Menschenrechtsanwalt Gao Zhisheng in China: „Ich werde für das Lebensrecht meiner Familie kämpfen.“

Gaos erstes Telefongespräch nach acht Monaten Haft und Folter mit Menschenrechts-Aktivist Hu Jia
Titelbild
Anwalt Gao Zhisheng mit seiner Familie, vor seiner Verhaftung. (Foto: NTDTV)
Von 14. April 2007

Mit der Hilfe von Hu Jia, einem Menschenrechtsaktivisten aus Peking, war es nach langer Zeit wieder möglich, Nachrichten von dem bekannten chinesischen Menschenrechtsanwalt Gao Zhisheng zu erhalten.

Gao wurde am 15. August 2006 heimlich entführt und verhaftet, nachdem er vorher monatelang auf Schritt und Tritt von einem Cordon von Geheimagenten verfolgt und schikaniert worden war. Chinas kommunistisches Regime blockierte seit seiner Festnahme alle Versuche, mit ihm oder seiner Familie Kontakt aufzunehmen. Jeder, der seine Familie besuchen wollte, wurde verwarnt, bedroht oder überwacht und erhielt keine Erlaubnis für einen Besuch. Die einzigen Informationen über Gao kamen von Hu Jia, der selbst ununterbrochen unter Überwachung steht.

Am 6. April um 13.25 Uhr gelang es dem zu dem Zeitpunkt wieder „freigelassenen“ Anwalt Gao, seinen Freund Hu Jia anzurufen. Dieser veröffentlichte den Inhalt des Gesprächs umgehend, um alle Interessierten über die bedenkliche Situation von Gao und seiner Familie zu informieren.

In dem Gespräch berichtete Gao von der brutalen Behandlung während seiner Haft: Foltermethoden, Gehirnwäsche, Bedrohungen, Beleidigungen und Schikanen gegenüber seiner Familie gehörten zum täglichen Programm.

Eine Stunde nach dem Gespräch mit Hu Jia wurde Gaos Telefonleitung wieder gekappt. Alle Versuche, ihn zu erreichen, scheiterten bisher. Über seine Situation und die seiner Familie ist seitdem nichts bekannt.

Hier ein Zitat aus Gaos drittem Offenen Brief an Staatspräsident Hu Jintao und Premierminister Wen Jiabao vom 12.Dezember 2005, nach dessen Veröffentlichung Anwalt Gao Tag und Nacht überwacht und verfolgt wurde: „Wir müssen den Mut und die Moral aufbringen, einzugestehen, dass unsere Nation und unser Volk das Recht hat, nach Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu streben und dass diese Sehnsucht niemals zuvor so glühend war wie heute. Wir müssen den Mut und die Moral aufbringen, einzugestehen, dass jeder Versuch, das Streben des Volkes nach den oben genannten Werten zu unterdrücken, im heutigen China sicherlich bald scheitern wird.“

Mitschrift des Telefongesprächs vom 6. April 2007 zwischen Gao Zhisheng und Hu Jia.

Hu: Anwalt Gao! Gao!?

Gao: Was ist mit Ihrer Gesundheit?

Hu: Mir geht es gut. Ich bin gerade aus Hong Kong zurück.

Gao: Wurden sie noch mal untersucht?

Hu: Ja, und die Ergebnisse waren gut. Es hat sich nicht verschlimmert.

Gao: Es wurde nicht schlimmer?

Hu: Keine Sorge, es wurde nicht besser und nicht schlimmer. Dafür, dass ich so beschäftigt bin, ist es in Ordnung.

Gao: Meine ganze Familie wird abgeschirmt, wie unter einer Glasglocke.

Hu: Ich weiß.

Gao: Ich habe gehört, es gäbe da draußen eine Menge Gerüchte.

Hu: Ja.

Gao: Es sieht so aus, als würde man plötzlich meine Familie beschuldigen.

Hu: Es gibt eine Menge Gerüchte und Diffamierungen, die Sie betreffen. Ich glaube, einige Leute verstehen Sie nicht richtig. Sie ignorieren vollkommen, dass Sie und Ihre Familie verfolgt werden und konzentrieren sich darauf, ob sie andere Leute verraten oder Vertrauliches offenbart hätten. Es ist schlimm.

Gao: Nur Menschen, die der bösartigen kommunistischen Partei vertrauen, können so etwas denken. Wen soll ich betrogen haben? Was für Leute sollen das sein? Alles, was ich tue, mache ich öffentlich. Wie hätte ich jemanden betrogen?

Hu: Ich stimme vollkommen zu.

Gao: Es gibt von mir nichts, das ich verberge, und niemand wurde meinetwegen verhaftet. Trotzdem haben viele Leute diese Gerüchte geglaubt.

Hu: Ich verstehe. Ich habe mir ein wenig Überblick verschafft. Ihre Familie wird immer noch überwacht.

Gao: Ich glaube, die bösen Kräfte der KPC kennen mich besser, als all diejenigen, die mir jetzt misstrauen. Die KPC weiß, wie ich bin.

Hu: Ja! Ich weiß, dass man Sie gefoltert hat und dabei ihre Beine verletzt wurden.

Gao: Ich habe Ihnen ein paar Mal geschrieben, konnte die Briefe aber jedes Mal nicht abschicken.

Hu: Ich verstehe.

Gao: Ich konnte auch niemanden da draußen anrufen.

Hu: Ich weiß, ich weiß!

Gao: Was soll ich tun? Meine Familie wird in den Tod getrieben, wenn das so weiter geht.

Hu: Ich verstehe … das Wichtigste wäre es jetzt für Ihre Frau, für Gege (Gaos Tochter) und Tianyu (Gaos Sohn), eine friedliche Umgebung zu finden.

Gao: Wo soll die friedliche Umgebung herkommen?

Hu: Ich weiß, aber machen Sie sich keine Sorgen, ich werde mein Bestes tun, um dafür zu sorgen.

Gao: Das ist ja das Schmerzhafte. Wenn ich die KPC dadurch provoziert habe, indem ich die Wahrheit sage, was haben meine Frau und meine Kinder getan? Meine armen Kinder! Die ganze Welt soll wissen, was sich da vor der Tür meiner Familie abspielt. Die Kritik zielt immer darauf ab, wen wir betrogen haben. Aber das ist Unsinn! Wen könnten wir betrügen?

Hu: Das ist traurig.

Gao: Ich beschwere mich jetzt hier ein bisschen, aber ich will keinen Groll hegen. Wir wissen, wie wir sind, sind uns klar über unsere Persönlichkeit und unser Seelenleben. Wir müssen selbst für uns kämpfen, nicht wahr? Wir wollen nicht geistig unterdrückt werden.

Hu: Das werden wir ihnen nicht erlauben.

Gao: Sie steckten mich entweder ins Gefängnis, oder verwandelten mein Zuhause in ein Gefängnis und lassen meine ganze Familie leiden.

Hu: Ich verstehe. Anwalt Gao, wie viele Leute sind jetzt da draußen vor ihrer Tür, im Korridor und im weißen Haus?

Gao: Mehr als einhundert.

Hu: Mehr als einhundert?

Gao: Mehr als einhundert, jeden Tag überall rundherum.

Hu: Sie meinen zusammen mit denen, die da in der Nachbarschaft herumlaufen?

Gao: Ja, ja. Sie haben sogar schon Verkaufsstände aufgebaut, wo sie Obst und Gemüse verkaufen. Und in der Nacht parken hier zehn oder mehr von ihren Autos.

Hu: Klar, ich verstehe.

Gao: Wir werden ihre Art zu denken wohl nie verstehen und ich weiß auch nicht, was sie vorhaben.

Hu: Ja klar. Ist es wahr, dass man Sie mehrere hundert Stunden lang auf einen Stuhl gefesselt hat?

Gao: Zusammen fast 590 Stunden, auf jeden Fall mehr als 580 Stunden.

Hu: Tagelang?

Gao: Das längste waren 109 Stunden am Stück.

Hu: Ununterbrochen?

Gao: Ja.

Hu: Ich verstehe. Da gab es so einen „Abschiedsbrief“ von Ihnen, vom 29. November, in dem es heißt, dass Sie sich von der Außenwelt zurückziehen wollen.

Gao: Hu Jia, das steht auf einem Stück Papier. Aber es gibt nicht allzu viele Leute außer denen, die sich wie Sie um mich sorgen, die die wahren Hintergründe zu diesem Papier kennen.

Hu: Ich verstehe schon.

Gao: Diese sogenannte öffentliche Ankündigung gab ich im Tausch für 5.000 Yuan (etwa 500 Euro), damit meine Kinder und meine Frau etwas hatten, wovon sie leben konnten. Dieser Betrag war eigentlich mein gesetzliches Einkommen. Von Anfang an wurden meine Kinder, meine Frau und meine Familie in meinem Heimatort von ihnen zur Zielscheibe gemacht. Mein älterer Bruder wurde auch vier Monate lang unter Hausarrest gestellt. Sie wollen mich in den Tod treiben. Sie sagten, sie würden vor nichts zurückschrecken, um mich zu „behandeln“.

Hu: Verstehe… Anwalt Gao, darf ich der Welt da draußen ihre Situation schildern?

Gao: Ja. Aber ich mache mir Sorgen um Ihre Gesundheit. Sie nehmen meine Last auf sich. Andere würden diesem Druck ausweichen.

Hu: Keine Sorge. Ich tue, was ich muss. Ich denke nicht darüber nach, was mir passieren könnte, sonst hätte ich diesen Weg nie einschlagen können.

Gao: Ich habe Ihnen noch einen dritten Brief geschrieben. Haben Sie Zeit, ihn aufzunehmen? Sie haben keine Zeit, ihn mit zu schreiben, auch wenn ich ihnen den Brief vorlese, richtig?

Hu: Sie können ihn mir vorlesen.

Gao: Er ist etwas lang.

Hu: Bitte lesen Sie solange die Telefonleitung noch besteht.

Gao: Dann werde ich jetzt vorlesen.

Hu: OK

[Anm. d. : Der Inhalt dieses Briefes wird noch an anderer Stelle veröffentlicht.]

Hu: Sie haben viel erdulden müssen.

Gao: Ich kümmere mich nicht darum, was mir passiert ist. Ich bin traurig wegen meiner Kinder. Warum wurden sie zum Ziel der Verfolgung gemacht, in ihrem Alter? Die KPC hat mich jetzt unter Hausarrest gestellt, um die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit abzulenken. Sie wollen den Eindruck entstehen lassen, dass ich freigelassen wurde.

Hu: Ja, das denken wir auch. Sie wollen die Öffentlichkeit zum Narren halten, damit sie ihnen weniger Aufmerksamkeit schenkt. Die Leute sollen denken, dass Sie einfach zu Hause sind. Das meinte die Polizei mit der „Jeder-gewinnt-Situation“.

Gao: Wer ist denn an dieser „Jeder-gewinnt-Situation“ beteiligt? Ich?

Hu: Ich befürchte, wohl eher nicht.

Gao: Hu Jia, denken Sie, ich hätte bei dieser Situation etwas gewonnen?

Hu: Verzweifeln Sie nicht. Ich vermute, sie haben darüber nachgedacht, welches für sie die beste Möglichkeit war.

Gao: Ja, bis zum 13. Dezember sagten sie mir, dass mich eine sechsjährige Gefängnisstrafe erwarten würde. Als es dann am 22. Dezember zur Anhörung kam, präsentierte der Staatsanwalt neue Fakten. Es stellte sich dann so dar, dass das Pekinger Büro für Öffentliche Sicherheit angab, ich, Gao Zhisheng, hätte einen großen Beitrag zur Aufklärung jener Verbrechen geleistet, derer man Fan Yanfeng, Teng Biao und Qi Zhiyong bezichtigt. Das Büro für Öffentliche Sicherheit habe meinen Beitrag hoch geschätzt.

In Wahrheit standen sie unter Druck mich freizulassen, aber vorher mussten sie erst meinen Ruf in den Schmutz ziehen. Das Wichtigste ist jetzt, dass man den Leuten ermöglichen muss, klar darüber nachzudenken.

Hu: Ja, ich verstehe.

Gao: Ich weiß nicht, was ich jetzt sagen soll. Haben Sie Gao Jies Nummer?

Hu: Ich schaue nach.

Gao: Ich habe bemerkt, dass ich heute telefonieren kann. Aber ich weiß nicht, was ich sagen soll.

Hu: Ich verstehe Ihre Situation. Sie sind sehr einsam. Ihre Nachbarn sind ausgezogen. Und ich weiß, das Gege (Gaos Tochter) beim Lernen nicht gut vorankommt. Eigentlich müssten Sie einen Tutor für sie engagieren, aber das ist derzeit nicht möglich.

Gao: Ein Tutor würde nicht bis zu mir gelangen.

Hu: Stimmt. Geges Noten sind nicht gut. Sie war nur mit den Überlegungen beschäftigt, wie sie Sie retten könnte, und hat durch die Polizisten noch zusätzliche physische und psychische Qualen erlebt. Die Polizisten schreckten nicht davor zurück, sie zu schlagen. Jemand erzählte mir am Telefon, dass ihre Klassenkameraden Zeugen wurden, als die Polizisten sie zu Boden warfen. Das ist zuviel für ein junges Mädchen. Zu der Zeit stand ich selber unter Hausarrest. Was mich am meisten schmerzte war, dass ich nichts dagegen unternehmen konnte, dass die Polizei Frauen und Kinder drangsalierte.

Gao: Hu Jia, ich denke, wenn wir weiterhin in China leben ….es kann sein, dass sie uns eines Tages töten.

Hu: Lass es sie tun. Viele meiner Freunde wurden ungerechtfertigt ins Gefängnis geworfen, seitdem bin ich jede Sekunde darauf vorbereitet.

Gao: Ich glaube, ich kann mich darauf vorbereiten, wieder eingesperrt zu werden. Ich wurde verurteilt. Ich bin psychisch schon darauf vorbereitet. Ich werde in Zukunft wohl noch mehr Ärger haben. Sie sagten mir, wenn ich versuchen würde, mit der Öffentlichkeit Kontakt aufzunehmen, dann…. Aber trotzdem werde ich weiter versuchen, mit der Welt Kontakt aufzunehmen, jeden Tag!

Hu: Ich verstehe und weiß was Sie meinen. Im Augenblick habe ich die Telefonnummern der anderen nicht zur Hand, aber ich werde versuchen sie anzurufen. Ich weiß nicht, ob ich sie schnell erreichen kann. Ich werde der Welt sagen, was ich heute gehört habe und lasse alle erfahren, in welcher Situation Sie sich befinden.

Gao: Je schneller, desto besser. Danke, auf Wiedersehen.

Hu: Ich weiß. Auf Wiedersehen. Danke.



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