Kontroverse um EU-Pläne: Bricht Ursula von der Leyen EU-Recht?
Anfang Mai kündigte die EU-Kommission an, dass sie die Versorgung der Ukraine mit Munition langfristig sicherstellen möchte. Innerhalb von zwölf Monaten sollen nun europäische Rüstungsfirmen mindestens eine Million Schuss Artilleriemunition pro Jahr produzieren. Aus ihrem Haushalt möchte die Kommission dafür insgesamt 500 Millionen Euro zur Verfügung stellen.
„Wir müssen in den Modus der Kriegswirtschaft wechseln“
Industriekommissar Thierry Breton gab sich am vergangenen Mittwoch kämpferisch. „Wir müssen in den Modus der Kriegswirtschaft wechseln“, sagte er bei der Vorstellung des „Act in Support of Ammunition Production“ (ASAP) in Brüssel. „Wir können dies tun, und wir werden dies tun.“
Breton hatte in den vergangenen Wochen verschiedene Munitionsfabriken in ganz Europa besucht und ist zu dem Schluss gekommen: „In Europa verfügen wir über echte Produktionskapazitäten.“ Insbesondere in Osteuropa gebe es zahlreiche Fabriken, die seit dem Ende des Kalten Krieges ihren Betrieb stark reduziert haben, aber immer noch funktionsfähig seien. Breton erklärte: „Die Fabriken sind vorhanden, wir müssen nur die Produktion hochfahren.“ Bei Bedarf könnten sogar mehr als eine Million Geschosse pro Jahr produziert werden.
Das ukrainische Militär leidet schon seit einiger Zeit unter einem Mangel an Munition. Dies erschwert die geplante Sommeroffensive gegen Russland erheblich. Während die russische Armee laut Schätzungen der EU täglich bis zu 50.000 Granaten abfeuert, müssen die Ukrainer mit nur einigen Tausend auskommen.
500 Millionen für Munitionsproduktion
Die EU-Kommission hat deshalb einen Gesetzentwurf vorgelegt, der es ermöglichen soll, EU-Mittel in den europäischen Rüstungssektor zur Produktion von „relevanten Verteidigungsgütern“ zu investieren. In diesem konkreten Fall handelt es sich hauptsächlich um Munition für schwere Artillerie und Raketen. Das erklärte Ziel sei es, die EU in die Lage zu versetzen, jährlich mindestens eine Million Artilleriegranaten herzustellen – im Vergleich zu den rund 250.000 Stück im Jahr 2022.
Für den Fall, dass die Subventionen nicht den gewünschten Produktionsschub auslösen, möchte die Europäische Kommission auf Zwangsmaßnahmen zurückzugreifen. In Zusammenarbeit mit einem Mitgliedstaat könnte Brüssel einem Rüstungsunternehmen die Anweisung geben, Munition vorrangig an EU-Staaten zu verkaufen und andere Aufträge zurückzustellen. Angesichts der Notlage in der Ukraine dürften bestimmte Exportaufträge nicht Priorität genießen, sagte Breton.
Die 500 Millionen Euro, die von der Europäischen Union bereitgestellt werden, stammen aus zwei Finanzquellen: dem Europäischen Verteidigungsfonds EDF und einem Fonds für die gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern (EDIRPA). Zusätzlich zur EU-Finanzierung müssen die nationalen Regierungen weitere 500 Millionen Euro mobilisieren, um die Co-Finanzierung sicherzustellen.
Dafür dürfen sie auch Gelder umwidmen, die sie aus dem Kohäsionsfonds zur Angleichung der Lebensumstände in der EU und dem Corona-Wiederaufbaufonds erhalten haben. Letzterer Fonds ist eigentlich für die grüne und digitale Transformation gedacht. Jedoch sagte Breton, ein Ziel des Corona-Fonds sei es gewesen, die Resilienz der Länder zu stärken. Dazu gehöre auch die Verteidigung. Beugt die EU-Kommission hier wissentlich EU-Recht?
EU-Verfassungsvertrag verbietet Militärausgaben
Genau diese Frage stellt die britische „Financial Times“ in einem Artikel aus der vergangenen Woche und kommt zu dem Ergebnis:
„Die vorgeschlagene Umschichtung von Mitteln aus dem gemeinsamen EU-Haushalt wäre jedoch eine umstrittene Maßnahme. Der EU-Verfassungsvertrag verbietet ‚Ausgaben, die sich aus Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen ergeben‘.“
Es geht ganz konkret um den Artikel 41 (2) des „Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union“, gegen den die EU-Kommission hier zu verstoßen scheint.
Die Initiatoren des Vorschlags der EU-Kommission weisen einen Verstoß gegen die eigenen Regeln von sich. Mit ihrem Vorschlag würden sie sich im Rahmen des Vertrags bewegen. Auf Anfrage der „Financial Times“ teilte ein Sprecher der EU-Kommission mit, dass entsprechende Bedenken haltlos seien.
„Die finanzierten Maßnahmen sind mit der Förderung der Produktionskapazitäten der einschlägigen Verteidigungsindustrie verbunden und nicht mit der physischen Produktion bestimmter Mengen von Verteidigungsgütern“, so die Aussage. Das heißt, die Kommission fördert nur die Produktionskapazitäten, nicht die Produktion.
Fragwürdige Argumente aus Brüssel
Diese Haarspalterei schlägt sich allgemein im Gesetzentwurf nieder. Dort verkauft die Kommission die Munition als „production of relevant defence products“ – also als „Verteidigungsgüter“, nicht als Kriegswaffen.
Um den betreffenden Artikel zu umgehen, argumentiert die EU-Kommission mit einem Konstrukt: Mitgliedstaaten dürfen Gelder aus dem EU-Kohäsionsfonds, der eigentlich zur finanziellen Unterstützung armer EU-Regionen vorgesehen ist, sowie aus dem sogenannten Corona-Aufbaufonds der EU, der zur Bewältigung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise dient, umwidmen und in den Ausbau der Rüstungsproduktion investieren.
Diese Gelder stammen zweifellos aus dem EU-Haushalt. Die Kommission argumentiert jedoch, dass Artikel 41 (2) des EU-Vertrages nicht greift, da die konkrete Umwidmung dieser EU-Gelder eine Entscheidung der jeweiligen nationalen Regierungen und nicht der EU sei.
Das mag auf den ersten Blick clever klingen, zeigt aber auch auf, dass die EU sehr genau weiß, auf welch dünnem Eis sie sich hier bewegt. Die „Financial Times“ zitiert eine Quelle aus der Kommission, dass, auch wenn der Gesetzentwurf die Grenzen ein wenig überschreite, der Krieg in der Ukraine „eine noch nie da gewesene Krise“ sei, „die noch nie da gewesene Reaktionen erfordert“.
Gesetzeskraft hat der Plan der EU-Kommission im Moment noch nicht. Zuerst müssen die Mitgliedstaaten und auch das EU-Parlament den Kommissionsplänen zustimmen.
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