WHO lobt China – und will Covid-19 nicht zur Pandemie erklären – warum?

Die Wuhan-Lungenseuche hat sich in nur drei Monaten auf über hundert Länder auf der ganzen Welt ausgebreitet. Die WHO weigert sich dennoch, die Situation als Pandemie zu bezeichnen – nur warum?
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Die Wuhan-Lungenseuche hat sich in nur drei Monaten auf Hunderte von Ländern auf der ganzen Welt ausgebreitet. Illustration: Ca-ssis / iStock
Von 9. März 2020

Angesichts der drastischen Ausbreitung der Wuhan-Lungenkrankheit in Italien, Iran, Südkorea, den USA und anderswo, ist es für viele Wissenschaftler klar, dass sich die Welt in den Fängen einer Pandemie befindet – es ist ein ernsthafter globaler Ausbruch einer Seuche.

WHO weigert sich, die Lage als Pandemie zu bezeichnen

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich bisher geweigert, die Krise als solche zu beschreiben. Die Begründung sei, dass das Wort „Pandemie“ die Welt weiter erschrecken könnte. Das könnte dazu führen, dass einige Länder die Hoffnung verlieren, das Virus eindämmen zu können, schreibt The Associated Press (AP).

„Wenn wir davon nicht überzeugt sind, dass sie [die Ausbreitung] unkontrollierbar ist, warum sollten wir sie dann eine Pandemie nennen?“, fragte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus letzte Woche.

Die UN-Gesundheitsbehörde hat eine Pandemie zuvor als eine Situation beschrieben, in der ein neues Virus „anhaltende Ausbrüche auf Gemeindeebene“ in mindestens zwei Weltregionen verursacht.

Viele Experten sagen, dass die Schwelle längst erreicht ist. SARS-CoV-2, welches zuerst in China identifiziert wurde, breitet sich derzeit in vier Regionen frei aus, es hat jeden Kontinent – außer der Antarktis – erreicht. Sein Vordringen scheint unvermeidlich. Die Lungenkrankheit, die offiziell Covid-19 heißt, hat es geschafft, selbst in Ländern mit relativ starken öffentlichen Gesundheitssystemen Fuß zu fassen und sich schnell zu verbreiten, so AP weiter.

Am 6. März erreichte das Virus einen neuen Höhepunkt und infizierte weltweit mehr als 100.000 Menschen. Das sind weit mehr, als an SARS, MERS oder Ebola in den letzten Jahren erkrankten.

„Offensichtlich befinden wir uns in einer Pandemie und ich weiß nicht, warum sich die WHO dagegen wehrt“, zitiert AP den Direktor des Zentrums für Forschung und Politik im Bereich der Infektionskrankheiten an der Universität von Minnesota, Michael Osterholm.

20 Millionen US-Dollar Spende aus China

Peking hat am 8.3. beschlossen, der Weltgesundheitsorganisation 20 Millionen US-Dollar zur Unterstützung der internationalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des neuartigen Coronavirus-Ausbruchs zu spenden.

Die Central News Agency (CNA, Taiwan) berichtete, dass WHO-Direktor Ghebreyesus bei der Bewertung der Epidemie recht zurückhaltend sei, der Kommunistischen Partei Chinas jedoch ausdrücklich für „ihre Spende dankte“.

Er schrieb am 8. März auf Twitter: „Gute Nachrichten aus China: Sie werden der WHO 20 Millionen US-Dollar zur Bekämpfung der globalen Coronavirus-Epidemie spenden. Ich bedanke mich aufrichtig beim Botschafter Chen Xu, der diese gute Nachricht vom Vorsitzenden Xi Jinping an uns weitergeleitet hat. Ich danke auch der chinesischen Regierung und dem chinesischen Volk.“

Experten räumen ein, dass die Erklärung einer Pandemie politisch brisant ist. Sie könnte die Finanzmärkte erschüttern und zu noch drastischeren Reise- und Handelsbeschränkungen führen. Auch zu bedenken ist, dass die Verkündung der Pandemie die Menschen aus den betroffenen Regionen stigmatisieren kann.

Die WHO wurde früher kritisiert, weil sie den Ausbruch der Schweinegrippe 2009 als Pandemie bezeichnet hatte.

Experten erklären jedoch auch, dass die Bezeichnung als Pandemie die Länder auch dazu anspornen könnte, sich auf die mögliche Ankunft des Virus vorzubereiten.

Trotz früher Vorkehrungen „wurden wir von der Krankheit völlig überrascht“

AP berichtet, dass die WHO das Virus bereits Ende Januar zu einem „globalen Gesundheitsnotstand“ erklärt hatte. Das rief Länder und humanitäre Organisationen auf den Plan. Die WHO gab auch eine Reihe von Empfehlungen zur Eindämmung der Verbreitung des Virus heraus.

Auch in den Ländern, die ihre Verbindungen zu China zügig unterbrochen haben, hat sich die Lungenseuche eingeschlichen. Innerhalb weniger Wochen gingen die Beamten in Italien, Iran und Südkorea von der Meldung einzelner neuer Fälle zu hunderten Erkrankten über.

„Wir waren das erste Land, das Flüge nach China stoppte, und wir waren von dieser Krankheit völlig überrascht“, zitiert AP Massimo Galli, Professor für Infektionskrankheiten an der Universität Mailand. „Es ist für die ganze Welt gefährlich, dass sich das Virus so im Untergrund verbreiten kann.“

Der Ausbruch erfüllt alle Definitionen einer Pandemie

Devi Sridhar, Professorin für globale öffentliche Gesundheit an der Universität Edinburgh, die mit anderen gemeinsam eine Überprüfung der WHO-Reaktion auf den Ebola-Ausbruch 2014-16 in Westafrika leitete, sagte, eine Pandemie-Erklärung sei längst überfällig.

Dieser Ausbruch erfüllt alle Definitionen einer Pandemie, die wir vor dem Coronavirus hatten“, sagte sie.

Auf einer Pressekonferenz im vergangenen Monat erklärte Dr. Mike Ryan, Chef der WHO für Notfälle, dass eine Pandemie „eine einzigartige Situation ist, in der wir glauben, dass alle Bürgerinnen und Bürger auf dem Planeten“ wahrscheinlich „innerhalb einer bestimmten Zeitspanne“ einem Virus ausgesetzt sein werden.

Mehrere Experten sagten, sie hätten diese Definition nicht gehört. Die U.S. CDC (Centers for Disease Control and Prevention, Zentralstelle für Krankheitskontrolle und -verhütung) definiert ihrerseits eine Pandemie als „eine Epidemie, die sich über mehrere Länder oder Kontinente ausgebreitet hat und normalerweise eine große Anzahl von Menschen betrifft“.

WHO-Generalsekretär Tedros erntet Spott

Seit dem Ausbruch der Wuhan-Lungenkrankheit Covid-19 wurde der WHO eine pro-chinesische Haltung vorgeworfen. Kürzlich gaben Internetnutzer bekannt, dass Thailands Vertreter auf der 146. Sitzung des Exekutivkomitees mit dem WHO-Direktor in einem spottenden Ton gesprochen habe und die Vertreter anderer Länder daraufhin lachten.

Am 7. März übersetzten einige Internetnutzer den Inhalt dieses Treffens und veröffentlichten das Video auf Facebook. Das Video zeigt, dass der thailändische Vertreter, Dr. Suwit Wibulpolprasert, zu Beginn seiner Rede sagte: „Der Herr Vorsitzende ignoriert das Reiseverbot nach China. Der Generalsekretär der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, war gerade in Peking und sitzt jetzt wieder hier bei einem Treffen. Alle Anwesenden sind in Gefahr, infiziert zu werden.“

Er fuhr fort: „Aber wir müssen die Welt immer noch davon abhalten, unnötige Panik zu erzeugen. Wir müssen das Vertrauen in die WHO wieder aufbauen! Ich schlage vor, dass wir uns sofort in China treffen, insbesondere in Wuhan. Es ist die beste Zeit, jetzt die 2000 Jahre alte Kranichpagode zu besuchen. Oder wir fahren nach Peking, jetzt sind die Chinesische Mauer und die Verbotene Stadt leer und billig!“ [Anm. d. Red.: Die Kranichpagode ist eine berühmte Sehenswürdigkeit in Wuhan] 

Während der Rede von Dr. Suwit lächelte der indische Vertreter, der auf dem Sitz vor ihm saß. Die Vertreter anderer Länder lachten ebenfalls von Zeit zu Zeit. Nach seiner Rede erhielt er starken Applaus. Das Video wurde mittlerweile von den verschiedenen Internetplattformen entfernt.

Pandemie ist „sehr real“ geworden

„Es ist sicherlich beunruhigend, dass so viele Menschen und Länder so schnell betroffen sind. Jetzt, da das Virus in so vielen Ländern Fuß gefasst hat, ist die Gefahr einer Pandemie sehr real geworden“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus am Montag (9.3.) in Genf.

Wenn es zu einer Coronavirus-Pandemie kommen sollte, sei diese aber die „erste Pandemie in der Geschichte, die kontrolliert werden kann“, sagte Tedros. „Wir sind diesem Virus nicht ausgeliefert.“

Der Generalsekretär erklärte weiter: „Die Grundregel des Spiels ist: Niemals aufgeben“ und lobte die „aggressive Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie“ in Italien. „Wir hoffen, dass sich diese Maßnahmen in den kommenden Tagen als wirksam erweisen.“



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