Legitimität – Pekings schmerzender Punkt

Was bei anderen Regimes, wie Simbabwe oder dem Sudan, international kritisch betrachtet wird, die Illegitimität, das scheint bei den Beziehungen zu Chinas ‚Regierung’ keine Rolle zu spielen. Dem Regime in Peking jedoch ist sie schmerzhaft bewusst. Erfolgreiche Olympische Spiele sollen diesen heiklen Punkt nach innen und nach außen übertönen und vernebeln.
Titelbild
Das Nationale Stadion in Peking, genannt das "Vogelnest", bewacht von paramilitärischer Polizei. Vor sieben Jahren erhielt Peking den Zuschlag zur Austragung der Olympischen Spiele. Frei fliegen wie ein Vogel, der aus dem Nest kommt, darf hier niemand. (Peter Parks/AFP/Getty Images)

Endlich! möchte man sagen, da äußert sich der Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach, vier Wochen vor dem Beginn der Olympischen Spiele in der WELT und hat China zu größeren Anstrengungen bei der Achtung der Menschenrechte aufgefordert. Und gleich darauf möchte man fragen, warum erst jetzt?

Die Beweggründe von Kommunisten scheinen wieder einmal nur diejenigen wirklich durchschauen zu können, die ihnen ausgeliefert sind oder waren. Nirgends sitzen so viele Journalisten im Gefängnis, wie in China. Pressefreiheit – Fehlanzeige.

Die Öffnung nach dem Erdbeben für Presse und Helfer – auch wenn sogar Frau Condoleezza Rice oder Frau Merkel das Regime in Peking dafür loben und viele es nachplappern – wirklich hingeschaut haben sie nicht. 72 lebenswichtige Stunden verstrichen, bis ausländische Helfer zugelassen wurden, warum? Was hatte man zu verbergen? Atomare Militärgeheimnisse?

China-feindlich?

Und Pressefreiheit herrschte nach dem Erdbeben nur, so lange keine kritischen Fragen nach der mangelhaften Bausubstanz der eingestürzten Schulen gestellt wurden. Dann herrschte wieder Schweigen. „Befürworter und Kritiker der Spiele in Peking sind sich einig: Eine geringere Einschränkung der internationalen Medien und weniger Überwachung in China während dieser Zeit wären schon ein Fortschritt”, so Sophie Richardson, Advocacy-Direktorin der Asien-Abteilung von Human Rights Watch am 7. Juli. „Allerdings tut die chinesische Regierung – unter Beihilfe des Internationalen Olympischen Komitees – ihr Bestes, um einen solchen Fortschritt zu verhindern.“

Jeder kritische Bericht sei China-feindlich, damit hetzt die KPCh die Bevölkerung gegen die Meinungsfreiheit auf. Der Menschenrechtsanwalt David Matas, Kanada, sieht das so: „Die Leute, die daneben stehen und die kommunistische Partei ihre Bürger unterdrücken lassen, das sind die China-feindlichen. China bedeutet sein Volk, und dieses Volk wird gerade jetzt von der kommunistischen Partei unterdrückt.“ (David Matas in NTDTV im Juni 2008.)

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Das traurigste Zeugnis dazu kann die Falun Gong Bewegung ablegen, deren Praktizierende werden seit Anfang des Jahres nicht nur vermehrt verschwinden gelassen, sondern schneller zu Tode gefoltert. Ganz zu schweigen davon, dass sie nicht an den Spielen teilnehmen oder gar einreisen dürfen.

Laut Amnesty International erließ der frühere Minister für Öffentliche Sicherheit Zhou Yongkang im Vorfeld der Olympischen Spiele die folgende Anweisung: „Wir müssen hart zuschlagen gegen feindliche Kräfte hier oder im Ausland, wie zum Beispiel ethnische Separatisten…und ‚häretische Organisationen‘ wie die Falun Gong.“

Eines der bekanntesten Opfer ist der 42-jährige Musiker Yu Zhou, der zusammen mit seiner Frau Xu Na Ende Januar nach einem Musik-Auftritt auf dem Weg nach Hause verhaftet wurde. Elf Tage nach der Verhaftung benachrichtigten die Behörden die Familienangehörigen, in die Qinghe Notaufnahme zu kommen, wo sie Yu bereits tot auffanden. Er war vor seiner Verhaftung bei guter Gesundheit, aber das Krankenhaus weigerte sich eine Obduktion durchzuführen.

Kein chinesischer Gorbatschow in Sicht

Im Grunde jedoch fragt man sich, wie es nur geschehen konnte, dass Olympische Spiele an Peking vergeben wurden und man den Versprechungen eines kommunistischen Regimes glaubte. Nichts gelernt aus den langen Zeiten des kalten Krieges mit all den Hinhaltetaktiken und Lügen der Kommunisten? Es war ja noch kein chinesischer Gorbatschow aufgetaucht, auf den man setzen konnte. Einer, der an der Macht war und das Ruder herumreißt. Einer, der an der Macht ist und sich offen bekennt zu einer neuen Offenheit mit allem persönlichen und politischen Risiko.

In vorauseilender gehorsamer Bückhaltung hat man verhandelt mit einer Mafia-Clique und gibt nun seiner Hoffnung Ausdruck – auf was hofft man eigentlich? Ist die Freiheit der Chinesen vielleicht als „Bückware“ unter den Ladentischen der Billigprodukte aus den Arbeitslagern zu haben? Gegen Bezahlung? Für alle Nachgeborenen: „Bückware“ erhielt man in der DDR, wenn man gute Beziehungen zu Ladenbesitzern hatte, die sich dann eben bückten, um zurückgehaltene Waren unter dem Ladentisch hervorzuzaubern, etwa wenn man mit Westgeld zahlte.

Kontrolle überall in allem

Human Rights Watch berichtete am 7. Juli: „China droht Medien auch damit, den Zugang nach China einzuschränken, falls sie sich den offiziellen Anweisungen widersetzen. Als sich im November 2007 ein ausländischer Nachrichtensender öffentlich über Schikanen und Freiheitsberaubung in der Provinz Anhui beklagte, ließ ein Funktionär des chinesischen Außenministers mitteilen, dass die Akkreditierung für die Olympischen Spiele gefährdet sei.“

Der Publizistik Professor Jiao Guobiao sagte dieser Zeitung im Mai 2006: „Man spürt schon, dass da überall die Partei ist. Diese Kontrolle steckt in allen Teilen der Gesellschaft, im Straßenkomitee, in der Nachbarschaft, an den Universitäten in allen Ebenen, in Minderheitsgebieten wie Tibet und Xinjiang auch, überall in allem.“

Auf die Frage nach der Stimmung in China gegenüber der KPCh, sagte Jiao: „Die KP hat immerhin noch ein ganz strenges Kontrollsystem, aber die allgemeine Meinung zur Legitimität der Alleinherrschaft der KP ist eindeutig negativ.“

Legitimität – der schmerzende Punkt

Und das ist der Punkt, der das Regime schmerzt, man weiß, dass man nicht legitimiert ist. Deshalb braucht man wenigstens Erfolg, Erfolg, Erfolg.

Chinas berühmtester Anwalt Gao Zhisheng sagt es deutlich: „Für die chinesische Bevölkerung ist es sonnenklar, dass das kommunistische Regime mit der erfolgreichen Ausrichtung der Olympischen Spiele zwei Ziele zu erreichen versucht. Als Erstes versucht es, der chinesischen Bevölkerung zu beweisen, dass die Welt die Partei immer noch als legale Regierung anerkennt – trotz der Tyrannei und all der fürchterlichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die die Partei während der letzten Jahrzehnte auf Kosten von mindestens 80 Millionen chinesischer Leben begangen hat.

Als Zweites will sie der Welt beweisen, dass die Partei immer noch Macht über China hat und die volle Unterstützung der Bevölkerung genießt.“ – (Gao Zhisheng, Chinas Hoffnung, agenda Verlag, Münster, 2008)

Gao Zhisheng hat sich nie gebückt, er nimmt Verleumdung, Verfolgung, Haft, Folter, Berufsverbot und Hausarrest für sich und seine tapfere Familie in Kauf, weil er ein Freund Chinas ist, aber kein Freund von Diktatoren.

Verschleierung und Lügen

Die vom Volk nicht gewählte chinesische ‚Regierung’ sagte dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) im Jahr 2001 zu, sie werde im Vorfeld der Olympischen Spiele das Recht auf freie Meinungsäußerung respektieren.

„Man muss zugeben, dass Verschleierung und Lügen nicht von der KP erfunden wurden, sondern althergebrachte Schändlichkeiten sind, derer sich die KP schamlos bedient.“ So heißt es in den „Neun Kommentaren über die Kommunistische Partei“ im ersten Kommentar. „Die KPCh versprach den Bauern Land, den Arbeitern Fabriken, den Intellektuellen Freiheit und Demokratie und Frieden für alle. Keines dieser Versprechen wurde verwirklicht. Eine Generation von Chinesen starb getäuscht und die nächste wird nach wie vor betrogen. Das ist die größte Tragik der Chinesen und das ist auch das Unglück der chinesischen Nation.“

Wann, wenn nicht jetzt

Was Politiker, Sportfunktionäre, Unternehmer und auch Medien nicht rechtzeitig und nicht nachhaltig getan haben, Chinas illegitimes System und seine Methoden bloßzustellen, das lastet nun auf Sportlern, Journalisten und Bürgern.

„Für Athleten, Regierungen und jeden Bürger ist jetzt der richtige Zeitpunkt, über die Menschenrechtsverletzungen in China zu sprechen“, verkündete Elvis Stojko bei einer Kundgebung im Queen’s Park in Toronto Mitte Mai anlässlich eines Menschenrechts-Fackellaufs. „Mit den Olympischen Spielen gibt es die Gelegenheit, China zu vermitteln, dass es sich vorwärts bewegen muss. Es herrscht nicht mehr das finstere Mittelalter. Wir wollen uns nicht jetzt zurücklehnen und zwei Jahre später sagen müssen, wir hätten etwas tun sollen; wir hätten etwas bewirken können“, sagte Stojko.

Elvis Stojko ist siebenmaliger kanadischer Meister im Eiskunstlauf, dreifacher Weltmeister und zweifacher Olympia-Silbermedaillenträger. Er praktiziert Kung Fu seit 1989 und schätzt die chinesische Kultur. Auch ein Freund Chinas.



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