An den Mond – Von Johann Wolfgang von Goethe

Aus der Reihe Epoch Times Poesie - Gedichte und Poesie für Liebhaber
Titelbild
Was von Menschen nicht gewußt, oder nicht bedacht, durch das Labyrinth der Brust wandelt in der Nacht. Foto. iStock

An den Mond

Füllest wieder Busch und Tal

Still mit Nebelglanz,

Lösest endlich auch einmal

Meine Seele ganz;

Breitest über mein Gefild

Lindernd deinen Blick,

Wie des Freundes Auge mild

Über mein Geschick.

Jeden Nachklang fühlt mein Herz

Froh und trüber Zeit,

Wandle zwischen Freud‘ und Schmerz

In der Einsamkeit.

Fließe, fließe, lieber Fluß!

Nimmer wird‘ ich froh!

So verrauschte Scherz und Kuß,

Und die Treue so.

Ich besaß es doch einmal,

was so köstlich ist!

Daß man doch zu seiner Qual

Nimmer es vergißt!

Rausche, Fluß, das Tal entlang,

Ohne Rast und Ruh;

Rausche, flüstre meinem Sang

Melodien zu!

Wenn du in der Winternacht

Wütend überschwillst,

Oder um die Frühlingspracht

Junger Knospen quillst.

Selig, wer sich vor der Welt

Ohne Haß verschließt,

Einen Freund am Busen hält

Und mit dem genießt!

Was von Menschen nicht gewußt,

Oder nicht bedacht,

Durch das Labyrinth der Brust

Wandelt in der Nacht.

Johann Wolfgang von Goethe (1749 –  1832)

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