Eine verdrängte Erinnerung
„Der 4. Juni? Ach, wer interessiert sich heute noch dafür?!“ Die Antwort meiner Verwandten am Telefon klang sarkastisch. Sie war als junge Studentin bei der Studentenbewegung im April bis zum Juni 1989 in Peking sehr aktiv. In Windeseile hatte diese sich zu einer Bewegung aller Gesellschaftsschichten in ganz China für Demokratie und Abschaffung der Korruption entwickelt. Am 4. Juni 1989 wurde sie in Peking von der chinesischen Armee durch Panzer und Gewehre unterdrückt und ausgelöscht. Einige Wochen nach unserem Gespräch wanderte meine Verwandte mit ihrem Mann und ihrem zweijährigen Sohn nach zwei Jahren Wartezeit nach Kanada aus; sie kamen in Kanada in die Kategorie „Leute mit speziellen Fähigkeiten“. Die Auswanderung ist eine übliche Entscheidung der jungen und reichen Intellektuellen im heutigen China.
Am 15. April 1989 war der reformorientierte Hu Yaobang gestorben, bis 1987 Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas. Nach seinem Tod hegte man bis zum 3. Juni in ganz China weiterhin die Hoffnung, dass die chinesische Regierung dem Ruf des Volkes nach Demokratie und Abschaffung der Korruption folgen würde. Zuerst gingen die Studenten auf die Straße, es folgten die Lehrer, die Schüler, dann Arbeiter, Beamte, dann Journalisten, sogar die Mitarbeiter der von der KPC gesteuerten Nachrichtenagentur Xinhua.
Fast alle Unternehmen hatten in der Zeit frei, denn die meisten Mitarbeiter waren auf die Strasse gegangen, die einen marschierten mit, die anderen befanden sich unter den Zuschauern, die ein Zurückschlagen der Regierung befürchteten, alle hegten aber die gleiche Hoffnung. Zehntausende von Studenten aus ganz China fuhren mit der Bahn nach Peking, meist ohne zu bezahlen – eine Unterstützung der Bahn, so groß war das Vertrauen des Volkes in die KPC.
„Sie haben wirklich geschossen!!!“
Und dann, vom Abend des dritten bis zum Morgen des vierten Juni war in Peking der am häufigsten zu hörende Satz: „Sie haben wirklich geschossen!!!“ Die vorher eine zeitlang von der Außenwelt abgeschottete Volksbefreiungsarmee glaubte fest an die Propaganda der KPC, die dem Volk weismachen wollte, dass Peking von Banditen besetzt wäre und die Armee nun diese Zehnmillionen-Stadt mit Waffen befreien sollte. Unzählige Geschichten und Bilder von blutgetränkten Opfern wurden später im Ausland veröffentlicht, während das kommunistische China lange unisono behauptete: „Kein einziger Mensch ist gestorben.“
Entsetzen, Enttäuschung, Verzweiflung, Zynismus und extreme Angst führten zu tödlichem Schweigen. In den Wohnheimen der Universitäten hörte man kein Singen, kein Lachen mehr, sondern nur das Tippen auf Schreibmaschinen. Die Antragsformulare für die Universitäten in den USA durften nur mit Schreibmaschine ausgefüllt werden.
Die meisten Chinesen, die dieser Diktatur nicht entfliehen konnten, zwangen sich zu vergessen um überhaupt zu überleben, nicht körperlich, sondern geistig. Seitdem ist es in China Mode geworden, in der Öffentlichkeit nicht über Politik zu reden, nicht über Steuerpolitik, Arbeitslosenrate, Rentenreform, Studiengebühren, Schulsystem, Immobiliensystem…. Man übernimmt ohne zu überlegen, was die KPC vorgibt. Man regt sich über Korruption innerlich auf, aus Angst vor Rache versucht man das aber zu verbergen, bis dieser Ärger nicht mehr zu unterdrücken ist und sich jährlich zu tausend und abertausend Aufständen in China umwandelt, von denen kaum Nachrichten nach außen dringen.
Das Massaker am 4. Juni 1989 wurde wie ein Deckel auf einen ausbrechenden Vulkan gesetzt. Je fester dieser Deckel schließt, desto stärker wird der Ausbruch des Vulkans sein, wenn man nicht neue Wege findet. Neue Wege, nicht Auswege.
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