Rammstein-Rufmord? Staatsanwaltschaft stellt Verfahren gegen Till Lindemann ein

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat die Ermittlungen gegen Rammstein-Frontmann Till Lindemann eingestellt. Wie die Behörde mitteilte, habe die Auswertung der Beweise keinen hinreichenden Tatverdacht für angebliche Sexualstraftaten ergeben.
Till Lindemann und seine Band Rammstein melden sich beim Publikum zurück.
Nach einem Feuerwerk an Vorverurteilungen wird das Verfahren gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann eingestellt.Foto: Christoph Soeder/dpa
Von 31. August 2023

Die Ermittlungen gegen den Leadsänger der Band Rammstein wurden wegen Tatvorwürfen aus dem Bereich der Sexualdelikte und der Abgabe von Betäubungsmitteln eingeleitet. Diese bezogen sich auf Paragraf 177 des Strafgesetzbuches. Darin sind sexuelle Übergriffe, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung geregelt.

Dazu kam es, als die Nordirin Shelby Lynn via Social Media behauptet hatte, anlässlich eines Rammstein-Konzerts in Litauischen Vilnius am 23. Mai 2023 unter Drogen gesetzt worden zu sein. Die YouTuberin Kayla Shyx zog nur wenige Tage später nach und veröffentlichte auf  YouTube ein Video, in dem sie behauptete, Mädchen seien von Till Lindemann sexuell missbraucht worden, „nachdem man ihnen zuvor K.O.-Tropfen, Drogen oder Alkohol gegeben habe“.

Freispruch erster Klasse bei Anzeigen aus zweiter Hand

Diese Anschuldigungen zogen nicht nur internationale Aufmerksamkeit in Form eines großen Medienechos nach sich, auch erstatteten drei Privatpersonen und eine Gesellschaft bei der Staatsanwaltschaft Berlin Strafanzeige gegen Till Lindemann – ausschließlich unter Berufung auf die Anschuldigungen von Shelby Lynn und Kayla Shyx sowie die nachfolgenden, umfassenden Medienberichte, und nicht auf etwaige eigene Erfahrungen zurückgreifend. Es folgte ein Ermittlungsverfahren wegen möglicher Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung.

Nun hat die Behörde mitgeteilt, dass es keine Beweise für den Vorwurf gebe, Lindemann habe jungen Frauen K.O.-Tropfen verabreicht oder sie sexuell missbraucht.

„Es existierten ja nie irgendwelche Beweise oder Indizien“

Lindemanns Anwalt, Professor Björn Gercke (49) vertritt, neben etlichen Prominenten, jetzt auch den Rammstein-Frontmann. Im „Focus“-Interview befragt, ob es ein überraschender juristischer Erfolg sei, dass die Ermittlungen gegen Lindemann zu den Akten gelegt worden seien, sagte der Kölner Jurist: „Gewiss nicht, diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft ist nur logisch und konsequent. Es existierten ja nie irgendwelche Beweise oder Indizien, dass mein Mandant diese Frauen sexuell missbraucht hat. Das zeigt auch der Umstand, dass diese vermeintlichen Opfer nicht selbst Strafanzeigen gegen Herrn Lindemann erstattet haben, sondern Dritte.“

Die Staatsanwaltschaft Berlin habe sehr umfassend ermittelt, mehrere Personen befragt. Unter anderem wurde auch die Akte aus dem litauischen Vilnius herangezogen. Die Strafverfolger in Litauen hätten das Verfahren binnen Stunden eingestellt, eben weil nichts dran war. Anders als in Deutschland: „Die Berliner brauchten dann drei Monate länger, um zu erkennen, dass die Vorwürfe völlig haltlos waren“, so Lindemanns Anwalt.

Moralische Frage vom Strafrecht nicht abgedeckt

Unter anderem wurde die YouTuberin Kayla Shyx zu ihren öffentlichen Anschuldigungen befragt. Dazu Lindemann-Anwalt Gehrke: „Kayla Shyx wurde sehr lange vernommen. Am Ende kam dabei nichts heraus. Ergo bestand kein Tatverdacht. Herr Lindemann wurde dadurch strafrechtlich komplett reingewaschen.“ Zur moralischen Frage des Machtmissbrauchs, der im Raum stehe, wollte sich Lindemanns Anwalt nicht äußern, „da es diesen Vorwurf im Strafrecht nicht gibt“.

Erstmals seit Verlauten der Vorwürfe äußerte sich der Rammstein-Frontmann zum Thema, „Ich danke allen, die unvoreingenommen das Ende der Ermittlungen abgewartet haben. Till“, schrieb Lindemann nach Einstellung des Verfahrens gegen ihn in einer Instagram- Story für seine 1,2 Millionen Follower.

Wellen der Vorverurteilung

Nicht nur medial schlugen diese Vorverurteilungswellen gegen den Sänger hoch, auch andere Partner des Bandleaders und der Politik stimmten ein. Nach Lautwerden der Vorwürfe teilte die Berliner Innen- und Sportsenatorin Iris Spranger (SPD) via Twitter (jetzt X), mit, dass die Rockband Rammstein bei ihren Konzerten in Berlin Mitte Juli keine After-Show-Party im Olympiastadion veranstalten dürfe. In Liegenschaften, die sie verantworte, werde es keine solche Party geben, so Spranger.

Sogar Bundeskanzler Olaf Scholz ließ durch seinen Sprecher Hebestreit (auf der Bundespressekonferenz am 9. Juli 2023) bestätigen, dass in die Missbrauchsvorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann auch „in den höchsten politischen Kreisen“ wahrgenommen werden: Es handele sich hier um Vorwürfe, die „aufgeklärt gehören“.

Ganz, ohne auf Aufklärung zu warten, kündigte Lindemanns Verlag Kiepenheuer & Witsch dem Rammstein-Frontmann. Verlagschefin Kerstin Gleba bezog sich in einer Pressemitteilung auf ein Porno-Video, in welchem Lindemanns Buch „In stillen Nächten“ eine Rolle gespielt habe. Das Buch war 2013 im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen. Der Verlag trennte sich von Lindemann mit folgender Begründung: „Aus unserer Sicht überschreitet Till Lindemann für uns unverrückbare Grenzen im Umgang mit Frauen. Wir haben uns daher entschieden, die Zusammenarbeit mit Till Lindemann mit sofortiger Wirkung zu beenden, da unser Vertrauensverhältnis zum Autor unheilbar zerrüttet ist.“

Auf Anfrage bei Kiepenheuer & Witsch, ob der Verlag die Zusammenarbeit mit Lindemann wieder aufnehmen/anstreben werde und ob es eine Art Entschuldigung geben werde, antwortete eine Verlags-Sprecherin: „Wir möchten den Sachverhalt zum jetzigen Zeitpunkt nicht weiter kommentieren.“

Provokation als Stilmittel und Statement zwischen den Zeilen

„Die Provokation ist ein Stilmittel, das sich auch durch das Leben und die Arbeit Lindemanns zieht“, schrieb der „NDR“ noch im Januar 2023 anlässlich des 60. Geburtstages von Lindemann. „Sein turbulentes Liebesleben mit oft weitaus jüngeren Frauen und seine Texte sorgen regelmäßig für Aufregung.“

Der Musiker hatte sich vor der Einstellung des Verfahrens gegen ihn nicht direkt zu den Vorwürfen geäußert. Doch in den Rammstein-Konzerten veränderte Lindemann einige Songzeilen so, dass viele dies als „Zwischen den Zeilen“-Statement zu den Vorwürfen interpretierten.  So sang er bei den drei ausverkauften Berlin-Konzerten im Song „Angst“ beispielsweise: „Alle haben Angst vor Lindemann“ statt „Alle haben Angst vorm schwarzen Mann“. Noch prägnanter eine andere Songtext-Änderung: Der Rammstein-Frontmann änderte auch die Lyrics von „Ohne Dich“ von „Weh mir, oh weh. Und die Vögel singen nicht mehr“ in „Und die Sänger vögeln nicht mehr“.



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