Vorgeschmack auf Peking 2008
Beim Anpfiff des Länderspiels Deutschland – China im AOL-Stadion in Hamburg hängt eine kleine Tibetfahne in der Nähe des deutschen Tores. Unterstützung oder Protest für das chinesische Team? Die Fahne muss entfernt werden.
In einem anderen Abschnitt des Stadions schauen 22 junge Tibeter, die extra aus der Schweiz angereist sind, dem Spiel zu. In ihrer Nähe halten auch diverse Chinesen in den offiziellen roten Ordnerjacken die Augen offen, aber sie schauen eher in das Publikum. Besonders die Tibeter haben sie im Blick, denn nichts Unerwünschtes, kein Protest darf die Fernsehbilder stören, die auch nach China gehen: Aktion „sauberer Bildschirm“. Und mit Menschenrechts-Protesten ist immer zu rechnen, wenn China einen Auftritt in westlichen Ländern hat. Denn die Menschenrechte werden in China noch immer mit Füssen getreten. Die Ordner wiederum sind Teil des chinesischen KP-Systems „alles kontrollieren“, selbst in einem deutschen Fußballstadion. Warum wären sie dort, wenn nicht auf Druck der Chinesen?
Tibet gehört nach chinesischer Lesart zu China, es wurde seit 1959 Schritt für Schritt der Volksrepublik einverleibt und hat kein Recht mehr, seine Nationalflagge mit der aufgehenden Sonne und dem Löwen zu zeigen. Der derzeitige Staatspräsident Chinas, Hu Jintao, hat sich in diesem gewaltsamen Einverleibungsprozess den Namen „Schlächter von Tibet“ erworben. Das buddhistisch-geprägte, friedlich gesinnte Land kämpft seitdem mit gewaltlosen Mitteln der Aufklärung für die Rückgewinnung seiner staatlichen Autonomie und für die Rückkehr des Dalai Lamas als legitimes Staats- und Religionsoberhaupt.
Die chinesischen Ordner können es noch dulden, wenn sich ein älteres Ehepaar demonstrativ eine von der Tibet-Gruppe ausgeliehene Tibet-Fahne um die Schultern legt. Aber dann, in der 89. Minute des Spiels, weisen sie ihre deutschen Kollegen mit heftigen Gesten darauf hin, dass in der Tibet-Gruppe drei tibetische Nationalfahnen und mehrere kleinere Banner mit der Aufschrift: „Free Tibet“ hoch gehalten werden.
Deutsches Sicherheitspersonal und Polizei greifen harsch ein. Entweder die Fahnen oder deren Träger sollen verschwinden. Hier herrscht DFB-Hausrecht. Später darf die Gruppe die Fahnen und Banner vor dem Stadion zeigen, aber ohne Protestrufe, unter dem Schutz der deutschen Polizei.
Eine Episode am Rande? Man kann sich fragen, was hat die Tibetfrage beim Sport zu suchen? Man kann sich aber auch fragen, was hat China in Tibet zu suchen? Die Fahnen sind ein friedlicher Appell der Gruppe „2008 – Free Tibet“, mit dem die Achtung der Menschenrechte im Vorfeld der Olympiade 2008 in Peking eingefordert werden soll. Schon im Sept. 2003 berichtete China-Korrespondent Harald Maass im Tagesspiegel über einen internen Lehrfilm, der chinesischen Polizisten zeigt, wie man westliche Journalisten während der Olympiade 2008 daran hindert, sich für unliebsame Themen zu interessieren oder zu recherchieren. Solche „Abwege“ sind dann als „illegale Berichterstattung“ einzustufen, und solche Berichterstatter zumindest durch einen Zwangsbesuch auf der Polizeiwache einzuschüchtern.
Der olympische Gedanke, der die Würde des Menschen betont, ist in China nicht gefragt. Und beim NOK (Nationales Olympisches Komitee) in Frankfurt? Auf Zusendung des Artikels über den Polizeilehrfilm herrschte Schweigen. Dass der Präsident des Olympischen Komitees von Peking, Liu Qi, in damaligen Funktion als Bürgermeister von Chinas Hauptstadt in großem Umfang bei der Verfolgung von Falun Gong die Menschenrechte verletzte und ihm schon auf seinem Weg zur Winterolympiade 2002 in San Francisco eine diesbezügliche Anklageschrift überreicht wurde, interessierte die Organisatoren anscheinend auch nicht.
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