Digitalisierung: Wir nähern uns chinesischen Verhältnissen

China scheint für viele Politiker ein Vorbild zu sein: effizient, zentral und straff durchgeplant. Ernst Wolff warnt vor den aktuellen Entwicklungen.
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Ernst Wolff meint, dass sich der westliche digital-finanzielle Komplex (Facebook, Google, Amazon etc.) auf die Seite der Kommunistischen Partei Chinas geschlagen hat.Foto: iStock
Von 19. Dezember 2021
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„Wir haben den Turbo eingelegt in der Entwicklung hin zu chinesischen Verhältnissen“, stellt Ernst Wolff, Journalist und Autor, fest. Mit der Neuen Seidenstraße seien 60 oder 70 Länder mehr oder weniger in Abhängigkeit von China geraten. Sie imitierten nicht nur das Verhalten Chinas seit und mit den ersten Lockdowns, welche in China stattfanden.

„Die Regierungen übertreffen sich geradezu darin, selbst besonders hart zu regieren. Da ist China ganz offensichtlich das Leitbild für sehr viele Politiker“, sagt der in Südostasien aufgewachsene Autor im Gespräch mit Robert Cibis von „OVALmedia“.

Wird die ganze Welt nach dem chinesischen Modell umgebaut? Dieser Frage gingen Ernst Wolff und Robert Cibis nach. Ihr Gespräch erreichte bei YouTube nach sieben Tagen bereits über 110.000 Aufrufe. Die Antwort lautet kurz zusammengefasst: ja.

Läuft in China vieles besser, weil es schneller geht?

Ausgangspunkt ihres Gesprächs ist ein Ausschnitt aus einem Aufsatz von Prof. Herfried Münkler. Münkler war bis 2018 Professor am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität. Aus seiner Feder stammen diese beiden Absätze, die ausnahmsweise in Gänze zitiert werden sollten:

„Der Vorstellung, dass in Ostasien, zumal in China, vieles besser laufe als bei uns, weil alles schneller gehe, liegt die Idee eines Verfahrens zugrunde, bei dem politische Fragen als Verwaltungsfragen behandelt werden und so der Arena öffentlicher Diskurse und rechtlicher Einsprüche entzogen sind. Die Diktatur kommt hier nicht auf demokratischen, sondern auf verfahrenstechnischen Füßen daher, und ihr Motto lautet, dass entschieden ist, was die Verwaltung entschieden hat.“

„Diese Vorstellung sachorientierten, entpolitisierten Verwaltungshandelns ist der Wunschtraum derer, die davon ausgehen, dass sie selbst Einfluss auf die Verwaltung haben oder deren Entscheidungen sich mit ihren Interessen decken. Auch hier bestätigt sich, was im Allgemeinen gilt: Die Anhängerschaft diktatorischer Vollmachten rekrutiert sich aus denen, die sich davon Vorteile versprechen. Wenn Manager und Industrielle mit leuchtenden Augen von China sprechen, tun sie dies nicht, weil sie Kommunisten geworden wären oder die Klugheit einer Monopolpartei bei der Führung des Staates bewundern, sondern weil sie meinen, so schneller zum Zuge zu kommen.“ Aus: „Lahme Dame Demokratie“, veröffentlicht 2010 in der „Zeitschrift Internationale Politik“.

Das sei eine ganz scharfe Analyse der Lage, so Ernst Wolff, der sich als Finanzfachmann einen Namen gemacht hat. Es gebe eine zweischneidige Bewunderung für die effektive Diktatur: „Wenn China doch die Menschenrechte respektieren würde, dann fänden wir ja dort alles toll.“

Behörden haben viel Macht

Ein ähnliches Verwaltungshandeln beobachtet Ernst Wolff in Deutschland. Es sei eine Art Verordnungspolitik, eine Verwaltungspolitik, entstanden, bei dem die Verwaltung im Vordergrund steht und die politische Debatte im Hintergrund erfolgt. Hinzu kommen zwei Faktoren: die soziale Kontrolle und die immer größere Digitalisierung des Alltags.

„Wir sehen ja, dass der Parlamentarismus völlig außer Kraft gesetzt wurde, wir werden im Moment regiert von einer Art Direktorium aus Ministerpräsidenten, dem Kanzler und dem Gesundheitsminister. Das ist eine ganz kleine Gruppe, ähnlich wie in China“, meint Wolff. Er sagt:

„Wir werden drangsaliert von den Ordnungsämtern, die Behörden haben bei uns im Moment die meiste Macht. Die Ordnungsämter schreiben den kleinen Unternehmern genau vor, wie viele Kunden sie in ihren Laden lassen dürfen, was sie machen dürfen, wie viele Tische sie draußen aufstellen dürfen. Das wird im Moment auf eine unglaubliche Weise kontrolliert und das alles mit der Begründung, es geht um eure Gesundheit. Aber das ähnelt sehr den Verhältnissen in China.“

Gleichzeitig lenke man mit diesen Debatten über das gesundheitliche Thema massiv von den wirklich wichtigen Dingen ab, dazu gehört für Wolff die Abschaffung des Bargelds und die Einführung eines digitalen Zentralbankgeldes.

Es zählt nur das, was der Partei dient

In China passiere alles zugunsten der Funktionäre der Partei, wobei er das Land als eine Art Oligopol ansieht. Nach 1949 wurde die Diktatur der kommunistischen Partei errichtet. Das ging nie mit demokratischen Mitteln einher, es wurden die Methoden der kommunistischen Partei angewandt. Zwischen 1958 und 1962 wurde die Landwirtschaft kollektiviert. Anschließend wollte die kommunistische Partei die Stahlproduktion fördern, die Landwirte wurden zur Stahlproduktion zwangsverpflichtet. Das Ergebnis war minderwertiger Stahl und eine Hungersnot, bei der Menschen im zweistelligen Millionenbereich ums Leben gekommen sind. Anschließend kam es zu den Morden und Verfolgungen der Kulturrevolution.

„Mit demokratischen Mitteln hat sich die KPC nie an der Macht gehalten, sondern immer mit äußerst brutalen, diktatorischen Methoden“, führt Wolff aus. „Natürlich ist das System, was da entstanden ist, ganz anders als im Westen. Es ist absolut zentralistisch und auf die kommunistische Partei ausgerichtet.“

Obwohl immer davon geredet würde, dass das Kollektiv zählt, sei dies nicht korrekt. Das Kollektiv zähle nicht, es zählten nur die Interessen der Partei. Wer der Partei gefügig ist und sich mit ihr arrangiert, der hat auch bestimmte Rechte. Alle anderen haben weniger Rechte oder gar keine.

Auch Digitalkonzerne müssen sich Peking unterordnen

Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und Produkte hat die KP Chinas. Es sei daher ganz egal, ob jemand etwas besitze oder das Verfügungsrecht habe. Entscheidend sei, wer das Sagen hat – und das ist die Partei. Unter dieser Maßgabe sollten auch die großen Konzerne und Player Chinas an der Börse betrachtet werden.

Einerseits gebe es die globalen Konzerne wie Facebook und Google, die in China verboten sind, und andererseits ihre chinesischen Pendants wie Tencent und Alibaba. Sie gehören zu den zehn größten börsennotierten Unternehmen der Welt und entsprechen Großmächten.

Aktuell beobachtet Wolff einen Machtkampf zwischen der Kommunistischen Partei Chinas und dem chinesischen digitalen finanziellen Komplex.

Zudem hat sich offensichtlich der westliche digital-finanzielle Komplex (Facebook, Google, Amazon etc.) auf die Seite der Kommunistischen Partei geschlagen. Woran macht der Finanzexperte das fest? Für ihn war ein Vorkommnis im Mai 2021 entscheidend.

Auf dem International Finance Forum in Peking, dem chinesischen Zwilling des Weltwirtschaftsforums in Davos unter der Führung der KP Chinas, waren prominente Leute der höchsten Ebenen der internationalen Politik und Insider des Internationalen Hochfinanz aus dem Westen zu Gast. Mit dabei waren unter anderem Jean-Claude Trichet (früherer Leiter der EZB), der ehemalige EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso und der ehemalige Chef des IWF und frühere deutsche Bundespräsident Horst Köhler.

Ausgerechnet dort sagte ein chinesischer Parteifunktionär, dass die chinesische digitale Zentralbankwährung, der e-Yuan, möglicherweise mithilfe von Facebook herauskommen wird.

Es sei ein Affront gegen die chinesischen Digitalkonzerne, so Wolff, schlimmer könne man sie in der Öffentlichkeit nicht bloßstellen. Da dies zudem auch noch vor westlichen Politikern und westlichen Finanzchefs gesagt wurde, habe es gewaltiges Gewicht.

„Strukturelle Korruption“

Die Vierte Industrielle Revolution, die Digitale Revolution, sieht der Finanzfachmann kritisch. Digitalisierung dränge sich wie ein Krebsgeschwür zwischen die Menschen und sollte dringend überdacht werden. Der Griff der Digitalisierung nach allen Branchen sollte im großen Rahmen betrachtet werden.

„Wir sind an einem absoluten Wendepunkt in der Geschichte. Die Dinge, die jetzt möglich sind und die möglicherweise auch eingeführt werden, haben mit unserem Menschsein wenig zu tun“, bilanziert Ernst Wolff.

Es existiere eine unglaubliche Konzentration von Geld und Macht. BlackRock und Vanguard verwalten mittlerweile zusammen ein Vermögen von 16 Billionen US-Dollar und haben mehr Macht in ihren Händen als Regierungschefs.

Das BIP der USA liegt bei 19 Billionen, das Deutsche nicht mal bei 4 Billionen. Diese 4 Billionen werden in Deutschland von 35 Millionen Menschen erwirtschaftet. Bei BlackRock arbeiten 35.000 Mitarbeiter. „So eine riesige Macht im Hintergrund hat es in dieser Form und in dieser Gewalt noch nie gegeben.“

Die Systeme sind verschmolzen und monopolisiert, so Wolff. „Das ist dann, wenn die Pharmalobby Gesundheitsminister wird, der Goldmann Sachs Manager EZB-Chef. Der Fachbegriff dafür ist ‚strukturelle Korruption‘. Es werden also absolut gegensätzliche Interessen von der gleichen Person vertreten.“

Wo ist der Ausweg?

Grundsätzlich sei eine Digitalisierung nicht schlecht, doch Digitalisierung im Interesse von ganz Wenigen sei der Fehler.

Man sollte sich zudem wieder ins Gedächtnis rufen, was Menschsein überhaupt bedeute. Mit der digitalen Welt zu verschmelzen bedeute, dass man einen Teil seiner Selbstbestimmtheit an eine Künstliche Intelligenz abgebe. Das dürfe nach seiner Meinung nicht sein, der Mensch sei keine Homo-oeconomicus-Maschine.

Sein Fazit: „Selbstbestimmtheit ist das Wichtigste und das dürfen wir nicht abgeben, schon gar nicht an eine Künstliche Intelligenz.“

Das Gespräch wurde auf dem Kanal von OVALmedia unter dem Namen: „Narrative 71 – Ernst Wolff – Das chinesische Modell“ veröffentlicht.



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