Wohin mit den Asylsuchenden? Zweifel an Faesers Abschiebeplan

Mehr Grenzkontrollen, nein, schärferer Abschiebungskurs, ja: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat sich in Teilen neu zur Migrationskrise positioniert. Doch ihr aktueller „Diskussionsentwurf“ stößt beinahe überall auf Ablehnung.
Titelbild
Innenministerin Nancy Faeser will den Ausländerbehörden mehr Zeit für Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber verschaffen.Foto: Christoph Soeder/dpa
Von 4. August 2023

Seit vielen Monaten stöhnen die Kommunen und Landkreise über den nicht enden wollenden Zustrom von Asylbewerbern. Wohin mit den Leuten? Wie sie integrieren? Woher das Geld nehmen?

Die verantwortliche Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat sich in dieser Woche mit einem „Diskussionsentwurf“ neu positioniert, um den Ausländerbehörden und der Polizei eine bessere Ausgangsposition bei der Abschiebung ausreisepflichtiger Menschen zu verschaffen. Die Kernpunkte:

  • Das „Ausreisegewahrsam“ soll von zehn Tagen auf 28 Tage verlängert werden. Es betrifft die Höchstdauer, für die ein ausreisepflichtiger Ausländer festgehalten werden kann, damit er sich einer kurz bevorstehenden Abschiebung nicht entziehen kann.
  • Um jemanden in eine womöglich monatelange „Abschiebehaft“ zu bringen, sollen künftig mehr Gründe anerkannt werden.
  • Asylbewerber sollen verpflichtet werden, beim Asylverfahren mitzuwirken. Andernfalls sollen Strafen angedroht werden können.
  • Widersprüche und Klagen gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote sollen keine aufschiebende Wirkung mehr haben.
  • Polizisten sollen mehr Befugnisse in den Gemeinschaftsunterkünften von Asylbewerbern bekommen. Zur Durchsetzung einer Abschiebung sollen sie „unter engen rechtsstaatlichen Voraussetzungen“ auch andere Räume als die des Betroffenen betreten dürfen.
  • Einreise- und Aufenthaltsverbote, Wohnsitzauflagen oder räumliche Einschränkungen für Bewerber sollen unverzüglich durchgesetzt werden.
  • Das „Ausländerzentralregister“ soll mit mehr Daten gefüttert werden.

Der Entwurf soll nach Vorstellung von Faeser zunächst weiter beraten werden, bevor ein Gesetzentwurf vorgelegt werden soll. Verschärfte Grenzkontrollen oder gar eine Grenzschließung sind für die Innenministerin nach wie vor ein No-Go.

CDU-Generalsekretär: „Sie kündigt an, es wird nichts umgesetzt“

Mit Faesers Ideen ist kaum jemand rundum zufrieden. Carsten Linnemann, Generalsekretär der aktuell größten Oppositionspartei CDU, stellte im „Welt“-Interview klar: „Grundsätzlich“ sei der Ansatz, die Abschiebehaft zu verlängern, zwar „richtig“. Dennoch sei „dieses Land […] nicht in der Lage, so viele zu versorgen“. In Deutschland fehlten „350.000 Kitaplätze“ und „700.000 Wohnungen.“ Auf der anderen Seite gebe es „40.000, 45.000“ illegale Grenzübertritte. Dabei müsse ein Staat „wissen, wer im Land ist und wer nicht im Land ist.“

Linnemann warf Faeser ein „grundsätzliches“ Problem vor: „Sie kündigt an, es wird nichts umgesetzt.“ Auch vom Rückführungsbeauftragten der Bundesregierung, Joachim Stamp, habe er „bis dato nichts Konkretes gehört.“ „Nach monatelangem Gerede sollte jetzt auch gehandelt werden“, forderte Linnemann unter Verweis auf den Flüchtlingsgipfel vom Mai 2023. Es gebe „Hilferufe“ von der Gewerkschaft der Polizei (GdP).

Auch die Kommunen stünden „voll im Regen.“ So habe beispielsweise Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), der direkte Gegner Faesers im hessischen Landtagswahlkampf, Grenzkontrollen gefordert. Linnemann forderte mehr Verträge mit Ländern wie etwa Tunesien, wo die EU kürzlich ein Rücknahmeabkommen ausgehandelt habe (Video auf „Welt.de“).

Herrmann und Wüst wollen schnellere Umsetzung

Das sieht der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) offenbar genauso: Im „Münchener Merkur“ forderte er, mehr Herkunftsländer als sichere Staaten einzustufen. „Hinsichtlich Georgien und Moldau hat ja sogar der Bundeskanzler schon seine Zustimmung signalisiert. Aber wer blockiert wieder? Die Grünen“, zitiert ihn das Blatt. Auch er mahnte eine höhere Geschwindigkeit bei der Umsetzung der Pläne an.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) kritisierte Faesers Papier laut „Handelsblatt“ als „zu wenig, zu langsam, zu zögerlich“. Die bereits mit den Ländern vereinbarten Neuregelungen zur Abschiebung müssten sofort umgesetzt werden, denn die Kommunen seien „am Limit“. Besserung erwarte er, „wenn weniger zu uns kommen, die gar kein Recht auf Asyl haben.“ Mitte Juli hatte die „Welt“ davon berichtet, dass die NRW-Regierung ihre Bemühungen weitgehend aufgegeben habe, ausreisepflichtige Asylantragsteller abzuschieben.

Lindholz (CSU) spricht von „Arbeitsverweigerung“

Nach einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) argumentiert Andrea Lindholz (CSU), die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, ähnlich: „Dass die Ministerin in der angespannten Lage nach drei Monaten nicht einmal einen fertigen Regierungsentwurf vorlegt, grenzt an Arbeitsverweigerung.“ Der „Merkur“ zitiert sie mit der Aussage, dass Nancy Faeser „ihrer Aufgabe als Bundesinnenministerin nicht gewachsen“ sei.

Stephan Thomae, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, steht einer Verlängerung des Abschiebegewahrsams auf 28 Tage laut FAZ positiv gegenüber. Auch die „erweiterten Betretungsrechte in Flüchtlingsunterkünften“ seien für ihn ein „wichtiger Schritt“. Dass allerdings so viele Abschiebungen scheiterten, müsse „sich schleunigst ändern“.

AfD: Dänemark zum Vorbild nehmen

René Springer, der arbeits- und sozialpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, wies in einer Pressemitteilung darauf hin, dass in Deutschland „bis Ende Mai 125.566 Erstanträge plus 10.395 Folgeanträge“ auf Asyl gestellt worden seien.

Im Nachbarland Dänemark seien dagegen im gleichen Zeitraum nur 1.048 Asylanträge gezählt worden. Die dänische Regierung lasse mittlerweile auch wieder nach Syrien abschieben – als erstes und einziges Land der EU. Ziel der Ministerpräsidentin Mette Frederiksen seien „null Asylanträge.“

Kritik von Faesers Parteikollegen

Während Dirk Wiese, der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, Faesers Vorschlagspapier lobte, auch weil es zusammen mit Kommunen und Ländern entstanden sei, ist Aziz Bozkurt, der Bundesvorsitzende der „Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD“ weniger begeistert.

Er bezeichnete es nach Informationen der „Stuttgarter Zeitung“ als „aus sozialdemokratischer Sicht mehr als schwierig“, das Ausreisegewahrsam und die Polizeibefugnisse auszudehnen. Schärfere Abschieberegelungen führten höchstens zu „schwierige[n] humanitäre[n] Fragen“, nicht aber zu mehr Abschiebungen.

Grüne: „Auf Straftäter konzentrieren“

Auch vom Ampelkoalitionspartner Grüne kam Kritik an Faesers Vorschlagspapier. Die Migrationsexpertin der Grünen im Bundestag, Filiz Polat, sagte im Interview mit der „Frankfurter Rundschau“, eine Ausdehnung des Ausreisegewahrsams sei als „massiver Eingriff in das verfassungsrechtlich garantierte Freiheitsrecht grundsätzlich abzulehnen“. Nancy Faeser solle ihren „Dauerwahlkampf für Hessen“ beenden und „sich wieder an das vereinbarte Arbeitsprogramm“ halten.

In puncto Abschiebung solle man sich „auf Straftäter konzentrieren und nicht auf Familien mit Kindern“, erklärte Polat im MDR. Außerdem sei „die Hälfte aller Abschiebungen rechtswidrig“.

Pro Asyl: Sommerloch-Debatte hilft nur AfD

„Wir haben gegen die Pläne große Bedenken verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Art“, hieß es gegenüber dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) von Karl Kopp, dem Leiter der Europaabteilung der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl. „Denn beim Abschiebegewahrsam werden Leute eingesperrt, die nichts verbrochen haben.“

Er halte es zudem für „maßlos überzogen“ und eine Verletzung der „Privatsphäre“, wenn Polizisten in Wohnheime eindringen dürften, weil davon auch jene Mitbewohner betroffen seien, die nicht ausreisepflichtig wären.

Der flüchtlingspolitische Sprecher bei Pro Asyl, Tareq Alaows, sieht das ähnlich: „Wer nach Abschiebungen um jeden Preis ruft, vielleicht weil ein Wahlkampf vor der Tür steht, der bestätigt nur die Positionen der Rechten wie der AfD und vergiftet die Stimmung im Land gegenüber Geflüchteten.“

Polizisten für mehr Grenzschutz

Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) ist alles andere als zufrieden. „Der beste Schutz vor illegaler Migration ist eine wirksame Kontrolle an den Grenzen und eine bessere Ausstattung der Polizei“, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende Rainer Wendt. Die Beamten hätten es schließlich auch mit einer „hohen Schleuserkriminalität“ zu tun. Faesers neuer Abschiebekurs sei „nicht zielführend“ und werde „die Probleme im Land nicht lösen.“

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Sven Hüber, machte sich nach FAZ-Angaben für Faesers Angebot stark, „die verstärkte Rückführung ausreisepflichtiger Personen, insbesondere von Mehrfach- und Intensivstraftätern, endlich in Schwung zu bringen.“

2022: Knapp 13.000 Abschiebungen, 43.000 sofort Ausreisepflichtige

Nach Angaben der Bundesregierung wurden laut „Stuttgarter Zeitung“ im Kalenderjahr 2022 noch nicht einmal 13.000 ausreisepflichtige Personen aus Deutschland abgeschoben. Das Ausländerzentralregister weist für denselben Zeitraum mehr als 304.000 Fälle von Ausreisepflichtigen aus. Darunter verfügten allerdings 248.000 Menschen über Papiere mit einem Duldungsstatus. Diese werden ausgehändigt, wenn Personen zwar grundsätzlich ausreisepflichtig sind, aber aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden können – sei es, weil sie keine Ausweisdokumente besitzen, krank sind oder ein minderjähriges Kind mit einer gültigen Aufenthaltserlaubnis haben.

Unterm Strich bedeutet das, dass sich 2022 rund 43.000 Ausländer in Deutschland aufhielten, die das Land eigentlich sofort hätten verlassen müssen.

Ausreisepflichtig können übrigens nicht nur abgelehnte Asylbewerber sein, sondern auch Touristen, Arbeitnehmer oder ausländische Studenten, deren Visum oder Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist.

Mit Informationen aus Agenturen



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion