommen.

Ich war lange Zeit in Afrika. Dort können Sie jeden Achtjährigen bitten, ein Huhn zu schlachten. Das macht er ohne mit der Wimper zu zucken. Fragen Sie bei uns einen Schüler … Wenn unsere eigenen Kinder in der Schule erzählen, dass wir Hühner schlachten lassen, dann bekommen die Schüler einen Herzanfall. Das könne man doch nicht machen! Auf der andere Seite gehen sie dann zu McDonalds und ziehen sich den Chickenburger rein. Die Menschen sind fern der Realität.

In Ihrem Buch sagen Sie, dass Sie Experimente lieben. Über welche Misserfolge oder gescheiterten Experimente können Sie heute lachen? Aus welcher Lektion haben Sie am meisten gelernt?

Ich lerne immer wieder aufs Neue, dass bestimmte Kulturen an meinem Standort und mit meinem Klima einfach nicht funktionieren. Wenn ich mir irgendetwas in den Kopf setze, dann ziehe ich das durch, probiere es ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre. Irgendwann kommt dann der Moment, wo ich eingestehen muss, „nein, das funktioniert nicht, das wächst bei mir nicht“. Die Erkenntnis, die ich vielleicht gewonnen habe, ist die Tatsache, dass es Grenzen gibt. Wenn Sie heutzutage in den Supermarkt gehen, haben Sie jederzeit alles, was Sie brauchen, da liegen. Versuchen Sie das mal mit eigenen Produkten aus dem eigenen Garten. Sie haben eine Saison, die fünf Monate dauert. Den Rest des Jahres leben Sie von eingelegten Gurken.

Ich habe mal Reis angebaut und eine Handvoll Reis geerntet. Dann steht man da mit den Reiskörnern und kriegt die nicht aus den Spelzen raus.

Auf welche Erfolge in ihrem Garten sind sie besonders stolz?

Ich bin eigentlich stolz auf jedes Ding das letztendlich irgendwann funktioniert, nichts spezielles. Es ist eher das Gesamtkonzept. Es gibt Jahre, da klappt eine bestimmte Kultur nicht, dafür funktioniert sie im nächsten Jahr. Jedes Radieschen, das ich ernte, jede Tomate und jede Pflaume, in der keine Made drin steckt, ist für mich ein Erfolg.

Gibt es Dinge, auf die Sie im Alltag verzichten müssen?

Wir sind keine Einsiedler, die in diesem Garten leben und nur davon leben. Wir gehen auch einkaufen, schon alleine der Kinder wegen. Allerdings gibt es jedes Jahr große Probleme wegen dem Urlaub. Meine Frau ist nunmal diejenige, die arbeitet und mehr Geld verdient als ich. Sie möchte dann auch in den Urlaub. Fahren Sie mal mitten in der Saison zwei Wochen weg. Da war die ganze Gartengeschichte letztendlich für die Katz‘.

Findet sich da kein Ersatz für die zwei Wochen?

Es ist ja nicht nur das Gießen, das Gemüse muss ja auch verarbeitet werden. Wenn gerade in dieser Zeit die Einlegegurken reif werden, müssen sie gleich gepflückt werden, und das muss täglich gemacht werden. Ich mag vielleicht jemanden finden, der die Tiere füttert, aber irgendjemand, der sich da groß mit dem Garten beschäftigt und die Ernte auch noch haltbar macht, den finden Sie nicht. Heutzutage macht sich auch keiner mehr die Mühe, Gurken einzulegen oder dergleichen. Ich kann von meinen Produkten eine Menge abgeben, aber das sind nur die klassischen Sachen, wie Brokkoli … kein Problem, den werde ich los. Blumenkohl auch. Aber wenn ich eine Rote Beete überschüssig habe und sie loswerden möchte, dann gibt es Probleme. Die Hausfrau von heute weiß mit einer Roten Beete nichts mehr anzufangen, die wollen die nicht. Kürbisse auch … keine Hausfrau bereitet heutzutage noch Kürbis richtig zu. Meine Frau versucht, das Gemüse loszuwerden, auch am Fußballplatz bei Fußballmüttern oder in der Firma. Die gängigen Sachen kriegt man weg, aber etwas anderes, wie eine Schwarzwurzel … keine Chance. Dafür machen sich die Leute nicht mehr die Finger dreckig.

Wie haben Sie das Problem mit dem Urlaub gelöst?

Eine Woche gewähre ich meiner Frau jedes Jahr, für eine Woche fahren wir weg. Das ist für mich immer ein Graus und ich kriege die Krise, weil ich sehe, wie das Gemüse in dieser Zeit kaputtgeht. Die ganze Mühe, die man vorher reingesteckt hat, ist dahin. Man kann auch nicht planen, es ist ja wetterabhängig. Es gibt immer wieder Leute die behaupten, es würde so und so lange dauern bis etwas reif sei … wenn es aber in der Zwischenzeit eine Woche lang schlechtes Wetter mit niedrigen Temperaturen hat, verzögert sich alles. Man kann nicht planen. Jedes Jahr aufs Neue vergammelt in dieser Woche, wo wir auf Urlaub sind, so viel, weil niemand da ist, der erntet und verarbeitet. Das ärgert mich immer wieder, aber ich gehe diesen Kompromiss dennoch für meine Frau ein.

Wieviel Zeit investieren Sie in ihren Garten? Ist es ein Vollzeit-Job?

Wenn ich das wirklich ernsthaft und zielgerichtet machen würde, wäre das ein Vollzeit-Job. Allerdings muss ich immer einen gewissen Mut zur Lücke haben. Irgendwann ist die Kapazität, die Grenze dann auch erreicht. Ich kann nicht jedes Unkraut ausreißen. Bis knapp vor den Sommerferien komme ich damit gut hin. Nach den Sommerferien lasse ich das ganze Ding einfach laufen, weil es einfach nicht passt. Dann wollen die Kinder zum Baggersee oder es stehen Kindergeburtstage an, wie heute.

Worauf sollte sich ein angehender Selbstversorger einstellen? 

Leidensbereitschaft. Wenn Sie die ersten Salate da hingepflanzt haben, die sie vorher schön in der Wohnung großgezogen haben und am nächsten Tag sind die Salate weg, weil die Schnecken da waren, dann braucht man schon eine gewisse Leidensfähigkeit. Es ist kein einfaches Metier. Es gibt zwar immer wieder Leute die das erzählen, aber die machen das alle im kleinen Stil. Wenn ich mein kleines 2 Quadratmeter-Hochbeet habe, was schön geschützt ist mit einem Netz drüber, dann habe ich keine Gemüsefliegen und keine Schnecken. Aber das hat wiederum nichts mit Selbstversorgung zu tun. Man muss den Unterschied zwischen Selbstversorgung und Hobbygärtnern sehen.

Ich war die letzten zwei Wochen mit unseren Bienen beschäftigt. Gestern habe ich zwölf Stunden lang Honig geschleudert. Wieder ein Tag, der für den Garten verloren ist und an dem das Unkraut schon wieder in Unmengen sprießt. Würde ich mich jetzt nur mit ein bisschen Gärtnern befassen, wäre alles kein Problem, dann könnte ich alles toll beibehalten. Aber Selbstversorgung … warum haben unsere Vorfahren mit drei, vier Generationen in einem Haushalt gewohnt? Die Jungen haben die schwere Arbeit gemacht, die Alten haben da gesessen und die Erbsen aus den Schoten geholt und die mittlere Generation hat sie dann eingekocht. Früher war das so gang und gäbe, auch meine Großeltern haben das so betrieben.

Helfen Ihre Kinder im Garten mit, oder schmeißen Sie alles alleine?

Das meiste mache ich alleine. Sie bekommen schon ihre Aufgaben, die aber nicht ins Gewicht fallen. Die Kinder sind wie gesagt ein großer Ansporn für mich. Sie essen die Sachen mit Freude, mittlerweile essen sie auch die Tiere. Es hat eine Zeit gegeben, da haben sie unsere Hühner oder Kaninchen nicht gegessen, weil sie in der Schule deswegen gemobbt wurden. Nun essen sie sie und es freut mich zu sehen, wie sehr ihnen das Essen schmeckt und wie sehr sie es schätzen. Ich schicke sie los „geh mal Stielmus ernten“, sie kommen wieder, dann hauen wir das in die Pfanne und kochen gemeinsam. Das ist ein ganz anderes Lebensgefühl, als wenn die Mutter beispielsweise den Pizzadienst ruft.

Sie sind pflegeleicht, witzig zu beobachten, vertilgen allerlei Abfall aus dem Garten und legen leckere Eier: Jeder,
der mit dem Gedanken an Selbstversorgung spielt, sollte Hühner von Anfang an mit einplanen, empfiehlt Ralf Roesberger. Foto: © Gräfe und Unzer Verlag/ Patrice Kunte

 

Makelloses Gemüse? Fehlanzeige. Mit einem halben Dutzend Schnecken auf dem erntereifen Salatkopf muss man jederzeit rechnen. Foto: © Gräfe und Unzer Verlag/ Patrice Kunte

 

Von den sieben verschiedenen Apfelbäumen, die Roesberger in seinem Garten gepflanzt hatte, hat nur einer überlebt. Der Rest fiel den Wühlmäusen zum Opfer. Foto: © Gräfe und Unzer Verlag/ Patrice Kunte

 

Buchvorstellung: 

Wie man einen Garten richtig anlegt, Saat ausbringt, düngt und Hühner hält – und wie das alles auch mal schiefgehen kann – erfährt man im Buch „Selbstversorgung – Was im eigenen Garten wirklich möglich ist“ (Gräfe und Unzer Verlag). Darin gibt Ralf Roesberger auf humorvolle und selbstironische Art seine wertvollen Erfahrungen zum Besten, die definitiv Lust auf Gummistiefel, Spaten und Unkraut jäten machen.



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