Der 4. Juni 1989 oder: Können Chinesen Demokratie?
Mit seinem neuen lesenswerten Buch über „Chinas demokratische Traditionen“ und einer Rede zum 25. Jahrestag des Tiananmen-Massakers meldet sich der Autor Dr. Thomas Weyrauch zum 4. Juni zu Wort. Wir danken für die Genehmigung, diese Frankfurter Rede abdrucken zu dürfen:
Sehr geehrte Damen und Herren,
mehr als 80 Millionen Menschen hatte die Kommunistische Partei Chinas in der Zeit ihrer Existenz seit 1921 bereits auf dem Gewissen, als sie am 4. Juni 1989 erneut ihre Hände mit Blut besudelte. Vergeblich versuchte sie jedoch, jenes Ereignis mit Propagandalügen und Vertuschungen ungeschehen zu machen. Propagandalügen, dass es eigentlich keine oder nur wenige Tote bei dem Gewaltakte gegeben habe, dass sich die Regierung im Grunde nur verteidigen musste und die Stabilität Chinas durch den Einsatz von Panzern und wild umher schießende Soldaten der „Volksbefreiungsarmee“ gerettet hätte, konnte wahrlich kein politisch denkender Mensch glauben.
Leider gelang es der Kommunistischen Partei Chinas aber, ein Geschichtsbild zu erschaffen und zu perpetuieren, Chinesen bräuchten keine Menschen- und Bürgerrechte, ihnen seien Freiheitsstreben und Demokratie fremd.
Gerade hier in Deutschland fielen solche Argumente auf fruchtbaren Boden und fanden in den Medien Verbreitung. Als Beispiel nenne ich die Äußerungen von Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der sich bekanntlich in Menschenrechtsrelativismus und durch Lobhudeleien für die autoritären Regimes in Russland und China hervortut.
Mögen die Heerscharen mittelmäßiger Claqueure darüber auch frohlocken – derartige Behauptungen sind jedoch weit von der Wahrheit entfernt. Tatsächlich besitzt der chinesische Kulturraum eine reiche Menschenrechtstradition, die bis in die Tage der kulturprägenden Philosophen zurückreicht. Sogar ein Herrschaftsverständnis resultiert aus dieser Epoche, wonach der Regent sein Volk benevolent zu führen habe.
Wer von jenen braven Rotchina-Huldigern will es denn tatsächlich wissen oder wahrhaben, dass der Querdenker Huang Zongxi schon in der frühen Neuzeit demokratische Vorstellungen entwickelte? Er tat das immerhin etliche Dekaden vor dem französischen Staatsphilosophen Jean-Jacques Rousseau!
Es waren Chinesen, welche erste demokratische Vereinigungen Ende des 19. Jahrhunderts gründeten, und die ersten chinesischen Wahlen fanden 1907 in Tianjin statt.
[–Die Republik China–]
Die darauf folgende Republik China war demokratisch konzipiert und führte 1912 in den Provinzen und 1913 auf nationaler Ebene Wahlen durch. Intern durch konkurrierende Militärmachthaber und die Kommunistische Partei destabilisiert, konnten Japan und die Sowjetunion dieses Staatsgebilde über Jahrzehnte schädigen. Dennoch war es 1947 möglich, konkurrierende Wahlen für zwei Parlamentskammern abzuhalten und das mitten im Bürgerkrieg mit der KP. Bemerkenswert ist dabei, dass es sich bei jenen Wahlen um die ersten und einzigen handelte, die gesamtchinesisch auf dem chinesischen Festland und in Taiwan stattfanden.
Zur Tatsache, dass das chinesische Festland von einer kommunistischen Diktatur beherrscht wird, erklärte Helmut Schmidt einmal, dafür hätte sich das chinesische Volk entschieden. – War das wirklich so?
Keinesfalls! – Das chinesische Volk war doch gerade zu den Wahlurnen gegangen und hatte eine Nationalversammlung ins Leben gerufen, deren erstes Gesetz übrigens der Bekämpfung der kommunistischen Gewaltakte dienen sollte. Es bestand eine Vielzahl von Rechten, die mit der Revolution verloren gehen sollten. Warum hätte das chinesische Volk auf diese Rechte verzichten sollen? Welche weitere Wahl hatte es denn angesichts der völkerrechtswidrigen Bewaffnung der KP durch die Sowjetunion und Maos grausamer Revolution? In der Tat siegte Mao militärisch, nicht aber politisch oder ideologisch und erst recht nicht durch die freie Entscheidung des chinesischen Volkes!
Ist das derzeitige politische System der Volksrepublik damit nicht ein völlig unchinesisches Produkt? Ist es nicht die übelste und schändlichste Importware seit der Opiumeinfuhr?
Mindestens 80 Millionen Tote hat dieses System ausgerechnet in Friedenszeiten hervorgebracht. Und was war mit den Versprechen zu Demokratie und Wahlen?
[–Können Chinesen Demokratie?–]
Hat es seit 1949 in der Volksrepublik China trotz millionenfacher Scheinwahlen in Dörfern und Stadtteilen etwas Vergleichbares oder gar Besseres zu den Verhältnissen vor 1949 gegeben? Wo fand man dort seit 1949 freie Kandidaturen, Wahlkämpfe und unvorhersehbare Wahlergebnisse? Kräfte, die dies ändern wollten, wurden von der Staatsmacht verfolgt. Gegen Demokraten halfen nur Soldaten! Das ist in der Volksrepublik China bis heute so!
In der Republik China auf Taiwan wurden selbst in den repressiven Zeiten des Kriegsrechts ab 1950 immerhin Kommunalwahlen abgehalten. In den 1970er Jahren bereiteten Regierung und Opposition zunächst nur in wissenschaftlichen Kreisen eine Demokratisierung vor. Ab 1986 wurden schließlich alle Verfassungseinschränkungen beseitigt, die Folge der kommunistischen Revolution waren und demokratische Rechte beschnitten hatten.
Heute hat Taiwan eine lebendige, stabile Demokratie. Während 1986 auf der Insel nur drei zugelassene Parteien zu finden waren, sind heute 253 registriert. Noch wichtiger: Im Gegensatz zur Volksrepublik China kann in Taiwan niemand vorhersagen, wer künftig Wahlsieger und Wahlverlierer sein wird. Kein Prophet weiß, wer dereinst Regierung und wer Opposition sein wird. Doch selbst der Dümmste auf Taiwan weiß, dass in diesem demokratischen Prozess stets das Volk die Entscheidung fällen wird.
Demokratie blüht aber auch unter den exilchinesischen Oppositionsgruppen, sowie unter den Uighuren und Tibetern im Ausland. Letzteren gelang es damit quasistaatliche Strukturen zu errichten.
Die Lehre aus diesen Tatsachen lautet, dass der chinesische Kulturraum sowie die Tibeter und Uighuren eine demokratische Tradition besitzen, die von ihren Gegnern, nämlich den Pekinger Gewaltherrschern und ihren Opportunisten, verleugnet wird.
Dagegen kann sich in China ein Unterdrückungsapparat auf keine respektierte Tradition berufen. Das weiß die Führung der Volksrepublik sicherlich am besten, zumal die Zahl der Unruhen seit Jahren exponentiell ansteigt.
Da Chinas Demokratie kulturimmanent ist, ist sie folglich immer und immer wieder zutage getreten. Das wurde besonders in den Tagen vor dem 4. Juni 1989 deutlich. Es ist somit nicht nur eine akademische Frage, ob Chinesen überhaupt die Volkssouveränität anstreben.
Nein, der Tag wird kommen, an dem das chinesische Volk selbst die Antwort darauf geben wird. Bis dahin tut jeder gut daran, den 4. Juni 1989 nicht zu vergessen!
Thomas Weyrauch
Chinas demokratische Traditionen vom 19. Jahrhundert bis in Taiwans Gegenwart
Longtai Verlag
611 Seiten € 34,90
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