Amadeu Antonio Stiftung stellt antisemitische Bedrohung durch Corona-Proteste fest

Die Amadeu Antonio Stiftung ist beunruhigt wegen einer Verstärkung antisemitischer Tendenzen durch die Corona-Proteste. In dieser Bewegung habe sich der Antisemitismus „in einer neuen Weise verdichtet“, sagte die Vorsitzende der Stiftung, Anetta Kahane.
Titelbild
Anetta Kahane auf der Pressekonferenz in Berlin.Foto: screenshot/youtube
Von 25. November 2020

Antisemitismus in Corona-Zeiten war das Thema einer Bundespressekonferenz am Dienstag, 24. November, in Berlin.

Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung, Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, und SPD-Vize Kevin Kühnert standen Rede und Antwort bezüglich einer „wachsende[n] Radikalisierung und die Gefahr durch Antisemitismus und die Corona-Leugner-Szene“ . Kahane selbst steht wegen ihrer Tätigkeit als Inoffizielle Mitarbeiterin (IM) der DDR-Staatssicherheit in der Kritik.

Anlass der Pressekonferenz war der Auftritt einer jungen Frau am Samstag, 21. November, die sich auf einer „Querdenken“-Bühne in Hannover als „Jana aus Kassel“ vorstellte und sagte: „Ich fühle mich wie Sophie Scholl, da ich seit Monaten aktiv im Widerstand bin, Reden halte, auf Demos gehe, Flyer verteile und auch seit gestern Versammlungen anmelde.“

Sophie Scholl und ihr Bruder Hans Scholl gehörten zur Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Sie wurden 1943 wegen ihres Widerstandes gegen den Nationalsozialismus hingerichtet. Eine Woche zuvor hatte eine Elfjährige auf einer „Querdenken“-Bühne in Karlsruhe die Tatsache, dass sie ihren Geburtstag nicht wie gewohnt feiern konnte, mit dem Schicksal von Anne Frank in Beziehung gesetzt, die sich in einem Hinterhaus in Amsterdam vor den Nazis versteckte und später im Konzentrationslager Bergen-Belsen ums Leben kam.

Kahane sagte auf der gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin, ihre Stiftung befasse sich seit vielen Jahren mit verschiedenen Formen des Antisemitismus – etwa im Linksextremismus, im Rechtsextremismus und im Islamismus. „Dieses Jahr allerdings hat sich etwas verändert“, sagte sie. Es gebe eine „Eskalation, eine Verdichtung und eine Bedrohung durch die Corona-Proteste“. Daher sei „demnächst“ damit zu rechnen, dass wieder „der offene, gerade, direkte Antisemitismus“ ausbreche.

Weiter führte sie zu Beginn aus, dass zu den altbekannten Formen des Antisemitismus nun auch die Verschwörungsideologien hinzugekommen seien. Verschwörungsideologien habe es schon immer gegeben, aber jetzt in Corona-Zeiten hat das eine „unglaubliche Konjunktur bekommen“.

Verschwörungstheorien haben „antisemitisches Betriebssystem“

Verschwörungsideologien hätten immer ein „antisemitisches Betriebssystem“, erklärt sie, weil der Antisemitismus selbst die älteste Verschwörungstheorie überhaupt sei, die behauptet, dass „die Juden irgendwelche bösen Absichten haben und immer hinter allem Bösen und Schlechten in der Welt stecken“. Deswegen seien Verschwörungsideologien immer auch antisemitisch, selbst dann, wenn sie sich mit Bill Gates und anderen beschäftigten.

Laut Kahane hätten die Coronaproteste nun etwas geschafft, was vorher so nicht möglich zu sein schien, nämlich „verschiedenste Milieus aus der bürgerlichen Mitte zusammenzubringen, die sich in einer geradezu irrationalen Form auflehnen gegen die Errungenschaften der Moderne, gegen die Vernunft und das was nötig ist in Corona-Zeiten“.

Deutschland sei Spitzenreiter der Anti-Corona-Proteste. Die deutsche Bevölkerung scheine sich mit der Corona-Pandemie auf seltsame Weise auseinanderzusetzen, wo man abwechselnd einen Schuldigen suche und diesen wahlweise in Bill Gates oder Frau Merkel oder Soros fände.

Kahane führte weiter aus, dass die „Radikalisierung der Proteste bemerkenswert“ sei. Dabei spiele die AfD auch eine Rolle. Es seien immer mehr gewalttätige Übergriffe zu verzeichnen und das antisemitische Motiv mache sehr anschlussfähig zwischen den verschiedenen Milieus.

Frage man die jüdische Gemeinschaft, so habe diese schon immer „gewisse Vorbehalte gehabt gegen bestimmte Milieus, die sich mehr mit der Natur und dem Urständigen und Bodenständigen beschäftigen, als mit der Wissenschaft und der modernen Gesellschaft“, so die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung.

Kahane kritisierte auch die Verwendung von Davidsternen durch Teilnehmer der Proteste sowie die teils geäußerten Selbstvergleiche mit Opfern des Nationalsozialismus wie Anne Frank oder der Widerstandskämpferin Sophie Scholl. Es handele sich hier um „eine zynische Verdrehung“.

Esoteriker, Heilpraktiker, Friedensbewegte, Reichsbürger und Rechtsextreme vereint im Judenhass

Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein verurteilte auf der gemeinsamen Pressekonferenz die Selbstdarstellung von Corona-Demonstranten als Opfer ähnlich der Juden zu Zeiten des NS-Regimes. Hier würden der Nationalsozialismus verharmlost, dessen tatsächliche Opfer verhöhnt und die Erinnerungskultur erodiert, warnte er.

Klein kritisierte im Vorfeld die Gleichsetzungen der „Querdenken“-Bewegung von aktuellen Corona-Beschränkungen mit der Verfolgung von Juden während des Nationalsozialismus. „Die zunehmenden Vergleiche von Protestierenden gegen die Corona-Maßnahmen mit Opfern des Nationalsozialismus verhöhnen die tatsächlichen Opfer und relativieren die Schoah“, sagte er dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. Die jüngsten Vorgänge in Hannover und Karlsruhe zeigten vielmehr, wie wichtig Bildung sei. „Wer über Anne Frank und Sophie Scholl gut Bescheid weiß, wird kaum solch krude Verharmlosungen äußern.“

In Deutschland sei der Judenhass „im Zuge der Corona-Pandemie weiter angestiegen“, sagte Klein. Entsprechende Äußerungen seien „in vielen Kreisen wieder gesellschaftsfähig geworden“ und verbänden politische Milieus, die bisher „wenig oder gar keine Berührungspunkte“ gehabt hätten. Beispielhaft nannte Klein unter anderem Esoteriker, Heilpraktiker, Friedensbewegte, Reichsbürger und offen Rechtsextreme. „Das ist wirklich neu.“

„Wir, die demokratische Mehrheit, müssen heute lauter werden“, forderte Klein. Jeder Einzelne müsse sich gegen Radikalisierung einsetzen, egal ob im Internet, in der Nachbarschaft oder auf dem Schulhof.

Verhalten der Polizei bei ersten Corona-Demos war „geradezu lächerlich“

Von staatlicher Seite sei „eine gute Mischung aus Repression und Prävention“ nötig, fügte Klein hinzu. So sei es wichtig, „dass der Verfassungsschutz tätig wird“ und sich mit der Protestbewegung näher befasse. Im Bereich Prävention forderte er unter anderem, den Umgang mit Antisemitismus zum „verbindlichen Bestandteil“ der Lehrerausbildung zu machen.

Auch Kahane sprach sich für mehr Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes für die Problematik und eine bessere Lehrerausbildung sowie bessere Bildung der Polizei aus. Sie kritisierte die Polizei, deren Verhalten insbesondere bei den ersten Corona-Demonstrationen „geradezu lächerlich“ gewesen sei. Dies ändere sich inzwischen „ein kleines bisschen“, das Vorgehen sei aber weiter inkonsistent.

„Wir müssen massiv in Prävention, Forschung und Aufklärungsarbeit investieren“, verlangte auch SPD-Vize Kevin Kühnert auf der Pressekonferenz. In diesem Zusammenhang führte er das kommende Weihnachtsfest an. Was das betrifft, so gebe es viele Menschen, die sich Sorgen machten, zu den Festtagen auf Verwandte zu treffen, „die in den letzten Monaten ein paar merkwürdige Abbiegungen genommen haben“.

Diesen Menschen fehle es an Kompetenzen und Strategien im Umgang mit denjenigen in ihrer Familie, die sie „ins Herz geschlossen haben“ und denen sie „gerne helfen möchten, aus diesem Strudel herauszukommen“. Aber sie wüssten nicht, wie sie dem begegnen sollten, so Kühnert.  Auch Mitarbeiter im Gesundheitswesen und in der öffentlichen Verwaltung seien von solchen Problemen betroffen. Er bekräftigte dabei die Forderung seiner Partei nach einem Demokratiefördergesetz. (mit Material von afp)

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