Der Kampf um Demokratie in einem chinesischen Dorf
In dem Dorf Taishi fand am 16. September die Wahl zu einem „Komitee für die Entlassung des Vorsitzenden“ der Dorfgemeinde statt. Mehr als 600 Dorfbewohner nahmen daran teil. Etwa 300 Polizisten sollten die Wahl überwachen. Nach der Wahl stellte sich raus, dass alle sieben gewählten Komiteemitglieder von den Dorfbewohnern als Kandidaten vorgeschlagen worden waren. Keiner der vom KP-Komitee des Dorfes empfohlenen Kandidaten wurde gewählt.
Nach sechs Wochen friedlichen Kampfes war es den Dorfbewohnern gelungen, diese Wahl durchzusetzen. Das Dorf Taishi mit seinen rund 2.000 Bewohnern liegt im Süden Chinas neben Guangzhou (auf deutsch: Kanton), der Hauptstadt der Provinz Guangdong. Die Bauern dieser kleinen Ortschaft hatten sich nicht gedacht, einmal ein Zeichen in der Geschichte der Demokratisierung Chinas zu setzen.
Entlassungsantrag abgelehnt
Die Vorgeschichte: Im Dorf war man unzufrieden wegen der ungeklärten Lage des Dorfeinkommens. Durch Grundstücksverkäufe war eine große Geldsumme eingegangen. Es kam zu dem Verdacht, dass die Regierung der Kleinstadt Yuwotou, der direkten Verwaltungsebene über dem Dorf, von den Grundstücksgeschäften profitiert haben könnte.
Es entbrannte ein Kampf um das Rechnungsbuch, das sich im Buchhaltungsbüro des Verwaltungsgebäudes in Taishi befand. Es sollte als Grundlage und Beweis dafür dienen, den Dorfführer unrechten Handelns zu überführen und seine Entlassung zu beantragen.
Am 29. Juli wurde der Zivilverwaltungsbehörde der Kreisstadt Panyu ein Entlassungsantrag betreffend Chen Jinsheng, den Vorsitzenden der Dorfgemeinde Taishi, überreicht. Mehr als 400 Dorfbewohner forderten darin mit ihren Unterschriften die Entlassung von Chen.
Dorfbewohner bewachten in der Folgezeit das Büro rund um die Uhr, sie wollten dadurch die Versuche der Kleinstadtregierung beziehungsweise der Polizei verhindern, das Rechnungsbuch zu entwenden. Mitte August strömten mehr als 400 Polizisten in das Dorf. Mit Gewalt und Stockhieben versuchten sie, sich des Buches bemächtigen. Obwohl Dutzende der Bauern dabei verletzt und sieben von ihnen festgenommen wurden, verblieb das Buch unbeschädigt im Büro.
Laut Artikel 16 des chinesischen „Gesetzes zur Organisation des Dorfkomitees“ sollte die obere Verwaltung innerhalb eines Monats auf einen Entlassungsantrag der Dorfbewohner antworten. Noch innerhalb der Frist kam am 29. August die Ablehnung des Entlassungsantrags von der Zivilverwaltungsbehörde der Kreisstadt Panyu.
“Wir wollen Demokratie! Wir wollen Gerechtigkeit!“
Die Dorfbewohner von Taishi waren der Meinung, dass ihr Antrag nach dem Gesetz hätte genehmigt werden müssen. Um gegen die gesetzeswidrige Entscheidung zu protestieren, traten am 31. August über hundert Dorfbewohner vor dem Regierungsgebäude Panyu in einen Hungerstreik. In ihrer öffentlichen Erklärung zum Hungerstreik forderten sie: “Wir wollen Demokratie! Wir wollen Gerechtigkeit! Wir wollen einen Rechtsstaat! Wir sind das Volk dieses Landes, wir haben das Recht, unser Schicksal selbst zu entscheiden.“ Am nächsten Morgen gegen 7 Uhr wurden alle festgenommen.
Die Bauern hatten ihren Kampf um Demokratie bis dahin klug organisiert. Gleich zu Beginn hatten sie einen beherzten Rechtsanwalt eingeschaltet, und durch ihn und andere Sympathisanten wurden die Medien sowohl in China als auch in Hongkong und im Ausland immer schnell über die aktuelle Lage informiert. Die Weltöffentlichkeit konnte über das Internet die Geburt der Demokratie in dem kleinen Dorf miterleben.
Die übergeordnete Kleinstadtregierung gab auf. Am 9. September genehmigte sie für den 16. September eine Wahl in Taishi unter Aufsicht der Polizei. Allerdings wurde erst am Wahltag bekannt, dass nicht ein neuer Dorfführer, sondern nur ein Komitee für die Entlassung des jetzigen Dorf-Chefs gewählt werden sollte.
Vier Tage vor der Wahl marschierten plötzlich über 1.000 Polizisten mit Wasserwerfern in Taishi ein. Sie vertrieben die Bauern vor dem Buchhaltungsbüro und brachen in den Raum ein. Danach war das Rechnungsbuch nicht mehr auffindbar. Am selben Tag war auch der Rechtsanwalt der Dorfbewohner verschwunden. Es besteht der Verdacht, dass er gekidnappt wurde.
Trotz des kleinen Sieges über die Regierung der Kleinstadt Yuwotou ist die Zukunft der Dorfbewohner in Taishi ungewiss. Li Jian, der Verwalter der Webseite von „Volkskampf um Rechte“ in China, sagte in einem Interview mit Radio Free Asia: „Die Lage der Bauern sieht im Moment nicht gut aus.“ Da die Regierung nun das Rechnungsbuch in Händen habe, besäßen die Bauern kein Beweisstück mehr, mit dem sie die geforderte Entlassung begründen könnten.
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