Pekings gefährliche Mischung aus Kommunismus und Kapitalismus – und wie dies die EU beeinflusst

Experten und Journalisten beobachten europaweit, wie Peking zusehends seinen Einfluss im Westen erweitert. Sei es im Rahmen der „Neuen Seidenstraße“ oder eines Versprechens der „freien Wirtschaft“ mit einem Beigeschmack der Überwachung. Besonders gefährlich sei es dann, wenn westliche Regierungschefs Chinas Vorbild nacheifern.
Von 27. Mai 2021

Im Gespräch mit „Cicero“ stellt der Schweizer Journalist Frank A. Meyer mit wenigen Worten das Problem mit China dar: die Mischung aus Kommunismus und Kapitalismus. Der Westen habe sich von Peking abhängig gemacht und dies sei „gefährlich“.

Meyer bejaht die Frage, dass China die frühere Rolle der Sowjetunion übernommen hat – als „Systemgegner des Westens“. „Allerdings ist das natürlich ganz anders geartet“, so Meyer, denn obwohl die Sowjetunion ein aggressiver Gegner war, wirtschaftlich gesehen konnte sie nicht mithalten und sei „nicht stark“ gewesen. China sei hingegen eine „ganz aggressive Nation, offensiv aggressiv, und gleichzeitig wirtschaftlich stark“.

Daher sei die Entwicklung „gefährlich“, dass sich der Westen wirtschaftlich so abhängig von China gemacht hat. „Insbesondere Deutschland hat sich China eigentlich ausgeliefert“, so Meyer.

Auch in der Schweiz sei es nicht anders, „wo Geld zu verdienen ist, ist die Schweiz dabei“. Menschenrechte würden nicht mehr gelten, „das nimmt man so ein bisschen mit“, sie seien nur die Fußnoten der Diplomatie, so Meyer weiter.

Die EU-Kommission hat sieben Jahre lang an einem Investitionsabkommen mit China gearbeitet und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dazu maßgeblich beigetragen. Das hätte man aus vielerlei Gründen „verweigern“ können, so der Kolumnist. 

„Großmacht“-Status unangemessen

Die Frage, ob der Westen dem „uralten und großen Land, einen Status als Großmacht“ einräumen sollte, verneint der Schweizer Publizist.

„Das Beschwören des alten China“ halte er für überholt, denn „wir haben es mit etwas zu tun, was westlich ist: der Kommunismus“. Dieser habe sich aus einer westlichen Ideologie entwickelt, es war „eine Perversion des westlichen aufklärerischen Denkens“. „Und das hat mit Konfuzius aber gar nichts zu tun“, so Meyer.

„China ist die modernste, völlig totalitäre Diktatur, denn die Bürger werden zunehmend und planmäßig digital überwacht, wo sie sind“, wobei ihr Verhalten belohnt oder bestraft wird. Meyer bezeichnet die Unterdrückung der Uiguren als „stalinistisch“, wo es Lager und Umerziehung gibt, „das kennt man vom Gulag“.

Bei dem China-Taiwan-Konflikt sieht der Experte einen „kalten Krieg, der eigentlich schon da“ sei, und „Biden [Anm. d. Red.: Joe Biden, US-Präsident] ist auf dem Weg dazu“. 

Das Problem sehe er darin, dass manche das chinesische System „toll“ finden, wo „das Volk unterdrückt, aber der Kapitalismus quasi frei ist“.

Nach Ansicht des Kolumnisten kollaboriert Viktor Orbán, Ungarns Regierungschef, mit „den Chinesen auf ganz fatale Weise“ genau deswegen, weil er dieses System „im Kopf“ habe. Peking versuche die EU zu spalten, ebenso die „neoliberalen amerikanischen Kräfte“, die das derzeitige System in China als Zukunftsmodell ansehen.

Auf der einen Seite wird das Volk unterdrückt, auf der anderen Seite ist die Wirtschaft frei – „wunderbar“, fügt Meyer ironisch hinzu. „Wir können Geld verdienen und die Leute tun, was man ihnen befiehlt“. Das sei das „System China“ und es gebe nur mit einer „Gegenaggression“ dagegen.

Desinformation und Infiltration in Italien

Ein Beispiel, wie Europa das „System China“ vorantreibt und fördert, ist die „One Belt, One Road“-Initiative. Peking ist mit diesem Megaprojekt in Europa vorgedrungen und bietet wirtschaftliche Reize, die viele Länder nicht ablehnen mögen. Die Initiative wird in den europäischen Medien als ein gigantisches Infrastrukturprojekt dargestellt.

Es ist eine Handelsroute, vor allem Seehandelsroute, die von Asien aus nach Europa und Afrika gebaut wird. Die sogenannte „Neue Seidenstraße“ bereichert auch die jeweiligen Arbeitsmärkte – 140 Länder nehmen mittlerweile daran teil, darunter 18 Länder der Europäischen Union. Italien gehört auch dazu.

Experten beobachten das Projekt mit zunehmender Sorge. Massimo Introvigne, Religionswissenschaftler aus Italien, analysiert die Beziehungen zwischen China und Italien und sieht, dass Peking vor allem in der Corona-Pandemie seine Einflüsse in Südeuropa ausnutzt – und zwar im Rahmen der „Belt and Road“-Initiative. 

Die Internationale Journalisten Föderation (IFJ) hat kürzlich einen Bericht veröffentlicht mit dem Thema: „The COVID-19 Story: Unmasking China´s Global Strategy“ (zu Deutsch: „Die COVID-19-Geschichte: Die Entlarvung von Chinas globaler Strategie“).

Der Bericht erwähnt, dass die italienischen „Belt and Road“-Vereinbarungen „Absichtserklärungen zwischen der China Media Group und einer Reihe von italienischen Sendern, einschließlich RAI und [den privaten] Mediaset-Sendern“, beinhalteten. 

Italiens staatliche Nachrichtenagentur „ANSA“ unterzeichnete ein Abkommen mit Chinas staatlicher Medienagentur Xinhua, um den „Xinhua Italian Service“ zu starten. Sie haben vereinbart, dass täglich fünfzig Nachrichten von Xinhua auf „ANSA“ erscheinen.

Xinhua hat dabei die komplette redaktionelle Verantwortung für den Inhalt übernommen, während „ANSA“ nur als Vertriebsinstrument dienen sollte. Introvigne vermutet, dass die „ANSA“ letztlich einfach das weitergibt, was die Chinesen ihr zuführen.

Es wurden auch Dokumentarfilme aus China ausgestrahlt. Manche Inhalte waren direkt auf die italienischen Zuschauer zugeschnitten und wurden kostenlos angeboten. „Sie baten uns, der Neujahrsansprache von Präsident Xi Jinping mehr Platz zu geben. Sie gaben sie uns umsonst, direkt ins Italienische übersetzt. Und wir haben sie ausgestrahlt“, zitiert der Bericht der Journalisten-Föderation einen italienischen Reporter.

Italien, als eines der ersten Opfer des Covid-19-Ausbruchs, war 2020 das Ziel einer aggressiven chinesischen Desinformationskampagne, analysiert der Bericht weiter. In den sozialen Medien kursierten Videos, die angeblich Italiener auf ihren Balkonen zeigen, die der chinesischen COVID-Hilfe applaudieren, während im Hintergrund die chinesische Nationalhymne gesungen wird. 

Das Filmmaterial war gefälscht und hatte ursprünglich Italiener gezeigt, die ihren eigenen medizinischen Helfern applaudierten. Italiens parlamentarischer Sicherheitsausschuss bezeichnete den COVID-Ausbruch als „Info-Demie“, bei der Fake News und Gerüchte schneller zirkulierten als tatsächliche Informationen über das Virus. Einige davon waren gefährlich ungenau.

„Wir haben aus China gehört, dass es keinen Sinn macht, sich die Hände zu waschen“, kommentierte ein Reporter. In Chinas „Global Times“ wurde versucht, Italien für das neue Coronavirus verantwortlich zu machen: „Sie versuchten zu sagen, dass das Virus in Wirklichkeit in Italien geboren wurde. Das war einfach nur haarsträubend, eine Fake News“, sagte ein Journalist. 

Zusammenfassend beobachteten italienische Journalisten, dass nach der ersten Corona-Welle massives Werben seitens der Kommunistischen Partei Chinas stattfand. Dazu gehörten Annäherungen chinesischer Beamter und zum ersten Mal auch chinesische Medien, die kostenlos auf den italienischen Markt zugeschnittene Inhalte anboten. 

„Keines dieser Angebote wurde jemals angenommen, aber wir waren davon beeindruckt“, zitiert der Bericht einen Reporter. „Es passierte oft zur gleichen Zeit, als andere Nachrichten veröffentlicht wurden, die China in ein schlechtes Licht stellten, wie sie mit der Covid-Situation umgegangen waren.“ Die negative Berichterstattung sollte mit positiven Nachrichten „ausgeglichen“ werden, so der Bericht.

„Als sich die Pandemie auszubreiten begann,“ schlussfolgern die Autoren des Berichts, „nutzte Peking seine Medieninfrastruktur weltweit, um positive Narrative über China in den nationalen Medien zu säen, aber auch neuere Taktiken wie Desinformation zu mobilisieren.“

Frank A. Meyer ist Kolumnist bei „Cicero“. Der Schweizer Journalist ist gleichzeitig Berater vom Medienkonzern „Ringier“. 2014 wurde er mit dem Zürcher Journalistenpreis ausgezeichnet, 2018 erhielt er das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland.

Massimo Introvigne ist ein italienischer Religionswissenschaftler. Er ist Gründer und geschäftsführender Direktor des Center for Studies on New Religions (CESNUR), einem internationalen Netzwerk von Wissenschaftlern, die neue religiöse Bewegungen untersuchen. Introvigne ist Autor von etwa 70 Büchern und mehr als 100 Artikeln auf dem Gebiet der Religionssoziologie.



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