Sonntagsgeschichte: Warum das Meerwasser salzig ist

Es war einmal ein lieber, braver Junge, der hatte weiter nichts auf Erden als eine alte, blinde Großmutter und ein reines Gewissen. Als er nun aus der Schule war, wurde er Schiffsjunge ...
Titelbild
Zeit für ein Buch mit alten Märchen und Sagen.Foto: iStock
Epoch Times25. Oktober 2020

… und sollte seine erste Reise antreten. Da sah er, wie alle seine neuen Kameraden mit barem Gelde großtaten, während er nichts hatte, auch nicht den geringsten Heller. Darüber war er sehr traurig, und er klagte seinen Kummer der Großmutter.

Die besann sich erst ein wenig, dann humpelte sie in ihre Kammer, holte eine kleine alte Mühle heraus, schenkte sie dem Knaben und sprach: „Wenn du zu dieser Mühle sagst:

‚Mühle, Mühle, mahle mir
Die und die Sachen gleich allhier!‘

so mahlt sie dir, was du begehrst; und wenn du sprichst:

‚Mühle, Mühle, stehe still,
Weil ich nichts mehr haben will!‘

so hört sie auf zu mahlen. Sag aber niemand etwas davon, sonst ist es dein Unglück!“ Der Junge bedankte sich, nahm Abschied und ging aufs Schiff. Als nun wieder die Kameraden mit ihrem Gelde großtaten, stellte er sich mit seiner Mühle in einen abgelegenen Winkel und sprach:

„Mühle, Mühle, mahle mir
Rote Dukaten gleich allhierl“

da mahlte die Mühle lauter rote Dukaten, die fielen klingend in seine lederne Mütze. Und als die Mütze voll war, sprach er nur:

„Mühle, Mühle, stehe still,
Weil ich nichts mehr haben will!“

da hörte sie gleich auf zu mahlen. Nun war er von allen Kameraden der reichste; wenn es ihnen aber einmal an Nahrung fehlte, was öfter vorkam, weil der Schiffshauptmann sehr geizig war, nahm er nur seine Mühle und sprach:

„Mühle, Mühle, mahle mir
Frische Semmeln gleich allhier!“

so mahlte sie so lange, bis er das andere Wort sagte; und was er auch sonst noch begehrte, alles mahlte die kleine Mühle. Oft fragten ihn die Kameraden wohl, woher er alle die schönen Sachen bekomme, aber er sagte es ihnen nicht, und da er alles immer redlich mit ihnen teilte, so drangen sie auch nicht weiter in ihn.

Es dauerte aber nicht lange, so bekam der böse Schiffshauptmann Wind davon, und das war Wasser auf seine Mühle. Eines Abends rief er den Schiffsjungen in seine Kajüte und sprach: „Hole mir deine Mühle und mahle mir junge Hühner!“ Der Knabe ging und holte einen Korb voll junger Hühner. Damit war jedoch der gottlose Mensch nicht zufrieden: er schlug vielmehr den armen Jungen so lange, bis er ihm die Mühle holte und ihm sagte, was er sprechen müßte, wenn sie mahlen sollte.

Den ändern Spruch aber, den man sprechen mußte, wenn sie aufhören sollte, lehrte er ihn nicht, und der Schiffshauptmann dachte auch nicht daran, ihn danach zu fragen. Als der Junge dann einmal allein auf dem Verdeck stand, ging der Hauptmann hin und stieß ihn in das Meer; er sagte, er sei verunglückt und glaubte, damit sei die Sache abgetan. Hierauf ging er in die Kajüte, um zu essen, und da es gerade an Salz fehlte, nahm er die kleine Mühle und sagte:

„Mühle, Mühle, mahle mir
Weiße Salzkörner gleich allhier!“

da mahlte sie lauter weiße Salzkörner. Als aber der Napf voll war, sprach der Schiffshauptmann: „Nun ist’s genug!“ Doch sie mahlte immerzu, und er mochte sagen, was er wollte, sie mahlte immerzu, bis die ganze Kajüte voll war. Da faßte er die Mühle an, um sie über Bord zu werfen, erhielt aber einen solchen Schlag, daß er wie betäubt zu Boden fiel.

Und sie mahlte immerzu, bis das ganze Schiff voll war und zu sinken begann. Zuletzt faßte der Schiffshauptmann sein scharf es Schwert und hieb die Mühle in lauter kleine Stücke. Aber siehe, aus jedem kleinen Stück wurde wieder eine kleine Mühle, geradeso, wie die alte gewesen war, und alle Mühlen mahlten lauter weiße Salzkörner.

Da war es bald um das Schiff geschehen: es sank unter mit Mann und Maus und allen Mühlen. Diese mahlen nun unten auf dem Grunde des Meeres noch immer Salzkörner, und wenn du ihnen auch den rechten Spruch zuriefest, sie liegen so tief, daß sie es nicht hören würden. Siehst du, deshalb ist das Meerwasser so salzig.

Nach alten Quellen berichtet von Oskar Ebermann, „Sagen der Technik“, o. J., S. 50



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