Italien startet durch: Wirtschaft nach 16 Jahren wieder auf Kurs

Italien wurde lange als „kranker Mann Europas“ bezeichnet. Dieser Titel wird nun eher für Deutschland verwendet. Wie ist die wirtschaftliche Lage Italiens?
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Moderne Hochgeschwindigkeitszüge am Bahnhof in Mailand (Italien).Foto: scaliger/iStock
Von 31. Oktober 2024

Edoardo Secchi ist Unternehmer, Investor, Wirtschaftsberater, Gründungspräsident der Italy-France Group und des Italien-Frankreich-Clubs. Im Interview mit der französischen Epoch Times gibt er einen Überblick über die wirtschaftliche Situation in Italien.

Beide Staaten, Frankreich und Italien, haben Schwierigkeiten, sich zu reformieren. Doch gleichzeitig haben sie unterschiedliche strukturelle Probleme – Rom regiert im Gegensatz zu Paris mit einem Handelsbilanzüberschuss von 100 Milliarden Euro. Was macht Italien anders als andere?

Wo steht Italien wirtschaftlich seit dem Amtsantritt von Giorgia Meloni? Ist es besser geworden? Italien wurde lange als „kranker Mann Europas“ bezeichnet.

Der Ausdruck „kranker Mann“ wurde oft von Journalisten verwendet, die über die politische und wirtschaftliche Lage in Italien nicht sehr gut informiert waren. Ich stelle fest, dass er heute verwendet wird, um über Deutschland zu sprechen, das sich in einer schweren Rezession befindet, oder auch über Frankreich.

Nun behaupte ich, dass es Italien dank Giorgia Meloni, und vor allem dank der von ihrem Vorgänger Mario Draghi durchgeführten Reformen, besser geht.

Allerdings ist die Politik nicht repräsentativ für den Zustand der transalpinen Wirtschaft. Obwohl die Staatsverschuldung weniger schnell als in Frankreich wächst und wieder unter 3 Billionen Euro liegt, ist sie mit 2,8 Billionen Euro immer noch sehr hoch. Sehr wichtig ist jedoch, dass Italien in diesem Jahr wieder ein Wirtschaftswachstum aufweist! Dies ist das erste Mal seit 16 Jahren! [Anm. d.Red.: Die Regierung Melonie erwartet ein BIP-Wachstum von 1 Prozent im Jahr 2024 und von 1,2 Prozent im Jahr 2025.]

Edoardo Secchi ist Unternehmer, Investor, Wirtschaftsberater, Gründungspräsident der Italy-France Group und Gründer des Italienisch-französischen Clubs. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Edoardo Secchi

Diese lange Wartezeit ist vor allem auf einen Faktor zurückzuführen, der von Journalisten und Wirtschaftswissenschaftlern selten berücksichtigt wird: die italienische Diaspora.

Es gibt etwa 6 Millionen hochqualifizierte Italiener, die das Land verlassen haben, um wichtige Positionen in multinationalen Unternehmen zu besetzen. Dies ist ein Brain-Drain, der einen großen Einfluss auf die italienische Wirtschaft und insbesondere auf die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstum hat.

Daher ist die größte Herausforderung für das italienische Wachstum derzeit der Mangel an gut ausgebildeten jungen Menschen. Italien leidet seit vielen Jahren unter der Einwanderung von gering qualifizierten Menschen ohne Fähigkeiten, während auf der anderen Seite wiederum hoch qualifizierte Italiener nach Frankreich, Großbritannien, Deutschland, in die USA und vor allem nach China gehen, um dort zu arbeiten.

Welche Reformen sind von der Ministerpräsidentin geplant, um die Situation zu verbessern?

In der vergangenen Woche wurde ein Dekret über den Haushalt verabschiedet, ähnlich wie der Entwurf des Haushaltsgesetzes, der derzeit von den Parlamentariern in Frankreich diskutiert wird. Dieses Gesetz setzt jedoch eher die Kürzungen der öffentlichen Ausgaben fort, die bereits vor Jahren begonnen haben, anstatt eine neue Investitionspolitik zu verfolgen.

Wie Sie wissen, kann Italien mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht anders handeln. Dieser verpflichtet die europäischen Staaten, ihr Defizit unter 3 Prozent des BIP und ihre Staatsverschuldung bei oder unter 60 Prozent des BIP zu halten.

Das Defizit Italiens hat 7,4 Prozent des BIP erreicht und die Schulden steigen. Ich denke auch, dass es, wie in Frankreich, zu Steuererhöhungen kommen wird.

In einem Artikel in der Zeitschrift „Conflits“ schreiben Sie, dass Italien zum viertgrößten Exporteur der Welt geworden ist, vor Japan und hinter China, den USA und Deutschland. Welches sind die dynamischsten Sektoren?

In Italien gibt es das, was man die „wunderbaren Sieben“ (magnifici sette) nennt, obwohl es in Wirklichkeit acht sind – beginnend mit dem Sektor von Maschinenbau und Anlagentechnik, also alles, was mit Maschinen in der Industrie zu tun hat. Wir verfügen über Weltmarktführer in diesem Bereich, die für Exporte im Wert von 250 Milliarden Euro stehen.

Weiterhin gehören die Bereiche Gastronomie, Design, Pharmazeutik, Mode und die Herstellung von Luxusgütern dazu, die ebenfalls sehr dynamisch sind.

Italien bietet viele Luxusmarken – eine Filiale von GUCCI in der Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand, Italien. Foto: resulmuslu/iStock

Heute werden 80 Prozent der weltweiten Luxusgüter in Italien produziert. Der „Stiefel“ hat es geschafft, eine Art Souveränität der Exzellenz in der Textil- und Luxusindustrie zu bewahren. Aus diesem Grund produzieren große Konzerne wie LVMH, Kering oder Chanel in Italien.

Die Staatsverschuldung Italiens hat fast das Niveau von Frankreich erreicht, die Steuern sind hoch und die Bürokratie ist schwerfällig. Kann man sagen, dass Rom und Paris mit den gleichen Problemen konfrontiert sind?

Ja, genau das ist der Fall. Ich sage oft, dass unsere Länder Schwierigkeiten haben, sich zu reformieren.

Obwohl die Staatsverschuldung Frankreichs und Italiens sehr hoch ist, glaube ich nicht, dass sie an sich die größte Bedrohung für die kommenden Jahre darstellt. Weder Frankreich noch Italien sind bankrott. Alle, die das Gegenteil behaupten, sind schlicht und einfach darauf aus, Aufmerksamkeit zu erregen.

Gleichzeitig stehen Rom und Paris vor völlig unterschiedlichen strukturellen Problemen: Italien hat einen Handelsbilanzüberschuss von 100 Milliarden Euro. Dies ist bei Frankreich nicht der Fall.

Darüber hinaus sind die Energiekosten für die Italiener höher als für die Franzosen. Sie haben in einem Referendum gegen Atomkraft gestimmt und sind nun vollständig von Importen abhängig. Aber trotz dieser Nachteile gelingt es Italien, sich aus der Affäre zu ziehen und in großem Umfang zu exportieren.

Die italienische Wirtschaft hat den Vorteil, dass sie sich nicht nur um makroökonomische Wachstumssektoren herum gebildet hat. Der Automobilsektor ist zum Beispiel sehr wichtig, der sich auch auf die Herstellung bestimmter Komponenten und sogar auf die Produktion von begehrten Fertigprodukten spezialisiert hat. Das ist es, was eine echte Nachfrage schafft und dafür sorgt, dass die Exporte heute steigen. Ein Handelsüberschuss entsteht, wenn sie Produkte herstellen und verkaufen, die andere nicht herstellen.

Die Ts Automobili M67 ist ein Supersportwagen, der von TS Automobili Modena in Norditalien hergestellt wird. Die italienische Region Emilia-Romagna gilt das „Motor Valley“, ein Gebiet, das eine der höchsten Konzentrationen an Luxus-Sportwagen und -Motorrädern der Welt aufweist – und auch die Heimat von Lamborghini und Ferrari, Maserati und Ducati ist. Foto: Marco Bertorello/AFP via Getty Images

Um auf den Kern Ihrer Frage zurückzukommen: Es ist interessant festzustellen, dass Frankreich in der Tat viel mehr wirtschaftliche Synergien mit Italien teilt, als allgemein angenommen wird. Aus diesem Grund ist eine große Anzahl von französischen Unternehmen in Italien vertreten. Beispielsweise wird die französische Luxusgüterindustrie zu einem großen Teil in Italien produziert. Dasselbe gilt für den Autobranche.

Frankreich ist eher im Bankensektor als im technischen Bereich führend. Gleichzeitig bietet Italien die Industrie, die Frankreich fehlt. Es gibt Komplementaritäten, die perfekt sind. Selbst bei der Größe der Unternehmen gibt es Ähnlichkeiten zwischen den beiden Ländern: Das französische Geschäftsmodell der Familie, die eine GmbH betreibt, ist dem italienischen Gesellschaftsmodell des Familienunternehmens mit drei oder vier Personen sehr ähnlich.

Ich denke, dass das italienische Modell französische Unternehmen inspirieren und ermutigen könnte, international tätig zu werden, insbesondere auf dem gemeinsamen europäischen Markt. Derzeit sind viele französische Unternehmen nicht bereit, auf europäischer Ebene zu exportieren. In Italien haben kleine Unternehmen nicht diesen Minderwertigkeitskomplex wegen ihrer Größe. Ich kenne eine ganze Reihe von Unternehmen, die nicht besonders groß sind, aber 80 Prozent ihrer Produktion exportieren.

Natürlich können diese kleinen Unternehmen nicht mit den großen Konzernen konkurrieren. Doch wenn sie ein Produkt oder eine Dienstleistung haben, an die sie fest glauben, dann sollten sie sich darauf fokussieren.

In der schwierigen Situation, in der sich auch Frankreich befindet, wo der Konsum aufgrund der Inflation und in letzter Zeit aufgrund der Angst vor einer höheren Besteuerung zurückgegangen ist, müssen die Unternehmen ihre Strategie ändern. Anstatt sich mit dem Binnenmarkt zu begnügen, müssen sie beginnen, die internationale Bühne zu betreten und Mittel für Exporte erarbeiten, um wachsen zu können.

Dieser Artikel erschien im Original auf epochtimes.fr unter dem Titel Edoardo Secchi : «Après 16 ans d’attente, l’Italie a renoué avec la croissance». (Deutsche Bearbeitung ks).



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