Gedicht über Ängste der KP wird Hit im chinesischen Internet
Ein Gedicht eines anonymen Autors macht dieser Tage im chinesischen Internet Furore. Es tauchte kurz vor dem „3. Plenum des Zentralkomitees“ der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) online auf.
Das Gedicht beschreibt detailliert, wovor Chinas Herrschende zur Zeit Angst haben – und kommt auf eine ganze Menge Punkte: Natürlich werden weder Institutionen noch Personen namentlich erwähnt, um die Zensur zu umgehen. Doch erschließt sich, was gemeint ist. Der Text wurde innerhalb kurzer Zeit populär. Zahlreiche Blogger und Weibo-Nutzer leiteten das Gedicht weiter. Hier eine Übersetzung, unten Anmerkungen zum besseren Verständnis.
Wovor sie Angst haben
Sie haben Angst vor Bomben, sie haben Angst vor Wahlzetteln
Sie haben Angst vor dem Erinnerungsvermögen älterer Menschen
Und Angst vor den Ideen und Visionen der Jugend
Sie haben Angst vor Beerdigungen und frischen Blumen auf den Gräbern
Sie haben Angst vor Arbeitern
Angst vor Bauern
Angst vor Wanderarbeitern
Angst vor allen Menschen außerhalb des Systems
Sie haben Angst vor Literatur
Sie haben Angst vor Kunst
Sie haben Angst vor Sprache als Kommunikationsmittel
Sie haben Angst vor dem Platz [des Himmlischen Friedens]
Angst vor Dokumentationsfilmen
Angst vor Gasflaschen und der Sprite-Flasche*
Sie haben Angst vor Gott
Angst vor Menschen mit Glauben
Sie haben Angst vor Malern
Angst vor Künstlern
Sie haben Angst vor Videokameras und Youtube
Sie haben Angst vor Technik
Angst vor freier Information und Kommunikation
Angst vor dem Internet
Angst vor SMS an Empfänger-Gruppen
Angst vor Surf-Tools
Angst vor Blogs und Twitter
Sie haben jedes Jahr Angst vor März und Juli**
Sie haben Angst vor dem 4. Juni
Sie haben Angst, dass Fremde reinkommen
Sie haben Angst, wenn das Volk rausgeht
Sie haben Angst vor Links
Sie haben Angst vor Rechts
Sie haben Angst, wenn die Soldaten ihre Waffen niederlegen
Sie haben Angst, wenn die Soldaten ihre Waffen heben
Sie haben Angst vor den eigenen Genossen
Sie haben Angst vor der eigenen Polizei
Sie haben Angst vor Bittgesuchen
Sie haben Angst, dass später Fragen auftauchen
Angst, dass die Lügen ans Licht kommen
Sie haben Angst vor Volksabstimmungen
Sie haben Angst vor freiem Geist
Sie haben Angst vor politischen Gefangenen
Sie haben Angst vor den Familien der Gefangenen
Sie haben Angst vor Menschen mit schlechtem Gewissen
Angst vor der Wissenschaft
Sie haben Angst vor der Vergangenheit
Sie haben Angst vor der Zukunft
Sie haben Angst vor morgen früh
Sie haben Angst vor morgen Abend
Sie haben Angst vor Intellektuellen
Sie haben Angst vor Rock´n Roll
Was ist los mit ihnen?
Sie haben Angst vor den Menschen auf der Straße
Und vor denen zu Hause, hinter verschlossener Tür
Sie haben Angst, wenn das Volk etwas schreibt
Sie haben Angst, wenn die Leute laut sprechen
Sie haben Angst, wenn sich Menschen versammeln
Angst vor Licht
Angst vor Liebe
Angst vor schweigendem Protest
Angst vor Gedenkfeiern
Angst vor Ehrlichkeit und Gerechtigkeit
Sie sind nun nervös
Sie haben Angst, dass das Volk von der Wahrheit erfährt
Sie haben Angst, dass das Volk regieren wird
Sie haben Angst, dass wir sie mit allem konfrontieren
Wenn das so ist, warum sollten wir Angst vor ihnen haben?
Anmerkungen:
* Die erwähnte „Sprite-Flasche“ bezieht sich auf das sogenannte „Selbstverbrennungsvideo“ aus dem Jahr 2001, das die KPCh drehte, um Hass gegen die Anhänger der Falun Gong-Bewegung zu schüren. Ein Mann hatte sich angeblich selbst mit Benzin aus einer Sprite-Flasche angezündet – die Flasche hätte in diesem Fall vor Hitze schmelzen müssen. Im Film ist die grüne, unversehrte Plastikflasche deutlich erkennbar.
** „Angst vor März und Juli“ hat die Partei, weil im März der jährliche Volkskongress stattfindent und am 1. Juli der Gründungstag der KPCh ist. Am 4. Juni 1989 war das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens. „Frische Blumen auf den Gräbern“ flößen dem Regime Furcht ein, weil sie zeigen, dass die Opfer nicht vergessen wurden.
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