Kungfu oder Wushu?
Lehrer Lin ist ein hagerer, jung wirkender Mann, der auf den ersten Blick nicht wie ein Kungfu-Meister aussieht. Doch wenn er davon zu erzählen beginnt, gibt es für ihn nur noch die weltberühmte chinesische Kampfkunst. Seine Kungfu-Schule liegt im historisch bekannten Danshui, einige dutzend Kilometer von Taiwans Hauptstadt Taipeh entfernt. Seine Schule befindet sich am Rande der Ortschaft, in idyllischer Lage am Fuss des Yangminshan-Nationalparkes. Zwischen Gärten, Orangenhainen und einigen Häusern lehrt Lehrer Lin nach taiwanesischer Tradition meist am Abend seine Schüler. Die Gäste empfängt er im Hauptraum der Schule, wo neben vielen Pokalen, die er auf nationalen und internationalen Veranstaltungen gewonnen hat, auch ein kleiner Altar steht. Vorbei an der traditionell eingerichteten Teestube gelangt man zu einer kleinen Halle, die mit Matten zum Trainieren ausgestattet ist. Doch trainiert wird hauptsächlich im Hof, in der freien Natur. Im zweiten Stock beherbergt Lehrer Lin ein kleines Waffenmuseum, wo Schwerter, Speere, Schilder, Schutzausrüstungen und andere Schlag- und Stichwaffen ausgestellt sind, manche davon sollen sogar über 400 Jahre alt sein.
Mit wenig Kraft große Wirkung erzielen
Traditionelles Kungfu ist eigentlich eher eine Kunst, die vieles der 5.000 Jahre alten chinesischen Kultur beinhaltet und auch eine lange Überlieferung hat. Ganz nach der Tradition wird der Trainer respektvoll Lehrer oder Meister genannt. Ist die Bezeichnung „Kungfu“ im Westen eher durch Filme von Bruce Lee bekannt, verwendet man im Chinesischen als Sammelbegriff für die Kampfkunst den Begriff „Wushu“.
Der Überlieferung nach wurde der Mönch Wang Lang vom berühmten Shaolin-Tempel vor rund 360 Jahren beim Beobachten eines Kampfes von Insekten inspiriert. Aus den Beobachtungen der Bewegungen der Gottesanbeterin gegen die körperlich überlegene Zikade entwickelte er den heutzutage populären Tang Lang Quan-Stil (Gottesanbeterin-Boxen), den auch Lin lehrt. Zudem lehrt er den Chang Quan-Stil (Lang-Boxen) und den Di Tang Stil (Boden-Boxen).
Philosophische und religiöse Aspekte des traditionellen Kungfus wurden gestrichen.
Meist kommen Lins Schüler etwas früher zum Training. Es sind taiwanesische Kinder, Jugendliche und Erwachsene beiderlei Geschlechts. Doch dazwischen kommen auch Kungfu-Begeisterte aus Europa, Amerika und Japan zum Trainieren. Lin leitet persönlich das Training. Die Stimmung ist trotz der Anstrengung meist heiter und freundschaftlich. Gelehrt wird traditionelles Kungfu – spezielle Bewegungsabläufen, sogenannte Formen, mit oder ohne Waffen, Schläge und Abwehr. Lins Technik ist präzise und schnell. Mit einfachen Handgriffen demonstriert er, wie man Angriffe abwehrt und seinen „Gegner“ mit nur einer Hand auf den Boden zwingt. Über das Drücken spezieller Punkte, sogenannte Akupunkturpunkte, kann er dem Gegner mit wenig Kraft großen Schmerz bereiten.
Modernes versus traditionelles Kungfu
In seiner Jungend lernte Lehrer Lin von seinem Lehrer auf dem Festland China in der Provinz Shandong. Wie viele andere Kungfu-Meister flüchtete er 1949 am Ende des chinesischen Bürgerkriegs vor den Kommunisten nach Taiwan.
Während die Kommunisten anfänglich die Klöster verschonten, wurden während des Schreckens der Kulturrevolution (1966-76) die Mönche vertrieben und die Anlagen zerstört. Erst in den 1980er Jahren wurden manche Klosterorden wieder in Betrieb genommen und man fing an, zu trainieren, was in Erinnerung geblieben war. Ergänzt wurde mit dem sogenannten „modernen Kungfu“, das von einem Komitee der kommunistischen Partei noch vor der Kulturrevolution kreiert wurde.
„In China gibt es kein echtes Kungfu mehr“
Geht es nach Lin, gibt es dementsprechend im heutigen China kein wahres Kungfu mehr. Auch das Shaolin-Kloster, die „Wiege des Kungfu“, praktiziere heutzutage nur noch „modernes Kungfu“. Dabei seien die Aspekte des Kungfu, die Wurzeln in Philosophie und Religion, gestrichen worden, und man habe daraus eine Show mit akrobatischen Einlagen gemacht, sagt Lin.
Das Shaolinkloster liegt in den Song-Bergen in der zentralchinesischen Provinz Henan, auf einem der fünf heiligen Bergen Chinas. In der Umgebung stehen viele alte Kulturdenkmähler. Geht es nach Lin ist das Shaolinkloster heute zur Touristenattraktion verkommen, das direkt der Kommunisten Partei untersteht. Der Abt des Tempels habe mit Religion nichts mehr zu tun sondern sei ein KP-Funktionär in Mönchsrobe.
Nach Außen sind die Anforderungen im Shaolinkloster jedenfalls hoch. Bringen die Kinder nicht die geforderte Leistung, werden sie mit Trainingsstöcken geschlagen, die dabei auch zu Bruch gehen können. Tatsächlich sind nach dem Training in dem Kloster jedoch selten buddhistische Klänge zu hören: Die Mönche rauchen, und aus Transistorradios tönt Michael Jackson und Co.
Und will man sich ehrfürchtig vor dem Buddha im Tempel verbeugen, kommt die Aufforderung nach einer Geldspende…
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