Geheime Tonaufnahmen Carrie Lams: „Wenn ich die Wahl hätte, würde ich zurücktreten“
„Wenn ich die Wahl hätte, wäre es das Erste, zurückzutreten und mich aufrichtig zu entschuldigen“, sagt Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam in einer Reuters zugespielten Tonaufnahme. Für einen Regierungschef sei es „unverzeihlich, dieses große Chaos in Hongkong verursacht zu haben“, sagt Lam. Sie habe jedoch nur „sehr beschränkte“ Möglichkeiten, die Krise in Hongkong zu lösen, weil die Massendemonstrationen für die Regierung in Peking eine Angelegenheit nationaler Sicherheit und Souveränität geworden seien.
Wenn man die Audioaufnahmen anhört, wächst der Eindruck, dass die Regierungschefin sich als Opfer ihrer verzwickten Lage wahrnimmt. Als Hongkonger Chief Executive muss sie per Verfassung zwei Herren dienen: einerseits der zentralen chinesischen Regierung, andererseits dem Volk von Hongkong.
Der Raum, der politische Spielraum für den Chief Executive, ist sehr, sehr, sehr, sehr begrenzt“.
Drei Personen, die an dem Wirtschaftstreffen teilnahmen, bestätigten, dass Lam diese Sätze sagte. 24 Minuten ihres halbstündigen Vortrags wurden Reuters zugespielt. Das Treffen war eines von mehreren Gesprächen mit „Menschen aus allen Lebensbereichen Hongkongs“, die hinter verschlossenen Türen stattfanden.
Peking habe keine Frist zur Beendigung der Krise gesetzt
Die Führung in Peking sei des potenziellen Schadens für ihr Ansehen bewusst, der sich aus der Entsendung von Truppen nach Hongkong ergeben würde, um die Proteste zu unterdrücken, erklärte Lam. „Sie wissen, dass der Preis der zu bezahlen wäre, zu hoch wäre.“
„Sie kümmern sich um das internationale Ansehen des Landes“, sagte sie.
Es hat lange gedauert, bis China ein solches internationales Profil aufgebaut hat und mitreden konnte. Und das nicht nur als eine große Wirtschaft, sondern auch als eine verantwortungsvolle große Wirtschaft. Es steht offensichtlich nicht auf der Tagesordnung, all diese positiven Entwicklungen aufzugeben.“
Daher habe die KP China „absolut nicht die Absicht“, Truppen der Volksbefreiungsarmee auf den Straßen Hongkongs einzusetzen.
Die Hongkonger Regierungschefin sagte, Peking habe keine Frist für die Beendigung der Krise vor den Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag am 1. Oktober gesetzt. Allerdings sei China bereit, auf „lange Zeit“ zu spielen, um die Unruhen zu überwinden – selbst wenn es wirtschaftliche Konsequenzen für die Stadt bedeuten würde. Dies könnte der Rückgang des Tourismus und des Verlusts von Kapitalzuflüssen sein, aber auch Börsengänge im Unternehmensbereich.
Dementi eine Woche später
Mittlerweile hat Carrie Lam die „Spekulationen“ über eigene Rücktrittsabsichten wieder zurückgewiesen. „Ich habe in den vergangenen drei Monaten wiederholt gesagt, dass ich und mein Team bleiben sollten, um Hongkong zu helfen“, sagte Lam am Dienstag (3. September) vor Journalisten in der chinesischen Sonderverwaltungszone. Sie habe es „nicht einmal in Erwägung gezogen“, mit der chinesischen Regierung über einen Rücktritt zu diskutieren.
Der Konflikt, dass ich zurücktreten möchte, aber nicht kann, existiert nicht“, so Lam.
Lam reagierte damit auf die von Reuters verbreitete Tonaufnahme, in der sie letzte Woche vor Unternehmern noch gesagt hatte – und was auch klar zu hören ist – dass wenn sie die Wahl hätte, sie zurücktreten und die Verantwortung für die seit Wochen anhaltenden Proteste übernehmen würde.
Seit nun 13 Wochen protestieren die Menschen in Hongkong gegen den wachsenden Einfluss Chinas auf die 7-Millionen-Einwohner-Metropole. Auslöser war das umstrittene Auslieferungsgesetz, dass China erlaubt hätte, „kriminell Verdächtige“ von Hongkong nach China auszuliefern. Für die Hongkonger wäre dieses Gesetz „der Anfang vom Ende“ ihrer Demokratie, da sie befürchten, dass jeder Kritiker der kommunistischen Partei Chinas somit der Gefahr ausgesetzt wäre, ans Festland ausgeliefert zu werden.
Inzwischen sind allgemeine Forderungen nach demokratischen Reformen und nach einem Rücktritt von Regierungschefin Lam hinzugekommen. Seit Juni wurden mehr als 1100 Teilnehmer der Proteste festgenommen. (rm/afp/reuters)
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